Nikolaus mal anders

Böse, böse, trallallalla: In Steinach sind die Klausenbigger los. Unser Autor hat nicht so gute Kindheits-Erinnerungen

Text: Peter Marx · Fotos: Jigal Fichtner

Was war es nun? Ein Weihnachtsmärchen, ein Drama, ein Horrorstück oder eine Familienkomödie? Aus heutiger Sicht bot der jährliche Besuch der Steinacher Klausenbigger in meiner Kindheit genügend Stoff für alle Darstellungsformen. Schon die Besetzungsliste hatte es in sich: die Klausenbigger als böse Schläger. Der Vater als Verräter. Die Mutter als schweigende Mittäterin. Die Oma in wechselnden Rollen. Der Opa als letzter Ritter. Und das Opfer: der brave Peter, der Sohn der Familie. 

Der akustische Prolog: die lauten, langgezogenen „quiek, quiek, quiek“-Rufe, dazu das bellende „Brr-brr“ samt Kettenrasseln des Rubelz, der gefährlichsten Klausenbiggergestalt. Heute üben wir das Quieken im Steinacher Feuerwehrhaus. Ich brülle so laut ich kann und ernte lediglich ein mildes Lächeln von Fabian Griesbaum. Der 26-jährige Bigger brüllt los, lauter als die Alarmsirene. 

Und plötzlich sind alle Kinder brav

Immer Anfang Dezember ziehen die Klausenbigger durch die Straßen von Steinach. Schon die Geräusche töteten bei mir früher jede Weihnachtsstimmung. Zwei Tage vor dem Klausenbigger-Besuch war ich – und nicht nur ich – der liebste Sohn. Schularbeiten, Geschirr abtrocknen, Feuerholz holen, Hof fegen: Nicht ein Widerwort gab’ s, dazu das freiwillige Gebets- und Gesangstraining bei Oma. Bis zum Besuch mussten Gebet und Weihnachtslied sitzen. Sonst: verschärfte Bedingungen. Sie würden wieder kommen, das war mir klar. Diese mystisch wirkenden Gestalten, von denen Bernd Obert vom Geschichtsverein sagt, es wäre „einer der ältesten Bräuche von Steinach.“ Wann genau die ersten Klausenbigger durch die Straßen zogen, ist nicht bekannt. Aber Bernd Obert schätzt, dass es so um das Jahr 1750 gewesen sein muss. 

Als Kind hätte ich liebend gerne verzichtet. Heute sehe ich darin einen schönen Brauch, den es zu erhalten gibt. Vor allem seit die Klausenbigger ihre Auftritte softer gestalten. Obert: „Es war immer ein derber, rauer Brauch und so verhielten sich auch die Klausenbigger.“ Jetzt werden sie schon mal von den Eltern ermahnt, Rücksicht zu nehmen. „Was für uns selbstverständlich ist“, betont der 22-jährige Nikolaus Felix Herde. Sein Kollege Christian Maas, 30, ergänzt: „Aber es gibt auch rotzfreche Kinder, wo die Eltern vorher sagen, die brauchen eine Lektion.“

Eine seltsame Truppe

Zwei Klausenbigger-Teams ziehen durchs Dorf. Eine Gruppe stellt die Feuerwehr, eine andere der Musikverein. Felix, Fabian, Florian und Christian sind teilweise schon sechs Jahre und länger dabei. Alle geben zu, dass sie heute froh sind auf der anderen Seite zu stehen. Will heißen: Sie hatten als Kinder genauso Angst und die stieg bei mir vor mehr als 50 Jahren, je näher die Klausenbigger der Kolpingstraße kamen. Zitternd saß ich auf der Couch, neben mir Opa, der mich tröstete. „Isch doch glich rum.“ Letzte aufmunternde Worte meiner Mutter, Drohungen vom Vater: „Denk an deine Sünden“. Gleich beginnt der erste Akt …

Früher reichte das Licht im Wohnzimmer und die Klausenbigger kamen herein, heute geht es über Voranmeldungen. Im Feuerwehrhaus stellt Bernd Obert die einzelnen Figuren vor: Die ganz in Weiß gekleideten St. Nikoläuse mit ihren Mitras, die von hinten aussehen wie die Vertreter einer texanischen Rassisten-Bewegung.

Die Nikoläuse teilen sich den Job: Der mit dem Stab ist der Gute, der mit dem Weidenkorb und den Reisigruten ist der Böse. Er droht mit seiner Rute, die später die Eltern erhalten. Der Rubelz mit schmutzigem Schafsfellmantel und schwarzer Maske hat Schilfbüschel um den Bauch gewickelt. Er trägt rostige Ketten, an denen er unartige Kinder anbindet. Der Bigger ist die ungewöhnlichste Figur. Er trägt einen mit Stroh ausgestopften langen Kopf, mit aufgenähten Augen, Nase, Mund und Ohren mit Bommel. Alles feuerrot. Der Kopf steckt auf einer Heugabel und wiegt 20 Kilo. Oder, wie Fabian erklärt: „Ein Bigger braucht Muckis.“

Kinder in Ketten?

Der zweite Akt begann an der Haustreppe. Mein Vater empfing die Klausenbigger. Und obwohl er leise sprach, konnte ich hören, wie er meine Fehltritte aufzählte: die Fünf in der Schule, die Prügeleien und natürlich die Geschichte mit der Rute. Gleich nach Weihnachten hatte ich sie angesägt. Das trockene Reisig zersprang bei der ersten Benutzung. Einer der Nikoläuse sagte verärgert: „Er zerstörte ein Geschenk von uns!“ Den Rest des Besuches nahm ich an der Kette gefesselt nur noch verschwommen war …

Die Saison der Klaussenbigger beginnt am 1. November in der Lehrküche der Steinacher Schule. Hier trifft sich das Team zum Plätzchenbacken. 300 Päckle mit jeweils einem Dutzend Butterplätzchen, Apfel und weiteren Köstlichkeiten. Insgesamt 30 Kilo. Auch die Ruten werden selbst hergestellt. 

Der Opa tröstete, der Vater lachte

Zu den Plätzchen bin ich nicht vorgedrungen. Im vierten Akt kam die zersägte Rute immer wieder zur Sprache. Ganz übel! Dazu noch: kein Weihnachtslied gesungen, kein Gebet gesprochen. Ich war wie gelähmt. Erst Omas Zimtsterne lösten meine Starre und ich schaffte noch, „ade“ zu sagen. Ich entspannte erst, als die Klausenbigger zwei Häuser weiter waren. Opa tröstete mich und versprach mir, mich weiter zu beschützen. Der Papa lachte, als er die Rute in den Keller brachte. Und irgendwie hatte ich wieder das Geräusch von brechendem Reisig im Ohr. Aber ich war ja der brave Sohn und nicht dieser Flegel, den die Klausenbigger jedes Jahr in mir vermuteten. 

Ende der Vorstellung. Mit einer Ergänzung: Viele Jahre später erzählte ich meiner Frau von meinen Klausenbiggererlebnissen. Ihr tiefgründiger Kommentar: „Jetzt verstehe ich einiges ...“ Ich nicht!

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