Oh, wie schön ist Freudenstadt!

Arkaden und Marktplatz sind wie in Italien. Die Kulinarik aber ist typisch schwarzwälderisch

Text: Pascal Cames · Fotos: Jigal Fichtner

Schwarzwäldern muss man nix verzehle (hochdeutsch: erzählen), die wissen schon immer: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Wer aber fast zu spät kommt, wird eventuell belohnt. Der Freudenstädter Wochenmarkt jedenfalls ist kurz nach Mittag fast fertig, aber beim Stand der Familie Bohnet gibt’s noch was. Wie schmeckt die Schnecke vom Bauernhof? Rustikaler als gewohnt, aber nicht schlechter. Freudenstadt ist eben immer für eine Überraschung gut. Aber mir geht’s wie allen Touristen. Wenn man schon mal da ist: dann will man die Spezialitäten. Die heißen Spätzle, Linsen, Rostbraten – und Kirschtorte. Warum also Zitronencake?

Freitag, 15:00 Uhr

Ein bisschen Zucker ist gut, denn mir wird ja schon schwindlig beim Anblick des weiten Felds. Das ist also der weltberühmte Freudenstädter Marktplatz, der größte umbaute Marktplatz Deutschlands! Die Arkaden fallen mir auf, der Mammutbaum und das X, das für die Landesgartenschau 2025 steht. Der Mammutbaum ist noch jung, der wird noch wachsen, erfahre ich später. Auch Freudenstadt ist jung, habe ich mir schon angelesen. Aus der Ortenau kommend hat man natürlich schon mal ä bissl von FDS gehört.  Aber ist es wirklich der schwäbische Vorposten? Das Nizza des Schwarzwalds? Schau mer mal nach, und zwar im Museum im Stadthaus. 

Wie alle Heimatmuseen ist auch dieses ein Fenster mit Aussicht in die Vergangenheit. Vieles, was heute sinnlos auf der Bühne (hochdeutsch: Speicher) liegt, hat hier seinen Sinn. Das alte Werkzeug, die Landkarten, deren Grenzen nicht mehr gelten, und Preisschilder für Weine, die Anno Tobak gegurgelt wurden. Es waren in der Mehrzahl badische, lese ich auf einem Plakat aus dem 19. Jahrhundert. Aber in diesem Museum entdeckt man auch Dinge, die es nicht gegeben hat und auch wohl nicht geben wird. Stadtmodelle. Warum so viele? Gehen wir zurück zum 16. April 1945.  Die Nazis im Deutschen Reich wollten die Niederlage nicht akzeptieren und kämpften bis aufs Messer. Auch in Freudenstadt. Und so kam, was kommen musste: Bomben auf die Stadt. Tragischerweise wurde die Wasserleitung getroffen und so konnten die Bewohner zusehen, wie Zeile um Zeile ihrer schönen Stadt abbrannte. Was tun? Nach dem Krieg gab es mehr als
30 Vorschläge, wie man wieder aufbauen könnte. Manche wollten den Marktplatz minimieren oder gar ein Herz aus Häusern draufsetzen. Aber ein gewisser Ludwig Schweizer setzte sich durch, weil er sich am Original orientierte. Darum ist es heute auch so hübsch in Freudenstadt.

Freitag, 18:00 Uhr

Nach diesem Exkurs in die Stadtgeschichte lande ich in der Marktwirtschaft, die ihren Platz am unteren Markt hat. Innen hat man großzügig alles neu gemacht und als Wandbild eine Art Draufsicht auf einen Wald gewählt. Ist das ein Blick auf den Urwald, der hier vor 500 Jahren wuchs? Vielleicht. Beim Essen ist man schon eindeutiger. Die urschwäbische Kernkompetenz Linse mit Spätzle und Wienerle (Saitewürschtle) schmeckt sehr gut und der rustikale Charme der Frau Wirtschaft glänzt wie der Stern beim Daimler. Ein Pils bitte! „Kriegen wir hin“, sagt sie.  Als ich ihr erkläre, dass ich die riesige Portion nicht geschafft habe (ich bin ja nicht Bud Spencer), sagt sie nur: „Lassen wir durchgehen.“ 

Samstag, 09:00 Uhr 

Als Einstimmung für meinen Tag wandere ich unter den Arkaden im Uhrzeigersinn um den Platz.  „Wie in Bologna“, erklärt mir Stadtführerin Sandra Genkinger.  Arkaden sind praktisch, erfahre ich, vor allem bei Regen. Sandra zeigt mir die Ecken und Plätze der Stadt und steigt mit auf den 43 Meter hohen Rathausturm. Das ist eigentlich nicht wirklich hoch, reicht aber um die Wildnis der schwarzen Wälder zu sehen, das Schwimmbad, den Kienberg und die Gäulandschaft sowie dahinter die Schwäbische Alb. Besagte Alb ist für die Freudenstädter so wichtig wie für die Villinger der Alpenblick und für die Straßburger der Schwarzwald. Der Wind pfeift, aber die Sonne scheint. Herrlich! Was kommt jetzt? 

