Von Saaten und Taten: Revolution im Garten

Eigentlich ist es traurig, dass wir so eine Art Saatgut-Guerilla brauchen. Aber ohne wäre Badens Vielfalt in Gefahr …

Text: Stephan Fuhrer · Fotos: Jigal Fichtner

Jürgen Wehrle sieht nicht aus wie Ché Guevara. Ein Revoluzzer ist er trotzdem. Für seinen Kampf braucht der Emmendinger allerdings keine Machete, kein Sturmgewehr und keine roten Fahnen. Jürgen kämpft mit Gießkanne und Harke – für eine Sache, die uns im Prinzip alle etwas angeht. Genau gesagt bemüht sich der gelernte Gärtner darum, dass wir bei unserem Obst und Gemüse nicht in die immergleichen, weitverbreiteten Sorten der großen Saatgutkonzerne beißen müssen. Dabei bewegt er sich nicht selten am Rande der Legalität – und geht gelegentlich auch darüber hinaus. Das ein oder andere Gemüse, das der Saatgutzüchter auf seinen Feldern vermehrt, dürfte er rein rechtlich gesehen jedenfalls gar nicht weitergeben. Er macht es trotzdem …

Verkehrte Welt

Manchmal sind unsere Gesetze schon irgendwie komisch. Das sogenannte Saatgutverkehrsgesetz zum Beispiel sieht vor, dass viele alte Obst- und Gemüsesorten zwar angebaut werden können – allerdings darf man nicht mit ihnen handeln. Heißt konkret: Auf Wochenmärkten oder im Bio-Markt dürfen alte Tomatensorten gar nicht verkauft werden. Und dann kommt es auch noch vor, das beliebte Produkte plötzlich ganz vom Markt verschwinden, weil nach einer gewissen Zeit ihr Sortenschutz ausgelaufen ist. Der Kartoffel Linda erging es so. Da brauchte es schon Massenproteste aus der Bevölkerung, ehe die Behörden ein Einsehen hatten und die Zulassung wieder erteilten. 

Eines der Probleme dabei ist, dass bei uns am Ende sowas immer auch im Bundessorten­amt entschieden wird. Im Labor der Behörde geht es dann allerdings nicht um Geschmack oder Kulturhistorie, sondern um Kriterien wie Krankheitsanfälligkeit, Haltbarkeit oder Form. Sicherlich alles irgendwie wichtig, aber die Sache hat eben Konsequenzen: Wenige Konzerne bestimmen, welches Saatgut auf dem Markt erhältlich ist. Hochgezüchtete Hybrid-Sorten, deren Samen sich nicht wiederverwenden lassen, beherrschen den Handel. Dadurch sind letztlich viele alte Sorten bedroht. Nicht wenige, die einst unter Familien, Freunden und Nachbarn weitergegeben wurden, sind längst ganz von der Bildfläche verschwunden.

Wie können Tomaten illegal sein?

Seit einiger Zeit wächst beim Thema Saatgut allerdings der Widerstand. Jürgen Wehrle ist in unserer Region nur einer von vielen, die den Kampf für die Vielfalt inzwischen aufgenommen haben. Der gelernte Gemüsegärtner macht das professionell. Mit seiner Arbeit verdient er sich seinen Lebensunterhalt. Als Rebell sieht er sich auch deshalb nicht: „Ich möchte Lebensmittel ohne Chemie produzieren – das ist eigentlich alles“, meint er lapidar, als wir zusammen über sein kleines Zuchtfeld am Rande Emmendingens spazieren. „Eine Tomate ist doch das Natürlichste der Welt. Was kann daran schon illegal sein?“

Jürgens Acker ist ein herrliches Fleckchen Erde. In der Sonne leuchten unzählige Sorten Tomaten, die an kräftigen Pflanzen baumeln. Kleine, große, runde, ovale. Gelbe, rote, grüne, lilafarbene. Diverse Basilikumpflanzen duften so herrlich in den Himmel, dass man sich fast schon in der Toskana wähnt. Schmetterlinge, Hummeln und Bienen flattern und summen um die Wette. Lockende Blütenkelche gibt es schließlich en masse. Direkt vor den Tomaten schießt neben violett schimmernden Auberginen Schafgarbe mit blühenden, weißen Blütentellern in die Höhe. Das glauben wir zumindest für den Moment. „Das ist keine Schafgarbe. So sehen Möhren aus, wenn man sie wachsen lässt“, erklärt uns Jürgen. Schließlich muss der Bio-Züchter seine Pflanzen richtig ausblühen lassen, um am Ende an die Samen zu kommen. Wieder was gelernt …

