Auf Tauchgang im Rhein

Ein Tauchparadies vor der Haustür? Gibt es, zum Beispiel am wunderschönen Hochrhein! Wir tauchen dann mal ab…

Text: Jana Zahner Fotos: Daniel Schoenen

Zwei Meter lange Welse, ein Koffer voll Munition, eine abgesägte Schrotflinte: Für außergewöhnliche Fische und interessante Funde unter Wasser muss man nicht in die Karibik fliegen. So viel habe ich Friedrichs Geschichten über Tauchabenteuer um Hohentengen und was man dabei so aus dem Rhein fischt entnommen. Jetzt will ich mir selbst anschauen, was sich am Grund des Flusses verbirgt. Meine erste Erkenntnis als Tauchnovizin: Jede Menge Schlamm! Der Versuch, meine Flossen im seichten Wasser anzuziehen, verwandelt alles um mich herum in eine trübe Brühe. Nichts zu erkennen! Nun ja, es ist mein erster Tauchgang. Für eine richtige Expedition muss ich wohl noch ein bisschen üben. Aber fangen wir am besten vorne an …

Tauchen lernen im Schwarzwald – das geht an seinem südlichen Rand, in Hohentengen im Landkreis Waldshut. Eingebettet in Wiesen, Wälder und Reben liegt die kleine Gemeinde mit rund 4000 Einwohnern direkt am grün leuchtenden Rhein. Das Gasthaus zum Loewen ist gewissermaßen das Tor zu seiner Unterwasserwelt. Am Tresen aus hellem Holz hat mich an diesem Morgen Friedrich Schäuble empfangen, Wirt in vierter Generation und seit 2004 auch stolzer Besitzer der Tauchschule Hochrhein. Er ist in Hohentengen aufgewachsen, die Grenznähe ist seinem alemannischen Dialekt mit leicht schweizerdeutschem Einschlag anzuhören. Seine Leidenschaft für’s Tauchen entdeckte er vor mehr als 20 Jahren direkt vor seiner Haustür: „Es gibt hier viele tolle Plätze.“ Der Gastronom genießt das Hobby als Kontrastprogramm zu seinem Hauptbroterwerb, denn manchmal liebt er eben auch die Stille: „Unter Wasser redet halt keiner mit einem.“

Tauchen zur Entspannung

Wenn der 50-Jährige vom Tauchen erzählt, klingt es, als spräche er von Spaziergängen im Wald oder Yogastunden. Unter Wasser gebe es für ihn keinen Stress, manchmal staple er zur Entspannung einfach Steine am Grund des Flusses – und beobachte Fische. Friedrich kennt den Rhein gut; an Stellen, an denen er sich verengt oder gestaut wird, ist die Strömung so schwach, dass auch Anfänger unter Anleitung dort üben können. Viele Schüler der Tauchschule Hochrhein kommen aus der Schweiz nach Hohentengen, um sich auf einen Tauchurlaub vorzubereiten. Andere reisen mit dem Wohnmobil an und buchen einen Schnupperkurs. Sieben Lehrer sind derzeit im Nebenerwerb in der Tauchschule mit eigenem Shop aktiv, die Nachfrage sei gut, sagt der Chef.

Der Rhein hat das ganze Jahr über Saison. Im Dezember steht für die Taucher der Region das traditionelle Christbaumversenken an – eine Weihnachtsfeier in bis zu zehn Metern Tiefe. Im Frühling suchen Friedrich Schäuble und seine Tauchkollegen Ostereier unter Wasser. Auch Rheinputzeten stehen auf dem Kalender. „Wir haben hier schon viele interessante Sachen gefunden“, erzählt er. Eine Legende im Ort ist bis heute ein Taucher mit Spitznamen Bombenmüller, der in den 1980er-Jahren eine Granate aus dem Wasser fischte und sie dem deutschen Zöllner auf den Tresen legte …

Auch ohne Aussicht auf so viel Action bin ich vor meinem ersten Tauchgang ausreichend aufgeregt. Zum Glück geht es vorher zum Üben ins Freibad – wo übrigens auch Friedrich einst bei einem Schnupperkurs das Tauchfieber packte. Etwas Druck kann beim ersten Mal offenbar nicht schaden: ich selbst habe in der Umkleidekabine schon Probleme, mich in den Tauchanzug zu pressen. Das Neopren klebt auf der Haut und lässt sich nur Falte für Falte bewegen. Nach viel Zerren und Hüpfen bin ich völlig fertig, ohne dass ich auch nur einen Zeh in den Pool des Freibads Hohentengen getaucht hätte.

Am Beckenrand hat Friedrich die Ausrüstung vorbereitet und erklärt alles: Tarierweste, Tauchmaske, Atemregler, Druckluftflasche. Warum die von so vielen hartnäckig als Sauerstoffflasche bezeichnet wird, kann der Tauchlehrer nicht verstehen. Sie enthält nämlich einfach nur komprimierte Umgebungsluft. Leicht ist sie deswegen nicht. Die volle Montur fühlt sich an wie ein etwas überfüllter Rucksack auf einer Fernwanderung.