Jetzt gehen wir shoppen. Dabei entdecke ich Heimatherzen, Holzarbeiten und Hochprozentiges. Im Laden Ginger & Fred werde ich von Tim Fahrions Charme wie von einer Atlantikwelle überrollt. Das ist mal ein Überzeugungstäter in Sachen Barkultur! Er hat alle Klassiker, um eine Bar zu bestücken, dazu Raritäten wie Whiskey aus Indien sowie eigenen Gin. Ein paar Meter weiter lasse ich mich zu einem Scheibel Himbeergeist verführen. Dieser schmeckt so fruchtig,  dass ich nie und nimmer auf die 40 Prozent tippe, die er hat. Ist aber so! Aber zum Glück gab’s vorher etwas auf die Hand von der Metzgerei Buck, wo im Schaufenster ein Pokal für die sagenhaft gute Fleischwurst steht. Schwäbische Peitschen, Nackte und Zwiebelinge sind die Co-Stars. Wie schmeckt‘s? So lecker, dass das Weckle mit Fleischwurst keinen Senf braucht. Gleichzeitig aber frage ich mich, ob es auch Leben außerhalb des Marktplatzes gibt? 

Samstag, 12:00 Uhr

Die nächsten Stops heißen Schmaus und Café Zeitraum. Im Schmaus hole ich mir nachträglich die Beilage zur Wurst. Es handelt sich um ein Glas mit gewürfelten Roten Beten (knackig, kräftig) mit einem Rädel Ziegenkäse als Topping. Eine gute Verbindung. Es hat auch Bowls, Sandwiches und Bagels. Im Café probiere ich zum Easy Listening einen veganen Zitronencake. „Viele kommen her, weil wir Hafer- oder Mandelmilch haben“, erzählt der Chef. Aber ich kenne die wahren Gründe: Sie liegen alle in der Vitrine und haben Unmengen an Kalorien. Hier gibt es nicht nur eine Torte mit Kirschwasser, sondern auch mit Gin. Was habe ich hier nur alles verpasst!

Samstag, 14:00 Uhr 

Einfach über die Straße gehen und schon bin ich einer anderen Welt. Wie die Zeit vergeht, denke ich beim Anblick der hundert Uhren im Uhrengeschäft Krieg. Vorne sind die neuen Chronometer ausgestellt, hinten sind Museum und Werkstatt. Alls tickt und tackt und dann kommt schon ein Kuckuck raus und noch einer. Das kleine Privatmuseum zeigt die alte Schwarzwälder Kernkompetenz. Eine Wand ist mit Schilderuhren bestückt, die andere mit Kuckucksuhren. Auch in die Werkstatt darf ich reinschauen. Der Uhrmacher verdient sein Geld weniger mit dem Verkauf von neuen Zeitmessern, sondern mehr mit Reparaturen. Sein Sohn ist schon eingestiegen, es geht also weiter! 

Ein kleiner Spaziergang bringt mich zum Museum Experimenta, das in einem alten Schulhaus untergebracht ist. (Achtung, hat nur bis 16 Uhr geöffnet.) Dort erfahren Kinder und Erwachsene, wie lange Schallwellen brauchen oder wie Schiffe ohne Antrieb vorwärts kommen. Es gibt auch etwas zu spielen und gerade die Erwachsenen sitzen hier gerne mal nach.

Samstag,18:00 Uhr 

Genug gehirnt, jetzt beginnt der Abend! Tutto
Vino heißt der Laden, der einem den Einstieg leicht macht. Ausnahmsweise ist das mal nicht schwarzwälderisch. Aber was? Italiener? Spanier? Nein, es ist ein hiesiger. Der Dialekt verrät den ehemaligen Gitarrenlehrer Jochen Pfaff. Jochen hat sich auf südländische Weine  spezialisiert, da es in Freudenstadt schon eine Weinhandlung mit französischen Weinen hat. Jetzt könnte er sich aber auch nur Ortenauer Weine vorstellen, das Geschäft würde auch damit laufen, ist er sich sicher. Aber statt Speck gibt es Prosciutto, italienischen Hartkäse und Sardinen. Bei einer kleinen Weinprobe mit trockenen badischen Weinen von Schumann und Franckenstein kommen wir vom Hundertsten ins Tausendste. Um es mit dem Namen eines  Schumann-Weins zu sagen: Famose Schose!

