Kim Schimpfle macht Trachtenmode anziehend

Bollenhut, Dirndl und Co. sind aus der Mode? Designerin Kim Schimpfle vom Label Schwarzwald Couture beweist das Gegenteil…

Text: Sarina Doll · Fotos: Jigal Fichtner

So fühlt es sich also an, den ganzen Schwarzwald auf dem Kopf zu tragen. Tannenzapfen, Äste, zwei knallrote Wollkugeln (Bollenhut-Style) und eine kleine Kuckucksuhr thronen auf meinem Haupt, wie mir der Blick in den Spiegel neben meiner Umkleidekabine verrät. Ich zuppele den aufwendig gestalteten Kopfschmuck zurecht, den mir Designerin Kim Schimpfle soeben verpasst hat – und komme aus dem Staunen gar nicht mehr raus. „Steig mal hier rein“, höre ich sie plötzlich von unten sagen. Die 48-Jährige kniet vor mir und streift gekonnt einen Trachtenrock mit Schwarzwaldprint über meinen Petticoat. Ein Pailletten-Mieder, weiße Kniestrümpfe und eine perlenbesetzte Schürze später ist die Schwarzwaldtracht 2.0 fertig. Dass Kim diese Einzelteile von ihrem Label Schwarzwald Couture heute zum allerersten Mal miteinander kombiniert und extra für mich ein noch nie dagewesenes Outfit kreiert, spüre ich in keiner Sekunde. Wow!

Schwarzwald Couture auf der Haut

Seit 14 Jahren sind solche Wow-Effekte Kims Beruf. In ihrem kleinen Atelier mit Boutique in der Freiburger Wiehre stellt sie Schwarzwaldtrachten in aufwendiger Handarbeit her. Die haben mit der lieben, kleinen Schwarzwaldmarie allerdings nur noch wenig zu tun. Stattdessen bedient sich Kim lediglich an Schwarzwaldklischees und interpretiert sie anschließend in ihrem ganz eigenen Stil: extravagant, detailreich und manchmal auch ein bisschen schräg. Kim ist dabei Künstlerin durch und durch: „Ich sehe meine Stücke als Artwork. Manchmal geht mein kreativer Geist einfach mit mir durch. Dann ist es mir egal, ob das jemand kauft oder nicht. Witzigerweise laufen genau diese Teile häufig am besten“, sagt sie. Der künstlerische Anspruch wird Kim so immer wichtiger.

Zu ihrer Kundschaft zählen (überwiegend) Frauen zwischen 25 und 80 Jahren, die Unikate und Besonderes schätzen. „Aktuell statte ich zum Beispiel eine Kundin und ihren Mann aus Paris für deren 40. Hochzeitstag aus. Das ist natürlich krass, wenn jemand aus der Hauptstadt der Mode zu mir nach Freiburg kommt“, findet Kim. Neben Maßanfertigungen findet man bei Schwarzwald Couture auch jede Menge Kleider, Strickjacken, Röcke und Co. von der Stange, die Kim in kleiner Stückzahl bei europäischen Herstellern anfertigen lässt. Ab Größe 36 und einem Preis von 1200 Euro geht’s los, von klassisch bis Haute Couture ist für jeden Typen was dabei.

Kim Schimpfle plaudert aus dem Nähkästchen

Apropos Haute Couture: Was Kim in der Kategorie extravagant zu bieten hat, wird mir klar, als ich zu meiner heutigen Begleitung Franziska rüberlinse, die sich grade in Schale wirft. „Ich will das Outfit mit dem verrückten Bollenhut von der Schaufensterpuppe da“, weiß sie schon nach wenigen Minuten in Kims schnuckeligem Laden. 

Ein Haarnetz später hat sie ihn auch schon auf dem Kopf, den Hut aus schrillen Tüllkugeln in Farben wie blau, pink und lila. Dazu reicht ihr Kim ein Kleid mit einem von ihr entworfenen Stoff. „Black Forest is calling“ heißt es darauf, daneben ist eine Kuckucksuhr aus Neonfarben im Pop-Art-Style gedruckt. „Es gibt häufig nicht die Stoffe, die ich brauche, also designe ich sie selbst und lasse sie auf meinen Wunsch weben, sticken oder drucken“, sagt Kim, während sie Franziska den Reißverschluss zuzieht.