Los geht’s! Wie eine Schildkröte kippe ich vom Beckenrand ins Wasser. Dass ich mit dem Inflator meine Tarierweste aufblasen und mir so Auftrieb verleihen kann, erweist sich gleich als sehr bequem. Um abzusinken, wird die Luft abgelassen.

Mein Lehrer und ich knien uns für die erste Übung auf den Grund des Pools. Vielleicht zehn Zentimeter trennen mich so von der Wasseroberfläche, trotzdem sauge ich am Mundstück des Atemreglers wie eine Ertrinkende, höre nichts als Blubbern. Ich muss nach Sekunden wieder aufstehen und durchatmen. Eine reine Kopfsache, am Druck in der Flasche liegt es nicht. „Nimm mal den, der ist besser“, sagt Friedrich und zeigt auf den Ersatz-Atemregler an meiner Weste. Tatsächlich kriege ich plötzlich besser Luft. Ein Trick? „Es gibt gar keinen Unterschied zwischen den beiden, oder?“, frage ich nach der Übung. „Nein“, sagt Friedrich milde lächelnd. Im Wasser wirkt der 50-Jährige noch unerschütterlicher als hinter seinem Tresen – er weiß mit schwierigen Gästen und hyperventilierenden Tauchschülern gleichermaßen umzugehen.

Wie kalt ist es?

Nachdem ich geübt habe, unter Wasser das Mundstück herauszunehmen und wieder einzusetzen, sowie einige Runden durch das Becken gründeln kann, bin ich bereit für den Rhein. Der liegt praktischerweise direkt vor dem Freibad, flach und sandig. Mit meinem extradicken Neoprenanzug ist das Wasser gar nicht eiskalt wie erwartet, sondern angenehm kühl. Allerdings entpuppt sich der Untergrund beim Hineinwaten als Schlick, zäh und klebrig wie Kuchenteig. Die Sicht ist trüb, dafür weiß ich jetzt nach dem ersten kurzen Gang in den Fluss, dass ich mich auch im langsam fließenden Gewässer sicher fühle.

Eine kurze Fahrt entfernt liegt Rheinau im Schweizer Kanton Zürich. Unterhalb der Alten Zollbrücke aus Holz steigen wir abermals ins Wasser. Hier ist der Untergrund felsiger, die Sicht klar. Der Platz ist dafür bekannt, zwei weitere Taucher starten dort gerade ihre Tour gegen den Strom. An der Seite meines Lehrers drehe ich eine kleine Runde in maximal zwei Metern Tiefe um die Brückenpfeiler. Und jetzt kann ich mich unter Wasser umsehen: Die Felsen im Sand sind voller brauner, schwarzer und weißer Muscheln, es sind viel mehr, als ich im Rhein vermutet hätte. Dazwischen das spitze gewundene Haus einer Schlammschnecke. Kurz auftauchen, mit zugehaltener Nase den Druck im Ohr ausgleichen.

Einfach treiben lassen!

Mein Tauchlehrer nimmt mich nochmals mit hinunter, diesmal lassen wir uns aneinander gehakt unter Wasser flussabwärts treiben. Ich muss kaum die Flossen bewegen: Die Strömung trägt uns schwerelos wie ein Tauchertaxi, vorbei an dichten Wäldern aus hellgrünen Wasserpflanzen, die sich in den Fluten wiegen. Und lag da nicht gerade die Tanne vom Christbaumversenken 2022? Wels, Hecht, Barsch, Aal und Co., die hier heimisch sind, halten sich allerdings bedeckt. Es ist mittlerweile Nachmittag, in der Dämmerung kommen die Fische eher aus ihren Verstecken. Einerlei, ich staune trotzdem und verstehe völlig, warum Friedrich sich bei diesem Kino so gut entspannen kann. 

Wir tauchen auf. Einige Meter weiter thront ein Blässhuhn auf seiner Brut und beäugt uns kritisch. Was es wohl über uns Gestalten denkt? In gebührendem Abstand, um die werdende Mutter nicht zu stören, steigen wir aus dem Fluss. Ich muss grinsen, und Friedrich freut sich, dass er wieder jemanden mit seiner Leidenschaft angesteckt hat. In dieses klare und gar nicht so kalte Wasser springe ich gern wieder …

#heimat Schwarzwald Ausgabe 39 (4/2023)

Rein in den Sommer – mit unserer Liegestuhl-Lektüre! Wir laden Euch diesmal zum Abtauchen ein, denn wir haben uns gefragt: Wo kühlt man sich im Schwarzwald ab, wenn die Sonne brennt? Zusammengetragen haben wir eine bunte Mischung aus altbekannten und geheimen Bade-Spots. Auch darüber hinaus ist Wasser voll unser Element! So sind wir zum Beispiel in Pforzheim auf der Black Forest Wave gesurft und waren tauchen im Rhein. Außerdem sind wir für ein Wochenende im schönen Renchtal gestrandet, haben mit Berlinale-Chef Dieter Kosslick eine Runde Promi-Gossip ausgetauscht und uns durch das blaue Gold von Enzklösterle probiert: Waldheidelbeeren

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