Schwarzwälder Wundertüte: Ein Wochenende in Nagold

Ob Bergsteigen, über Bäume fliegen oder Tretboot fahren: In Nagold wird euch sicher nicht langweilig. Und dann wär da ja auch noch die wüste Urschel…

Fotos: Jigal Fichtner, Rohollah Masavi

Von unten sah es so einfach aus: Einmal über die Nagoldbrücke und dann ein paar nette Waldwege zur Burgruine Hohennagold rauf. Das Wandern ist schließlich der Heckers’ Lust und ein prima Ausgleich zum Schreibtischjob. Doch dieser Schlossberg ist echt ein Biest. Auf den letzten Metern japse ich leise vor mich hin und wünsche mir ein paar standesgemäße Sänftenträger. Oder wenigstens einen Esel. Irgendwie müssen die ganzen Vons und Zus im Mittelalter ja auch hier hochgekommen sein …

Dass ich die ganze Aktion viel bequemer hätte gestalten können, erfahre ich erst hinterher: Gut 300 Meter hinter der Burg ist ein Waldparkplatz. Mit einem ebenen, schnurgeraden Weg zur Ruine. Ist notiert fürs nächste Mal.

Freitagnachmittag

Aber dieser Ausblick über das Heckengäu und den nördlichen Schwarzwald entschädigt für die Plackerei. Wie riesig diese Burganlage gewesen sein muss, wird erst deutlich, wenn man hier ist. Eine Audiotour (per QR-Code auf den Info-Tafeln herunterzuladen) führt durch die Ruine. Im 5. Jahrhundert lebten hier die Kelten. Von deren einstiger Siedlung ist aber nichts mehr übrig. Ihre Blütezeit hatte die Burg im Mittelalter. Als klassische Wehrburg errichtet, hielten sich erst die Nagoldgaugrafen und später die Grafen von Württemberg die Angreifer vom Leib.

Aber die Herrscher hatten offensichtlich auch einen Sinn für die schönen Seiten des Lebens: Es gab einen Turniergarten, einen Palas – sprich: ein Schloss mit vielen Zimmern –, Fruchtböden, eine wirklich riesige Küche und einige Annehmlichkeiten mehr. Doch kurz vor Ende des Dreißigjährigen Kriegs griffen die kurbayerischen Truppen die Burg an und es war Schluss mit lustig. Eigentlich möchte ich noch auf den Bergfried rauf. Meine Beine sind da aber anderer Ansicht …

Freitagabend

Mein Kalorienkonto will wieder aufgefüllt werden. Und außerdem habe ich Durst wie eine Bergziege nach der Alpenüberquerung. Direkt im Zentrum lockt das altehrwürdige Hotel Alte Post nicht nur mit seiner schmucken Fachwerkfassade, sondern auch mit einem wunderbaren Terrassenplatz. Noch mehr erste Reihe geht nicht! Das kühle Bier nebst einem köstlichen Zwiebelrostbraten auf Bauernbrot lassen so richtig Urlaubsstimmung aufkommen.

Die Alte Post – 1697 errichtet – hieß ursprünglich Gasthof zur Sonne und wurde 1807 Poststation an der Route Stuttgart–Freudenstadt. Und wer hier schon alles war: Der König von Württemberg zum Beispiel. Der hat es hier angeblich richtig krachen lassen. Hier schlage ich nun auch mein Hauptquartier auf. Das Krachenlassen schenke ich mir. Morgen steht die Eroberung Nagolds an …

Samstagmorgen

Die Nacht war herrlich in diesem alten Gemäuer. Nach einem wunderbaren Frühstück schlendere ich durch die Gassen, bewundere die prächtigen Fachwerkhäuser und den zauberhaften Blumenschmuck. Vor zehn Jahren richtete Nagold die Landesgartenschau aus, und da scheint das Blumenvirus übergesprungen zu sein: Es gibt hier zig Veranstaltungen rund um Blumen, Pflanzen und Gärten. In manchen Wochen sieht die Stadt aus wie ein Blumenladen. Ein Muss ist ein Rundgang durch den Kleb, wie das einstige Gelände der Gartenschau an der Nagold heißt.

Apropos: Ich will an diesem heißen Tag raus aufs Wasser – Tretbootfahren! Am Restaurant Longwy kraxele ich auf einen überdimensionierten Plastikschwan und hoffe, dass es uns beiden nicht so ergeht wie einst seinem Kumpel auf dem Maschsee in Hannover, als ein echter Schwan sich unsterblich in so einen Tret-Kollegen verliebte und ihn – sagen wir es ruhig: stalkte. Die Schwäne auf der Nagold und seinem Zufluss, der Waldach, gucken nur. Glück gehabt! Herrlich, nur durch eigene Muskelkraft übers Wasser zu gleiten. Die Beine haben mir den gestrigen Gewaltmarsch offensichtlich nicht allzu übel genommen.

