In den badischen Bergen

Tausende wandern jedes Jahr über den kahlen Hügel des Schliffkopfs, um Aussicht und Grinden zu genießen. Wir auch

Text: Pascal Cames

Der Schwarzwald hat ja viele schöne Seiten. Aber die besonders krassen und wilden findet der Ortenauer Naturfotograf Michael Sauer rund um den Schliffkopf. Auf gut 1000 Metern Höhe zeigt sich unsere Heimat hier von ihrer rauen Seite. Bergig. Schroff. Urwüchsig. Ganz anders als in den lieblichen Rheinauen, wo Michael Sauer sonst gern zu jeder Tages- und Nachtzeit mit der Kamera unterwegs ist. 

Als bräuchte er den Ausgleich, zieht es ihn mehrmals im Jahr in luftige Höhen. Die Hornisgrinde und der Schliffkopf sind seine magischen Orte. Manchmal nimmt er sich einen Schlafsack mit, macht es sich irgendwo bequem, stellt seine Kamera auf und schaut in den Himmel. Klick, klick, klick, für einen Fotografen wie ihn ein beruhigendes Geräusch. Die Lichtverschmutzung ist auf der Höhe längst nicht so stark wie unten im Rheintal, stellt er dann fest. Mit der anderen Kamera geht er tags auf die Pirsch, findet exzellente Farben, die ihn an Skandinavien erinnern, außergewöhnliche Lichtstimmungen und manchmal auch ein scheues Lebewesen. Wenn wir jetzt den Bildern nachwandern – was finden wir wohl?

Die große Dürre

In der großen Sommerhitze flimmert die Luft wie in einer dieser Clint-Eastwood--Landschaften. Die weite gelb-braune Fläche wird nur unterbrochen von grünen Flecken und Tupfern, von braunen und grauen Stämmen. Vögel piepen pausenlos, eine Hummel summt heran und unter den Schuhsohlen knirschen Sand und Kiesel wie in einer Knochenmühle. Es hat schon lange nicht mehr geregnet, aber im Westen türmen sich die Wolken auf.

Auf dem Schliffkopf hat es weder Quellen noch Bäche und nach ein paar Wochen Sonne nicht einmal mehr eine Pfütze. Vermutlich hat es doch ein bisschen Wasser, das dunkle Gras auf der Wiese ist ein Indikator dafür. Die Grinde, wie das Gebiet auch genannt wird, bedeutet im alemannischen Dialekt „kahle Fläche“ und war in alter Zeit eine Hochweide für Rindviecher.

Eine Herde Hinterwälder wartet wie bestellt hinter einem Holzzaun. Eine Kuh schaut direkt zu uns. „Das ist die Mutterkuh“, weiß Lukas Schmidt (28), einer von sieben Rangern im Nationalpark. Seine Aufgaben sind der Naturschutz durch Bildung (geführte Wanderungen, Gespräche) und die Präsenz auf der Fläche. Im Nationalpark Schwarzwald will man die Natur erhalten, ohne sie zu nutzen. Dafür ist er täglich unterwegs, pro Tag macht er oft mehr als zehn Kilometer zu Fuß, zählt Schmetterlinge, notiert seltene Pflanzen und füttert die Ranger-App mit Daten. Offiziell ist ein Ranger der „Hauptamtliche Naturschutzdienst“. Das hört sich nicht so sexy an, trifft es aber besser. Denn bei Ranger denkt man ja gleich an Grizzlys, Pumas oder Büffel.

Eine Prärie in den Bergen 

Der Schliffkopf hat aber auch seinen Wildwest-Moment, denn die Herde zieht es jetzt den Buckel hoch. Vor 100 Jahren war das Bild noch viel größer und großartiger. Die baumlose Fläche, das Grindeband, zog sich vom Plättig bis nach Freudenstadt und hatte nicht 200, sondern 2000 Quadratkilometer Fläche. Bevölkert war die Grinde von hunderten Kühen, die ihr Wasser in Ritzen, Regenlöchern oder eigens dafür aus dem Fels geschlagenen Kuhlen suchten und fanden. Der Wald musste weichen. Die besten Tannen wurden für den Schiffsbau in Holland geschlagen, der Rest abgefackelt. Nach der Brandrodung war alles kahl. Wahrscheinlich waren die Staubwolken bis Stuttgart zu sehen. Nein, nicht ganz, trotzdem wussten die Stuttgarter, was am Schliffkopf los war, aber nur im Winter. Am Stuttgarter Bahnhof zeigte eine Flagge an, ob Schnee lag. War die Flagge oben, konnte man „Schneeschuhe“ (gemeint sind Ski) und Vesper einpacken und mit der schwäbischen Eisenbahn südwestwärts zuckeln. 

Eine Straße für den Krieg

An die Frühzeit des Nah-Tourismus erinnert ein Grenzstein am Schliffkopf-Hotel und weiter oben ein Denkmal. Hier war richtig was los auf der Piste, sogar mit Skilift. Aber als die damalige Skihütte abbrannte und die Besitzer ein Hotel planten, musste der Skilift abgebaut werden, weil man die Grinde bzw. den Schliffkopf als schützenswertes Gebiet für Pflanzen und Tiere erkannte. Es waren die Nazis, die 1938 hier ein Naturschutzgebiet ausriefen, im Zuge ihrer Kriegsvorbereitungen Bunker in die schöne Landschaft setzten und die schwer beliebte Schwarzwaldhochstraße etwas versetzt vom Bergkamm ausbauten, damit sie nicht in einer Schusslinie von Westen liegt.