An das Saatgut selbst gelangt Jürgen am Ende auf unterschiedlichste Weise. Bei einigen Pflanzen wie dem Thymian reicht es, wenn er sie über einer Wanne ausklopft. Andere Samen wiederum werden mithilfe eines Ventilators aus Pflanzenresten herausgeblasen, einfach gesiebt oder erstmal ins Wasser eingelegt (bei Tomaten löst sich so das hartnäckige Fruchtfleisch). „Mit der Zeit entwickelt man so seine Methoden“, sagt Jürgen. Alles kein Hexenwerk. „Aber die meisten wissen halt nicht mehr, wie die Oma das früher gemacht hat.“ Regelmäßig finden auf seinem Acker deshalb Workshops statt, die Jürgen gemeinsam mit der Saatgutinitiative Pro Specie Rara aus dem nahen Freiburg anbietet. 

Tanja und andere Lieblinge

Spannende und passende Pflanzensorten zu finden, ist allerdings die größte Herausforderung des Jobs. Die orangefarbene Tomate „Bulgarische Orange“ etwa hat er aus einem Bulgarien-Urlaub mitgebracht. Besonders stolz ist Jürgen zudem auf seine Tanja – eine Gurke. „Die ist von Natur aus bitterfrei, bei althergebrachten Gurkenarten ist das eher selten der Fall“, erklärt er. Unter den Kollegen aus dem Dreschflegel-Saatgutversand, über den Jürgen Wehrle neben weiteren Verkaufsstellen seit mehr als
15 Jahren sein Saatgut unters Volk bringt, gibt es auch Mitstreiter, die regelmäßig mit dem Motorrad übers Land düsen, in alten Gärten nach verlorengeglaubten Schätzen suchen und dann einfach an den Haustüren klingeln.

Was bei der Suche ganz wichtig ist: „Das Gemüse muss samenfest sein“, sagt Jürgen. Denn nur dann wachse aus dem gewonnenen Saatgut auch im kommenden Jahr das gleiche Gewächs. Bei Hybriden geht das nicht. Und dann muss der Züchter auch noch aufpassen, dass sich die Sorten nicht verkreuzen. Andere Paprika-, Chili- oder Bohnenpflanzen sollten jedenfalls nicht in unmittelbarer Nähe auftauchen … 

Inzwischen hat sich auch auf der politischen Ebene einiges getan. Doch die Mühlen mahlen langsam. Immerhin wurde von den EU-Politikern 2014 eine Saatgutverordnung abgelehnt, welche die Vielfalt an Obst und Gemüse noch weiter eingeschränkt hätte. Und auch bei Vergehen gegen die bestehenden Gesetze werden von Behördenseite oftmals beide Augen zugedrückt. „Mir ist in Deutschland kein Fall bekannt, bei dem es zu einer Anklage kam“, erzählt uns der Gärtner noch, ehe er sich verabschiedet und uns dabei noch einen ganzen Eimer voller frisch geernteter Tanja-Gurken und herrlicher Tomaten hinterlässt. Als wir später zu Hause in das Gemüse beißen, verstehen wir Jürgens Kampf dann noch ein bisschen besser: Das Zeug ist einfach revolutionär lecker!

Die gute Saat

Wer samenfestes Saatgut aus der Region haben möchte, wird etwa bei dem Freiburger Demeter-Betrieb Samenfest, der auch Jürgen Wehrles Samen vertreibt, fündig – sowohl im Online-Shop als auch über diverse Verkaufsstellen. Bundesweit hat sich zudem der Dreschflegel-Versand einen Namen als Anlaufstelle für alte Obst- und Gemüsesamen gemacht.

www.samenfest.de

www.dreschflegel.de

#heimat Schwarzwald Ausgabe 16 (3/2019)

Wir kochen uns mit Pilzen, Bier und Reh-Bolo durch den Herbst, backen Kuchen und suchen die vergessenen Orte des Schwarzwalds.

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