Warum sich in Enzklösterle alles um Heidelbeeren dreht

Wir haben uns im Nördlichen Schwarzwald angeschaut, wo die wilden Früchtchen wachsen und was man mit Heidelbeeren so alles anstellen kann...

Die Schwarzwälder Kirschtorte hat eine Schwester. Sie ist blau und kommt aus Enzklösterle im Landkreis Calw. Statt tiefroter Kirschen versüßen Waldheidelbeeren des Deutschen liebste Kalorienbombe – eine Idee von Sabine Mast, die mit ihrem Mann das Hotel Restaurant Hirsch und das Café Klösterle betreibt. Die Konditorin sammelt Rezepte seit ihrer Kindheit und experimentiert gerne. „Man kann nicht sein Leben lang die Sachen gleich machen.“ Deswegen hat sie auch nichts dagegen, für den Fotografen ihre Schwarzwälder Spezial mit etwas weniger Sahne auszugarnieren, damit man besser sieht, wie schön die Waldheidelbeeren alles lila einfärben. Womit auch die Echtheit des blauen Goldes bewiesen wäre. „Kulturheidelbeeren können das nicht“, sagt Sabine Mast. 

Kulturheidelbeeren stammen von nordamerikanischen Pflanzen ab und haben anders als ihre ungezähmten europäischen Verwandten weißes Fruchtfleisch. Sie machen zwar keine Flecken und sind größer, aber die Einwohner von Enzklösterle würden nie die Supermarktware ihren eigenen tiefblauen Beeren vorziehen. 

Mit Reff und Eimer in den Wald

Wer wissen will, warum Enzklösterle den Beinamen Heidelbeerdorf wirklich verdient hat, der folgt vor dem Kuchenessen am besten Förster Stefan Waidelich in die umliegenden Wälder ...

Ein Experte muss man allerdings nicht sein, um die Früchtchen zu entdecken. Auf dem Schöllkopfplateau – einer Etappe auf dem 12,7 Kilometer langen Genießerpfad Heidelbeerweg rund um das Dorf – ist der Waldboden fast komplett mit Heidelbeersträuchern bedeckt. Die Rauschbeere, mit der man sie vielleicht verwechseln könnte, komme hier nicht vor, sagt der Revierförster. Die Waldheidelbeeren sind bei unserem Besuch im Juni noch grün. Stefan Waidelich greift in die Zweige, hebt der Staude „den Rockzipfel“, wie er es nennt, und sagt freudestrahlend eine reiche Ernte im Juli voraus. Er nascht das Superfood mit den gesunden Anthocyanen am liebsten frisch vom Strauch. „Etwas Besseres kann man nicht kriegen.“ 

Der 58-Jährige ist in Enzklösterle aufgewachsen. Schon als kleiner Junge pflückte er jedes Jahr mit seinen Geschwistern Waldfrüchte um die Wette. Die Sträucher kämmten sie mit einer Art Holzkamm, genannt Reff, aus, um schneller voranzukommen. „Wer am meisten gepflückt hatte, war der Heidelbeerkönig.“ Mehr als 100 Kilo brachte die achtköpfige Familie so an einem guten Tag zusammen. Den Großteil der Ernte verkauften die Eltern an ein Café in Bad Wildbad, zur Belohnung bekamen die kleinen Pflücker zu Hause Heidelbeerpfannkuchen.

Das blaue Gold ist seit Jahrhunderten eine wichtige Einnahmequelle für die Familien in Enzklösterle. Noch eine Generation vor Stefan Waidelich wurden die Erlöse aus dem Verkauf dringend benötigt, um sich Schuhe für die Kinder leisten zu können. Sein Heidelbeergeld hat er damals für sein erstes Motorrad gespart, erinnert sich der Förster.

Das gebückte Heidelbeerpflücken kann eine Knochenarbeit sein, doch noch heute liebt es der Beerenfan, mit Reff und Eimer in den Wald zu ziehen: „Je älter ich werde, desto wertvoller wird für mich das Heidelbeerholen – das ist für mich wie Meditation.“

Kein Wunder, der Wald bei Enzklösterle duftet dank der vielen Kiefern in der Sonne ja auch wie ein feiner Saunaaufguss. Die Baumkronen lassen viel Licht durch, die Böden sind sauer – ideal für die Heidelbeersträucher. Und eigentlich sollte sich auch das Auerhuhn hier wohlfühlen, das sich wie der Mensch gerne den Bauch mit Beeren vollschlägt. „Das muss jetzt bloß noch kommen“, sagt der Förster, der den seltenen Vogel ganz ohne Futterneid in seinem Revier willkommen heißen würde ... 

Ein Haus für die Heidelbeere

Dass Neigschmeckte in Enzklösterle die Heidelbeertradition beleben, beweist auch Angelika Schmahl. Die aus Leonberg Zugezogene hat vor anderthalb Jahren das Heidelbeer-Haus in der Wildbader Straße, eine blaudekorierte Mischung aus Laden und Lounge, von seinen Gründern übernommen. Von der Marmelade über Pralinen bis Senf und Secco ist alles erhältlich, was Heidelbeeren enthält. Die Waren kommen aus der Region, aber auch aus ganz Europa. Das exotischste Produkt in ihren Regalen? Angelika Schmahl überlegt kurz und tippt dann auf den Heidelbeerketchup: „Zum Grillen ist das eine schöne Sache.“ Genau wie übrigens auch die Heidelbeer-Balsamico-Vinaigrette. Wenn man eines beim Besuch in Enzklösterle lernt: Heidelbeeren passen zu fast allem! Die Menschen hier füllen ihre Gefriertruhen, um das ganze Jahr über versorgt zu sein.

Ein Glück, denn sonst könnten Autorin und Fotograf von #heimat nicht Wochen vor Beginn der diesjährigen Ernte von Sabine Mast auf der Terrasse des Café Klösterle so verwöhnt werden: mit Zanderfilet an Heidelbeeren und Orangen und der fertig dekorierten Schwarzwälder Torte. Schicht für Schicht ein Traum! Die Konditorin zeigt in Kursen, wie der Klassiker gelingt. „Man kann eigentlich gar nicht viel falsch machen, wenn man sich an das Rezept hält“, sagt Sabine Mast. Und beim Ausgarnieren dürfe man sich austoben. Ob mit Heidelbeeren oder Kirschen, mehr oder weniger Sahne, Schokoladenguss-oder Raspeln. Na dann los ... 

#heimat Schwarzwald Ausgabe 39 (4/2023)

Rein in den Sommer – mit unserer Liegestuhl-Lektüre! Wir laden Euch diesmal zum Abtauchen ein, denn wir haben uns gefragt: Wo kühlt man sich im Schwarzwald ab, wenn die Sonne brennt? Zusammengetragen haben wir eine bunte Mischung aus altbekannten und geheimen Bade-Spots. Auch darüber hinaus ist Wasser voll unser Element! So sind wir zum Beispiel in Pforzheim auf der Black Forest Wave gesurft und waren tauchen im Rhein. Außerdem sind wir für ein Wochenende im schönen Renchtal gestrandet, haben mit Berlinale-Chef Dieter Kosslick eine Runde Promi-Gossip ausgetauscht und uns durch das blaue Gold von Enzklösterle probiert: Waldheidelbeeren

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