Mit Lukas Schmidt stehen wir auf dem Aussichtspunkt Steinmäuerle und schauen über das grüne Meer der Wälder und die blauen Berge. Ein herrlicher Kitsch, aber echt. Der Ranger schwärmt von den Beeren und Sträuchern im Herbst und wie dann die Heidelandschaft skandinavisch wirkt. Unten liegen Bergschluchten, versteckte Ruinen und Siedlungen, vor uns droht eine schwarze Wolkenwand mit biblischer Zerstörungskraft. Ein paar Tropfen kommen runter, wir können sie fast zählen, so wenige sind es. Der Weg führt auf dem historischen Grenzpfad zwischen Baden und Württemberg bergauf, vorbei am alten Grenzstein. Es war immer eine friedliche Grenze, wo außer Wilderer auf Hirsche und Förster auf Wilder wohl niemand geschossen hat. Sogar die Bunker hier oben hat der Krieg verschont. Heute sind sie mit Geröll zugeschüttet und ein Überwinterungsplatz für Schlangen und Eidechsen – bis auf einen. Der wird vom Hotel als Weinkeller genutzt, heißt es. 

Wir finden den „Schatz“ leider nicht, dafür aber den höchsten Punkt (1054 m) mit der besten Fernsicht weit und breit. Wir sehen im Osten Baiersbronn und Württemberg, im Westen das Straßburger Münster und die Vogesen, sogar bei mittelmäßiger Sicht haben wir den Feldberg vor Augen und wenn es ganz klar ist auch die Alpen. Natürlich sind wir hier oben nicht alleine. Es ist wie mit Rom, alle Wege führen heran.

Auf dem Schliffkopf hat es keinen Pfad, der mehr als 100 Meter zum nächsten entfernt ist, erklärt Lukas Schmidt. Das soll sich ändern, das Wegenetz wird ausgedünnt und die Beschilderungen neu gemacht. Die Tierwelt ist zwar unsichtbar, aber sie ist da und braucht Ruhe. Es gibt Rotwild und nachtaktive Hirsche, Füchse und Wildschweine. 100 Schmetterlingsarten flattern hier, dazu seltene Spechtarten, die hier eine Spechtschmiede betreiben. Die schlauen Vögel stecken Fichtenzapfen in tote Baumstümpfe, um so ihre Nahrung besser heraus picken zu können.

Totes Holz, gutes Holz 

Ob ich was riechen würde, will der Ranger wissen. Ich rieche nichts. Ich soll mal kommen, sagt er. Hier, am Boden, da: riechen! Und tatsächlich: Das duftet doch nach Bounty! Tatsächlich hat aber jeder  an dieser Stelle einen anderen Geruch in der Nase. Dafür verantwortlich ist der wohlriechende, aber nicht essbar Schichtpilz, ein wichtiger Akteur im Wald, der die Nährstoffe von toten Bäumen zurück in den Kreislauf führt. Überhaupt ist das Totholz ein echter Segen. Zwar geht so einiges auf die Kappe des Borkenkäfers, der Waldbesitzer um den Schlaf bringt (nur Zecken sind unbeliebter), aber das abgestorbene Holz ist so eine Art Schlaraffenland der Tier- und Pflanzenwelt. Zwei Drittel aller Tiere leben mit oder von solchen Bäumen. 

Die Kühe sind fort

Auf dem Weg zurück zum Panorama-Parkplatz (so etwas gibt es nur hier) sieht man die Natur mit anderen Augen. Der dürre, krüpplige Baum dort ist wahrscheinlich besser als 100 Insektenhotels, die Kiefer ohne Baumspitze ist nicht kaputt, sondern nur eine Spechtschmiede in spe und der Baum mit den verschlungenen Ästen gefällt mir auch. Michael Sauer soll ihn mal fotografieren, denke ich. Ich blinzle suchend in die Sonne. Die Luft steht, die Kühe sind fort. Es hat immer noch nicht geregnet und was da in der Ferne grummelt, ist wahrscheinlich ein Holzlaster, eventuell ein Gewitter, aber ganz sicher keine Kuhherde. Wenn doch, werde ich Cowboy. Auf der Grinde!

Nationalpark Schwarzwald

Am 1. Januar 2014 wurde Baden--Württembergs erster Nationalpark gegründet, er ist etwas mehr als 10 000 Hektar groß und liegt am nördlichen Hauptkamm des Schwarzwalds. Der Nationalpark besteht aus einem nördlichen und einem südlichen Teil und ist in drei Zonen unterteilt. Die Kernzone ist Natur pur, in der folgenden Entwicklungszone darf der Mensch behutsam eingreifen, am besten aber nur noch maximal 30 Jahre lang. In der dritten Zone, Managementzone genannt, wird der Borkenkäfer bekämpft, um die von der Holzwirtschaft genutzten Wälder zu schützen. Der Nationalpark ist hauptsächlich bewaldet und gut mit Wanderwegen erschlossen. 2020 wird ein neues Besucherzentrum eröffnet. Die Ranger bieten geführte Wanderungen an, zum Teil sogar kostenlos und nach dem Motto des Nationalparks „eine Spur wilder“.

www.schwarzwald-nationalpark.de

#heimat Schwarzwald Ausgabe 16 (3/2019)

Wir kochen uns mit Pilzen, Bier und Reh-Bolo durch den Herbst, backen Kuchen und suchen die vergessenen Orte des Schwarzwalds.

#heimat, der Genussbotschafter für den Schwarzwald 

In der Zeitschrift #heimat geht es um Genuss in der Region, um (kulinarische) Traditionen und gute Adressen, um Manufakturen und Menschen. Idee und Konzept für #heimat stammen von Chefredakteur Ulf Tietge und seinem Team. Das Magazin wurde 2016 mit dem Ortenauer Marketingpreis ausgezeichnet und ist inzwischen bundesweit erhältlich.

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