Für das Abendessen in der traditionellen Wirtschaft zum Bad muss ich gefühlt 1000 Stufen hinuntersteigen und später wieder hinauf (der Turm ist ein Witz im Vergleich), dafür kriege ich auch etwas mit Seltenheitswert. „Alle reden doch von nose to tail“, meint der Wirt, der mit seinem Bruder die Wirtschaft stemmt, die wie aus den 60er-Jahren ausschaut. „Wir machen’s“, sagt er und stellt mir den Teller Feldsalat mit drei Buletten hin. Natürlich weiß ich, dass es keine Buletten sind, sondern drei Stücke paniertes Schweinehirn. Es zergeht mir auf der Zunge und schmeckt nach purem Fett. Gut, dass der Feldsalat dafür eine fesche Vinaigrette hat. 

 

Sonntag, 10:00 Uhr

Es ist Sonntag und ich kaue in der guten Stube des Hotels Adler mit schlechtem Gewissen mein mit bestem Schwarzwälder Schinken belegtes Brötchen. Zwar waren die Treppen rauf und runter gestern Abend kein Selbstläufer, aber sonst hielt sich mein Bewegungsradius in Grenzen. Immerhin gilt Freudenstadt als Wanderparadies. Aber wo war ich? Darum wird der Trip nach FDS mit einer Wanderung abgeschlossen. 

Der Kienberg gilt als schöner Buckel, der im 19. Jahrhundert vom örtlichen Verschönerungsverein den Friedrichsturm bekam. (Ich sage nur Gäulandschaft und Alb!) Zudem hat es noch Café sowie Wasserstelle und Liegewiese. Alles kommt auf die Merkliste für den Sommer.  Der Wanderweg bringt mich über das Waldcafé zurück. Als ich die prächtigen Villen, Stadtpaläste und Grand Hotels sehe, wird mir klar, dass es nicht der Marktplatz war, sondern die Ansammlung von großartigen Gebäuden, die Freudenstadts Ruf als „Nizza des Schwarzwalds“ ausmachten. Aber mein Trip endet nicht mit Nizzasalat, sondern bei einem frischen Bier im Turmbräu und im Café Fontaine. Ich mache es wie alle: „Wenn ich schon mal da bin, Kirschtorte.“ Da man die Schwarzwälder nicht einen Tag durchziehen lässt, sondern frisch serviert, kommt das Kirschwasseraroma wenig raus. „Wir haben überall Kirschwasser drin, in der Kirsche, in der Sahne und im Boden.“ Und wie passend: Sahne hat’s in Freudenstadt viel … 

Unsere Tipps für Freudenstadt

Hotels
Hotel Adler (Forststraße 15–17)
Neu gestaltetes Stadthotel mit original Schwarzwälder Gaststube. Regionale Küche. Klare Linie, super Frühstück, sehr freundlicher Service.
Bahnhofsnähe.

Teuchelwald (Schömberger Straße 9)
Modernes Hotel, 16 Zimmer mit Parkblick. Dazu Bar und Restaurant mit gehobener schwäbischer Küche. Auch Gästehaus am Kienberg.

Hotel Schwarzwald (Helene-Frey-Weg 2)
Zimmer mit allem Komfort und Balkon, dazu Wellness, Pool, Sauna sowie Restaurant.  

Palmenwald (Lauterbadstraße 56)
Jugendstilpalast mit Restaurant, Spa und altem Charme.

 

Restaurants
Turmbräu (Marktplatz 64)
Rustikale Anlaufstelle für die Freunde des frischen Biers und des Rostbratens. 

Marktwirtschaft (Marktplatz 41)
Moderne Gastwirtschaft mit schwäbischer Küche, köstliche Linsen!

Schmaus (Schulstraße 5)
Rostbratenfreie Zone, dafür hat es Bowls und Sandwiches sowie Suppen und Gemüse im Glas.

Wirtshaus zum Bad (Talstraße 81)
Alte Schule. Eine Wirtschaft, wie man sie 1960 überall gefunden hat und die heute so rar ist wie ein Auerhahn. Was hier sättigt, schmeckt auch gut. 

