Mit Abstand betrachtet

Wie soll man in einem einen Quadratmeter großen Aufzug bloß 1,50m Abstand halten? Das fragt sich unsere Kolumnistin im Zuge der neuen Corona-Regeln. Grundsätzlich findet sie die Idee mit dem Social Distancing aber gar nicht so verkehrt – und merkt bald, wie viel Freiheit in der vermeintlichen Unfreiheit liegt…

Evolutionsbiologisch gesehen, hat der Mensch irgendwie die A….-Karte gezogen: Weder ist er besonders schnell (von einigen Ausnahmen abgesehen), noch hat er Klauen und Zähne oder ein wärmendes Fell. Warum er es auf diesem Planeten trotzdem so weit gebracht hat? Ganz einfach: Er ist eine Problemlösungsmaschine. Höchst anpassungsfähig und sehr kreativ. Kreativität war nie gefragter als jetzt: Denn die rettet den Hintern. Und manchmal auch den Kopf, wenn der mal wieder versucht, Männchen zu machen.

Besonders gut wird es, wenn Kreativität aufs Humorzentrum trifft. Den Aufzug unseres Hauses dürfen höchstens zwei Menschen auf einmal benutzen und müssen dabei einen Mindestabstand von 1,50 Meter einhalten. Bei einer Grundfläche von 1,10 auf 1,05 Meter und einer Höhe von zwei Metern ist das nur was für zwei magersüchtige Schlangenmenschen – einer ordentlich gefaltet am Boden, der andere an der Decke klebend.

Andererseits gefällt mir die Sache mit dem Abstand. Wenn’s zu eng wird, soll man sich ja wegdrehen. Herzlich gern! Ich lenke daher den Blick aufs Schöne, das uns hier umgibt. Davon haben wir im Schwarzwald schließlich reichlich. Rauf auf die nächste Anhöhe und sich in Ruhe die Gegend anschauen: alles wirkt von oben kleiner und ruhiger. Die Sonne die Nase kitzeln lassen, den Vögeln zuhören, Bilder machen. Barfuß laufen, den Boden spüren, sich wieder erden. Schon mal die Pfifferlingsplätze vom vergangenen Jahr inspizieren. Und einfach mal merken, wieviel Freiheit in der vermeintlichen Unfreiheit liegt. Jeder Neuropsychologe sagt ja, dass kleine Auszeiten (mein Opa nannte das „auf der faulen Haut liegen“, der Ahnungslose…) die Kreativität ungemein fördern.

Und da sehe ich schon goldene Zeiten vor uns liegen: Auf den Martini- und Weihnachtsmärken wird es Stände mit Trillionen von Nudelketten, und -broschen geben. Dazu Wandteppiche und Makramee-Gebilde aus Klopapier, Türschilder aus Salzteig. Die nicht ganz so handwerklich Begabten werden das Einmaleins des Crowdfundings beherrschen und es wird Protestaktionen geben – Titel: Fridays for Pflegefachkraft! Oder auch nicht. Auch das liegt immer noch an uns und unserer Kreativität.

Um noch mal auf meinen Opa zurückzukommen, der in Sachen Neuropsychologie nicht so bewandert war, aber eine gewissen Grundumsatz an Humor hatte. Er pfiff oft den Udo Jürgens-Schlager vor sich hin: „Und immer, immer wieder geht’s die Sonne auf…“

#heimat Schwarzwald Ausgabe 20 (3/2020)

Wir entdecken den Schwarzwald neu, kochen Spargel, lernen das Überleben unter Tannen und messen uns mit Gegnern von gestern. 

#heimat, der Genussbotschafter für den Schwarzwald 

In der Zeitschrift #heimat geht es um Genuss in der Region, um (kulinarische) Traditionen und gute Adressen, um Manufakturen und Menschen. Idee und Konzept für #heimat stammen von Chefredakteur Ulf Tietge und seinem Team. Das Magazin wurde 2016 mit dem Ortenauer Marketingpreis ausgezeichnet und ist inzwischen bundesweit erhältlich.

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