Sagenhaft wandern in der Ortenau

Die Ortenau ist ein Land der Geschichten und Sagen. Wir haben uns mal umgehört – und sind auf eine Sagenwanderung gegangen

Text: Pascal Cames · Fotos: Galina Ens

Es war einmal ... So fangen Märchen an. Wie fängt aber eine Sage an? In der Ortenau sind mehr als 1000 Sagen bekannt. Das sind meistens kurze Erzählungen, die von Rittern, Burgfräuleins und Zwergen handeln, die vom gierigen Menschen berichten oder vor Schlangen und Wölfen warnen. Die Sagen haben einen klaren geografischen Hintergrund. Das Felsenfräulein versteinerte in Hornberg, der Mummelseegeist spukte am Mummelsee und die Laufer Geisterhochzeit fand auf dem Laufer Schloss statt. Seit diesem Jahr führen in der Ortenau 32 Rundwanderwege zu den Originalschauplätzen der Sagen – neu ausgeschildert und in einer schicken Broschüre vereint. Zusammengestellt wurden sie vom Tourismusbüro des Ortenaukreises und dem Sagensammler Willi Keller. 

Die Burg ruft

Unsere Tour (10 Kilometer) startet beim alten Schulhaus (Ortsmitte) von Obersasbach und geht ein Stück der Straße entlang. Dort entdecken wir den Kürbisbaron alias Jürgen Engelmeier an seinem Straßenstand mit Obst. Alles vom eigenen Acker! Köstliche Erdbeeren hat er. Wenn es jetzt noch einen Zapfhahn mit Sahne hätte, wir würden keinen Meter weiterlaufen. Aber nicht der Berg ruft, sondern die Burg. Oder wie man hier so sagt: das Laufer Schloss. Der Weg verschwindet beim Kloster Erlenbad im Wald. Kühl, dunkel, angenehm. Das Bächle plätschert und die Vögel pfeifen es von den Wipfeln, wie schön es hier ist. Wenn wir einen Blick aufs freie Feld erhaschen, dann schauen wir auf die Saschwaller Weinberge. 

Wieder im Freien haben wir einen großen Riegel von Gebäude vor Augen. Das ist nun ein richtiges Schloss! Der letzte bekannte Schlossherr war Dieter Thomas Heck, der hier von 1986 bis 2009 residierte und Lauf in der Schlagerwelt so bekannt machte wie ein Bett im Kornfeld. Davor stand das Gebäude leer,  in den späten 1960er-Jahren hauste hier eine indische Sekte, von Kindern damals Indianer genannt. Hier ist der Schauplatz der Gallheimer Sage. Besagter Gallheimer war ein Adliger, der einen Hirsch tötete, dann selbst qualvoll starb und seitdem herumgeistert. 

Womit alles anfing

Sagen wie diese sind für den Sagensammler der Ortenau, Willi Keller, ganz typisch. Adlige, Ritter, Müller oder auch Hexen sind die Protagonisten dieser Geschichten. Der ehemalige SWR-Redakteur kam durch Zufall zum Thema und es ließ ihn nicht mehr los. 1984 machte er die „Sagen des Renchtals“ bekannt und sie ihn. Seitdem weiß man, dass er die Sagen sammelt wie Kinder Pokémonkarten. Er stöberte in Archiven, hörte Leuten zu und entzifferte damals vor 40 Jahren gemeinsam mit seiner Mutter alte Texte, die noch in Sütterlin geschrieben wurden. „Sagen haben immer einen wahren Kern“, weiß Keller. Zum Beispiel bezieht sich der „Goldene Ritter“ auf die Zeit des sagenhaften Reichtums in Prinzbach durch den Bergbau. Gier, Liebe, Eifersucht, Rache oder auch Naturgewalten, Kriege, Hungersnöte waren der Stoff für diese kurzen Geschichten. Und was heute kaum einer weiß: Sagen wurden damals nicht als Sagen erzählt, sondern als wahre Begebenheiten. (Winter-)Abende ohne Netflix waren in alten Tagen länger als heute. 

Aber der Weg hat nicht nur Sagen zu bieten, sondern auch Geschichte. Die Laufer Kirchstraße war früher ein kleines Industriegebiet. Oben war die Schlosserei Doll, dann kam „die Gummi“, ein Zulieferer der Autoindustrie, wo Laufer Frauen Gummiteile für Dichtungen zuschnitten. Nach dem „Bickele“ (dem kleinen Buckel) geht es das Schlangenpfädle abwärts, dann den Wald hoch und den Laufbach entlang mit seinen Gumpen. Wäre so ein Bach auf Korsika, dann würde im Reiseführer Folgendes stehen: verwunschener Badeplatz. 

Über eine große Schleife geht es hoch zum Laufer Schloss, das offiziell Neuwindeck heißt. Um 1300 erbaut, circa 1580 schon Ruine. Der graue Stein ist mächtig, aber von den Mauern ist weniger als die Hälfte übrig. Nur der Turm steht wie eine Eins. Am Wochenende wird er für Besucher aufgesperrt. Auch wegen der sagenhaften Aussicht! Hier spielte sich die Geschichte jenes namenlosen Ritters ab, der auf die Burg kam, zum Essen eingeladen wurde, sich Hals über Kopf ins Burgfräulein verknallte und dann vom Bischof getraut wurde. Und alles in einer Nacht! Womöglich war es das erste Speed Dating überhaupt. Als er am nächsten Morgen erwachte, waren Burg und Menschen verschwunden. Aus meiner Kindheit kenne ich die Geschichte mit einem anderen Ende: Punkt Mitternacht löst sich alles in Luft auf und der Ritter flüchtete entsetzt auf seinem Pferd. Bekanntlich ist der Schlossberg steil und so stürzten Ross und Reiter über einen Felsen in die Tiefe. Aber wer weiß, ob es so war? „Die Quellenlage ist kompliziert“, würde Willi Keller sagen.