Speckwirt (Marktplatz 45)
Schwarzwald modern: stimmig eingerichtete Wirtschaft. Preiswerter und abwechslungsreicher Mittagstisch.

Fritz Lauterbad (Am Zollernblick 1)
Kompetent in Sachen Burger. Gehört zum Hotel Fritz Lauterbad.

 

Café
Fontaine (Marktplatz 40)
Mit 32 Kuchen und Torten im Programm werden Maßstäbe gesetzt: Muss: Schwarzwälder Kirschtorte. Gehört zum Café Müller. Mit Blick auf die Wasserfontänen.

Zeitraum (Loßburger Straße 21)
Für eine chillige Auszeit. Anlaufstelle für Hafermilchtrinker, Frühstücker und Fans von Kaffee und Kuchen. 

Café Pause (Marktplatz 65)
Es muss nicht immer die Tanne sein, hier (und nur hier) gibt es ein Süßgebäck namens Langholz.  

 

Einkaufen
Uhren Krieg (Straßburger Straße 2)
Die ticken richtig. Dank Sammelei gehört zum Fachhandel ein feines Museum mit Schwarzwälder Uhren.  

Metzgerei Otto Buck (Marktplatz 12)
Die Fleischwurst ist kult. Das volle Programm schwäbischer Wursterei. 

Bäckerei Grammel (Alfred Straße 93)
Tradition hält sie frisch. Der Pilgerort für Brezeln und Milchhörnle.

Ginger & Fred (Marktplatz 44)
Klassiker, Raritäten und was eine Bar sonst noch aufbrezelt.  

Haas-au-Vin (Marktplatz 20 / 1)
Frankreich in Württemberg: Weinhandlung im Gewölbekeller.

Tutto Vino (Loßburger Straße 22)
Zu den italienischen Spezereien gibt es die passenden Weine. Weinhandlung und Tapas-Bar. 

Rupp's Kaffee- und Teehaus (Marktplatz 20/1)
Kaffee von Kooperativen und Kleinbauern aus Afrika und Südamerika. Eigene Rösterei. Dazu Tees  …

Schau-Confiserie Heinzelmann (Loßburgerstraße 14)
Für diese Trüffel werden Umwege gefahren.  

 

Museen
Museum im Stadthaus (Marktplatz 65)
Alles was man über den Wald und Freudenstadt wissen muss, hier ist es!  

Experimenta (Musbacher Straße 5)
Wissen macht Ah. Hier passiert das ganz oft. Experimenteller Zeitvertreib für jung und alt.  

Dorfmuseum (Pfluggasse 5)
Idyllisches Dorfmuseum in  Dietenweiler, wo es noch Häuser hat wie damals in Freudenstadt vor 1945.   

 

Freizeit
Panoramabad (Ludwig-Jahn-­Straße 60)
Statt nur Bahnen zu schwimmen, saust man hier durch Rutschen oder fläzt sich in einem Pool. Genussreiches Schwitzen geht auch. 

Waldlust (Lauterbadstraße 92)
Das verlassene Geisterhotel läuft offiziell unter Denkmal und bietet Führungen und Fototouren an.  

Adventure Golf (Karl-von-Hahn-Straße 32)
Für diesen „Green“ braucht’s keine Vorkenntnisse, dafür aber Abenteuerlust und Sportsgeist. Mit Biergarten. 

Minigolf am Kienberg (Herzog-Friedrich-Straße 11)
Kleingolf, Boccia und  nebenan Café und Aussichtsturm.  

Kienberg Spaziergang (Start Marktplatz 64)
Aussichtsreicher Rundweg mit drei Einkehrmöglichkeiten. 6 km. 

Heimatpfad Kniebis (Start Besucherzentrum Kniebis)
Wanderung über die historische badisch-württembergische Grenze. Herausragend: Ellbackseeblick. 10 km.

Tourist Info (Marktplatz 64) Tel. 07441 /  86 47 30 

#heimat Schwarzwald Ausgabe 37 (2/2023)

Lust auf eine #heimat, die nur so strotzt vor Frühlingsgefühlen? Dann freut Euch in dieser Ausgabe auf (außergewöhnliche!) Urlaubstipps vor unserer Haustür, Next Level Vesper, Freudenstadt von einer völlig neuen Seite, das perfekte Datschkuchen-Rezept, einen Schwarzwald zum Verlieben und vieles mehr!

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