Jürgen Wehrle sieht nicht aus wie Ché Guevara. Ein Revoluzzer ist er trotzdem. Für seinen Kampf braucht der Emmendinger allerdings keine Machete, kein Sturmgewehr und keine roten Fahnen. Jürgen kämpft mit Gießkanne und Harke – für eine Sache, die uns im Prinzip alle etwas angeht. Genau gesagt bemüht sich der gelernte Gärtner darum, dass wir bei unserem Obst und Gemüse nicht in die immergleichen, weitverbreiteten Sorten der großen Saatgutkonzerne beißen müssen. Dabei bewegt er sich nicht selten am Rande der Legalität – und geht gelegentlich auch darüber hinaus. Das ein oder andere Gemüse, das der Saatgutzüchter auf seinen Feldern vermehrt, dürfte er rein rechtlich gesehen jedenfalls gar nicht weitergeben. Er macht es trotzdem …
Verkehrte Welt
Manchmal sind unsere Gesetze schon irgendwie komisch. Das sogenannte Saatgutverkehrsgesetz zum Beispiel sieht vor, dass viele alte Obst- und Gemüsesorten zwar angebaut werden können – allerdings darf man nicht mit ihnen handeln. Heißt konkret: Auf Wochenmärkten oder im Bio-Markt dürfen alte Tomatensorten gar nicht verkauft werden. Und dann kommt es auch noch vor, das beliebte Produkte plötzlich ganz vom Markt verschwinden, weil nach einer gewissen Zeit ihr Sortenschutz ausgelaufen ist. Der Kartoffel Linda erging es so. Da brauchte es schon Massenproteste aus der Bevölkerung, ehe die Behörden ein Einsehen hatten und die Zulassung wieder erteilten.
Eines der Probleme dabei ist, dass bei uns am Ende sowas immer auch im Bundessortenamt entschieden wird. Im Labor der Behörde geht es dann allerdings nicht um Geschmack oder Kulturhistorie, sondern um Kriterien wie Krankheitsanfälligkeit, Haltbarkeit oder Form. Sicherlich alles irgendwie wichtig, aber die Sache hat eben Konsequenzen: Wenige Konzerne bestimmen, welches Saatgut auf dem Markt erhältlich ist. Hochgezüchtete Hybrid-Sorten, deren Samen sich nicht wiederverwenden lassen, beherrschen den Handel. Dadurch sind letztlich viele alte Sorten bedroht. Nicht wenige, die einst unter Familien, Freunden und Nachbarn weitergegeben wurden, sind längst ganz von der Bildfläche verschwunden.
Wie können Tomaten illegal sein?
Seit einiger Zeit wächst beim Thema Saatgut allerdings der Widerstand. Jürgen Wehrle ist in unserer Region nur einer von vielen, die den Kampf für die Vielfalt inzwischen aufgenommen haben. Der gelernte Gemüsegärtner macht das professionell. Mit seiner Arbeit verdient er sich seinen Lebensunterhalt. Als Rebell sieht er sich auch deshalb nicht: „Ich möchte Lebensmittel ohne Chemie produzieren – das ist eigentlich alles“, meint er lapidar, als wir zusammen über sein kleines Zuchtfeld am Rande Emmendingens spazieren. „Eine Tomate ist doch das Natürlichste der Welt. Was kann daran schon illegal sein?“
Jürgens Acker ist ein herrliches Fleckchen Erde. In der Sonne leuchten unzählige Sorten Tomaten, die an kräftigen Pflanzen baumeln. Kleine, große, runde, ovale. Gelbe, rote, grüne, lilafarbene. Diverse Basilikumpflanzen duften so herrlich in den Himmel, dass man sich fast schon in der Toskana wähnt. Schmetterlinge, Hummeln und Bienen flattern und summen um die Wette. Lockende Blütenkelche gibt es schließlich en masse. Direkt vor den Tomaten schießt neben violett schimmernden Auberginen Schafgarbe mit blühenden, weißen Blütentellern in die Höhe. Das glauben wir zumindest für den Moment. „Das ist keine Schafgarbe. So sehen Möhren aus, wenn man sie wachsen lässt“, erklärt uns Jürgen. Schließlich muss der Bio-Züchter seine Pflanzen richtig ausblühen lassen, um am Ende an die Samen zu kommen. Wieder was gelernt …