Samstagmittag

Flammkuchen geht immer. Zufälligerweise gibt’s die besten der Stadt im Longwy. Also raus aus dem Boot und rauf auf die Terrasse! Ich wähle die vegetarische Variante, die hervorragend schmeckt und mit üppig Rucola daherkommt. Das ist wie Landesgartenschau auf dem Teller. Ich muss ein hinreißender Anblick sein, wie ich hier wie ein Riesenkaninchen sitze und genussvoll vor mich hinmümmle. Ein paar Kinder spielen am Fluss, die Vögel zwitschern und ein leichter Luftzug streift durch die Bäume – und ich spüre: Das Leben ist schön!

Bevor ich vor lauter Wochenendglück noch in einen kompletten Entspannungsmodus verfalle, schmeiß’ ich mich lieber ins Getümmel. Auf dem Wochenmarkt kaufe ich noch ein paar regionale Spezialitäten ein, die ich für meinen morgigen Ausflug brauchen werde. Denn da wird’s sportlich. Ein bisschen schlendern, etwas verkosten, ein Schwätzle halten: Mein Mini-Urlaub ist genauso schön, wie ich ihn mir vorgestellt habe.

Nagold hat mich jetzt schon gewonnen. Aber eine Frage bewegt mich: Wer ist eigentlich diese „wüste Urschel“? Es gibt einen Urschelherbst, eine Urschelstiftung, einen Urschel-Brunnen und sogar einen Urschelspendenlauf. Die Urschel, so erfahre ich, hieß Ursula und war die einzige Tochter eines ziemlich eitlen Grafen auf der Burg Hohennagold. In Sachen Optik hatte sie wohl nicht das große Los gezogen. Wegen ihres unschönen Äußeren wurde sie von Volk, Hofstaat und ihrer Familie verspottet und obendrein nur „wüste Urschel“ genannt. Sie zog sich zurück, widmete aber ihr Leben den Ärmsten und half, wo sie nur konnte. Als die Urschel einsam starb – man munkelt, sie habe selbst nachgeholfen – trauerten die Armen lange um sie. Heute gilt die einstige Wohltäterin als die Identifikationsfigur der Stadt.

Samstagnachmittag

Wie schön, dass hier entspannte Urbanität und Natur so eng beieinander liegen. Nur ein paar Schritte aus der Altstadt raus mache ich einen Spaziergang durch den Kleb. Neben üppig bunt bepflanzten Beeten und Schatten spendenden Bäumen wurden Skulpturen und kunstvoll anmutende Sitzgelegenheiten angeordnet. Sogar eine Outdoor-Kirche gibt es. Sehr idyllisch! Ein paar Schritte weiter entdecke ich einen Minigolfplatz: Ewig her, dass ich das gespielt habe. Soll ich oder lieber nicht? Ich spaziere erst mal weiter Richtung Südosten, immer in der Nähe der Waldach entlang. Da gibt’s beim Viadukt noch mehr Gartenschaugelände. Unter anderem steht hier das ausrangierte „Altensteigerle“, eine Schmalspurbahn, die bis Ende der 1960er-Jahre Nagold mit Altensteig verband. Putzig! Mir hat es aber besonders der Platanenkubus angetan. Wahnsinn, was man mit Bäumen so alles machen kann.

Auf dem Weg zurück zum Minigolfplatz entdecke ich ein wunderbares Bistro. Direkt an der Waldach gelegen, ist das Café Insel perfekt für einen abendlichen Cocktail in lauschiger Atmosphäre.

So! Mal sehen, ob meine Minigolfkünste eingerostet sind. Nach drei Bahnen stelle ich fest: Sie waren wohl nie da. Wenn ich den Ball mal treffe, fliegt der überall hin, nur nicht dahin, wo er soll. Ich habe nicht Handicap zwei, sondern zwei Handicaps: den Schläger und den Ball. Den Cocktail habe ich mir jetzt redlich verdient. Insel-Chefin Tanja empfiehlt mir ihren selbst kreierten „Waldach Spritz“. Sommerlich fruchtig mit wenig Umdrehungen und absolut köstlich – davon genehmige ich mir doch glatt einen zweiten! Essen gibt’s natürlich auch: Tanja achtet sehr darauf, dass überwiegend regionale Produkte in ihrer Küche verarbeitet werden. Daraus zaubert sie wunderbare kleine Speisen wie Antipasti und Pinsa. Feine schwäbisch-italienische Fusionsküche – so gehen Genussmomente!