Bei solchen Wunschanfertigungen braucht Kim vor allem eins: einen langen Atem. So sitzt sie gut und gerne drei Wochen an einem knallpinken Tüllrock mit Blumenmuster, bestehend aus 320 Metern Tüllrüschen. Oder stolze acht Monate an einem Strickmantel aus Merinowolle mit selbstdesigntem Wolpertinger-Muster. Diese Engelsgeduld ist Teil ihres Erfolgs, denn: Kim Schimpfle ist Autodidaktin. Eigentlich wollte sie Grafikdesignerin werden, doch als sie zwei Mal in Folge bei einem Burda-Nähwettbewerb für Hobbynäher gewinnt, veranstaltet sie eine kleine Modenschau und beschließt: Das wird mein Weg. Also brachte sie sich das Nähen und Designen selbst bei. Seit insgesamt 27 Jahren macht sie nun Mode in Freiburg. Früher war sie im Bereich Ethno, Punk und japanischem Design unterwegs, seit 2010 sind es Trachten.

Tradition oder was?

Zu Mode mit Schwarzwaldbezug kam Kim durch eine damalige Kundin, die sich ein Schwarzwald-Dress von ihr wünschte. Erste Inspiration und einen Gleichgesinnten fand sie anschließend im Offenburger Künstler Stefan Strumbel. „Ich selbst bin in einer Zeit großgeworden, in der Heimatliebe noch total uncool war“, sagt die Freiburgerin. „Deshalb fand ich es super, dass jemand dieses Thema auf eine poppige Art rübergebracht hat.“ Von dort an änderte sie ihren Fokus – der Beginn von Schwarzwald Couture.

„Bist du bereit?“, frage ich Franziska, die grinsend unter ihrer modernen Bollenhut-Interpretation hervorlinst. „Los geht’s!“, ruft sie voller Elan. In hohen Hacken klappern wir die Stufen aus Kims Laden runter auf die Hildastraße und folgen unserem Fotografen Jigal. It’s Shooting Time! Wenn wir uns schon mal für die #heimat-Leserschaft in solche Outfits schmeißen, dann müssen die natürlich festgehalten werden!

Gemeinsam spazieren wir zum Alten Wiehrebahnhof und zur graffitibesprayten Fußgängerbrücke in Richtung Sternwald – und ziehen auf dem Weg natürlich alle Blicke auf uns. Zwei Touristinnen steigen von ihren Rädern, ihre Augen funkeln mehr als meine Paillettenblümchen auf dem Mieder, und flüstern sich lauter als beabsichtigt zu: „This is the typical dress in this region.“ 

Naja, nicht wirklich. Tradition spielt bei Kim, die in einer Künstlerfamilie aufwuchs, nur noch am Rande eine Rolle, erzählt sie auf dem Weg zur Shooting-Location. Ihre Mission ist eher: Trachten wieder tragbar machen. Das hat sie zunächst mit originalen Schnitten der Schwarzwälder Tracht probiert, doch die wollte keiner haben. Zu wenig Weiblichkeit und Dekolleté, war das Feedback ihrer Kundinnen. Heute setzt sie von den Schnitten auf traditionell bayrische Dirndl und bringt den Schwarzwald lediglich über ihre Stoffe und Muster ein. „Ich finde es total schade, dass der Schwarzwald das so verschläft, seine schöne Tracht weiterzuentwickeln und in eine neue Zeit zu tragen“, sagt sie. 

Cheese!

Bis heute beschäftigt sich Kim gerne mit dem Schwarzwald – manchmal auch auf ironische Art und Weise wie bei ihrem aktuellen Lieblingsdirndl, das mit dem Spruch „Heimat. Lost in Paradise“ und einem Fotodruck von einem prall gefüllten Vespertisch spielt. „Mir gehen die Ideen noch lange nicht aus und das Thema reizt mich immer wieder.“ 

Inspiration findet sie nicht nur auf den Laufstegen dieser Welt und im Netz, sondern oft auf ihren Wanderungen. So druckt Kim auch mal Schwarzwald-Postkarten oder den Schluchsee auf einen Stoff und näht draus Röcke und Kleider. „Es macht was mit einem, wenn man sich mit der eigenen Heimat beschäftigt“, findet Kim. Genau diese Emotionen machen für viele ihrer Kundinnen den Reiz aus. „Es ist quasi ein Stück Heimat auf der Haut“, sagt sie, als sie Franziska und mir die Schürze für das perfekte Foto bindet. „Und jetzt: Lächeln!“

Schwarzwald Couture

Wer Kim Schimpfle einen Besuch abstatten mag, findet sie dienstags bis freitags von 11–13 und 14–18.30 Uhr oder samstags von 11–14 Uhr in der Hildastraße 62 in Freiburg. Weitere Infos gibts online unter: www.schwarzwaldcouture.de.

#heimat Schwarzwald Ausgabe 46 (5/2024)

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