Sonntag

Noch mal wandern? Ist keine Option. Auf dem Eisberg wird es heute herausfordernd genug. Ich bin mit Lukas Kontny verabredet: Er betreibt den Erlebnispark Nagold und bietet dort Bogenschießen, Hochseilklettern und den Zip-Liner „Flying Fox“ an. Genau mein Ding! Nach einer Sicherheitseinweisung geht’s ab ins Gelände. Die Naturseilbahn und der Klettergarten sind zusammen aufgebaut, man kann also genau das ausprobieren, wozu man gerade Lust (oder Mut) hat. Ich kraxele, ich balanciere, ich fliege durch die Gegend: Was für ein Spaß! Zum Bogenschießen komme ich gar nicht mehr. Auf einer kleinen Lichtung genehmige ich mir mein Wochenmarkt-Vesper mit Spitzenaussicht.

Zur Ruhe kommen, runterkommen und Abschied nehmen. Das mache ich im lauschigen Zeller-Mörike-Garten unterhalb des Eisbergs. Der berühmte Dichter Eduard Mörike war hier oft mit seinem Freund, dem Nagolder Apotheker Gottlieb Heinrich Zeller, lustwandeln. Die Anlage ist sehr liebevoll gestaltet mit dem kleinen Gartenhäuschen und der Laube, den Obstbäumen und akkurat gepflegten Heilpflanzen-Beeten. Es wirkt fast so, als seien die beiden Herren gerade nur mal kurz weggegangen. Ich bin dann auch mal weg. Aber nicht für lange ...

Vielfältig!

Nicht nur die Zahl hat was Magisches: Nagold im Kreis Calw liegt zwischen sieben Bergen, die man in sieben Stunden erwandern kann. Auch die 23 000-Einwohner-Stadt selbst ist zauberhaft: Historisches Flair, mystische Wälder, üppiger Blumenschmuck, herrliches Fachwerk und eine lebendige Kulturszene geben sich hier die Hand. Erholung, Sport und Spaß bieten zudem fünf Naturschutzgebiete und zwei sehenswerte Landesgartenschau-Areale.

Weitere Tipps

Hotels

Hotel Adler (Badgasse 1): Charmantes Fachwerkhaus im Zentrum. Saisonale Küche.

Pfrondorfer Mühle (Pfrondorfer Mühle 1): Landhotel mit historischem Mühlenambiente, Terrasse direkt an der Nagold und schwäbischer Küche.

Restaurants

Bahnhof 1872 (Bahnhof 1): Feine Steaks, stylishes Ambiente mit Bahnhofsflair von anno dazumal.

Ostaria da Gino (Querstraße 3): Tolle „Cucina a la Mamma“ und familiäres Feeling in einer früheren Backstube.

Restaurant Burg (Gerichtsplatz 8): In Nagolds guter Stube gibt’s Schwäbisches und Mediterranes auf hohem Niveau. Sehr hübsch: das Burggärtle.

Gasthof Eisenbahn (Olgastraße 1): Fast wie früher – gutbürgerlich und ordentlich was auf dem Teller. Egal: Die Küche kann was!

Kugo Sushi Bar (Bahnhofstraße 2): Das Ambiente haut uns nicht vom Stuhl – die japanische Küche schon.

Cafés

Café am Kleb (Schlossberg 11): Super Kuchen, kleine Mittagsgerichte, loungige Atmosphäre im Grünen – hat das Zeug zum Lieblingsplatz!

Texeria (Vogelsangweg 23): Modern, gesund, nachhaltig und sehr lecker. Tolles Frühstück und feine Snacks.

Museen

Museum im Steinhaus (Badgasse 3): Stadtgeschichte von den Anfängen bis heute im ältesten Haus Nagolds.

#heimat Schwarzwald Ausgabe 33 (4/2022)

Wir feiern den #heimat-Sommer – und entdecken die Karibik vor unserer Haustür. Wo genau? Das müsst Ihr unbedingt in unserer neuen Ausgabe nachlesen! Dass wir noch mehr für die heißen Tage für Euch haben, keine Frage! Heiße Burger zum Beispiel aus Karlsruhe. Oder heiße Reifen bei unserem kleinen Enduro-Abenteuer. Und unsere Füße haben wir uns auch noch ganz heiß gelaufen, darauf ein kühles Bier aus Ottersweier – von Männern, die sich was brauen. Ihr seht schon: Mehr #heimat-Sommer geht kaum. Also lasst ihn uns genießen!

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