Hutmacherin ohne Hut
Was es mit der eigentlichen Geschichte der Bollenhuttracht auf sich hat, wie sie hergestellt wird und dass es sich dabei um eine evangelische Festtagstracht handelt, davon berichten die Bilder und Fotos freilich wenig. Das erzählt dann Gabriele Aberle Museumsbesuchern bei ihren gelegentlichen Visiten im Vogtsbauernhof. Auf dem Tisch in der Stube platziert die Gutacherin ihre Hutsammlung aus den unterschiedlichen Epochen und den verschiedensten Produktionsstadien. Ein schwarzer, so wie ihn in Gutach und den beiden weiteren Bollenhutgemeinden Kirnbach und Hornberg-Reichenbach – mehr gibt es nämlich nicht – nur Verheiratete tragen, ist auch darunter.
Gabriele Aberle selbst hat dann eine alte Arbeitstracht an. Sie trägt keinen Hut, nur ein Kopftuch. In die Bollenhuttracht würde sie nicht mal für ein Fotoshooting schlüpfen. Schon gar nicht mit roten Bollen. Da kann #heimat kommen, das Fernsehen, wie schon so oft, die Süddeutsche oder sonstwer. „Das verbietet die Tradition“, sagt sie. Auch in Sachen Kundschaft hält sich die Hutmacherin an alte Regeln. Jeder Interessent muss ihr ganz genau erklären, warum er einen Bollenhut haben möchte. Oft genug lehnt sie ab. Für den Karneval oder Jetset-Partys gibt es von ihr jedenfalls kein Original …
Traditionen sind Gabriele Aberle wichtig. Genauso wie die Anerkennung der Trachtengeschichte und der Handarbeit. Von komplett entfremdeten Totenkopf-Motiven mal abgesehen, beäugt sie das neue Schwarzwaldbild dennoch wohlwollend. Auch wenn ihr eines nicht passt: Wenn mit der Tracht und ihren Trägern respektlos umgegangen werde, wie sie sagt. Und damit meint die Bollenhutmacherin nicht die tätowierten jungen Dinger mit Nasenring. Sie mag es einfach nicht, wenn Traditionen kreuz und quer durcheinandergewürfelt werden. Das Porträt von Scherzingers Freundin Kim etwa, oben Bollenhut, unten das Gewand einer Glottertäler Tracht: „Ich finde es nicht schade wegen unserem Hut. Den kennt man. Es ist schade für die Tracht, zu der eigentlich das schöne Schnapphütle gehört“, sagt Gabriele Aberle.
Die Sau mit dem Bollenhut
Das Schöne im Schwarzwald ist: Man redet miteinander. Sowohl bei Scherzinger als auch bei Wehrle, die unabhängig voneinander auch weiter den unterschiedlichsten Schwarzwälder Trachten ein neues Gesicht geben, ist die Kritik aus den Vereinen angekommen. Mittlerweile achten beide Künstler darauf, dass sie ihre Models möglichst in originalgetreue Kleidung stecken (so auch Wehrles Eisprinzessin in Villinger Tracht auf dem Titel dieser Ausgabe). Was sie allerdings nicht kontrollieren können, ist der Boom, den sie mit ihren Bildern ausgelöst haben. Denn längst ist auch die regionale Werbung auf den Trachtenzug aufgesprungen. Besonders im Fokus dabei: ganz klar, der Bollenhut.
Da ist der Metzger aus dem Südschwarzwald, der seiner Sau auf dem Werbe-Flyer einen Bollenhut aufsetzt. Da ist das Schwarzwald-Mädle mit Pinsel in der Hand, das den Heimatmaler-Betrieb anpreist, der Tiefkühlkuchenbäcker mit Bollenhut und Tortenstück oder die Limonade, die mit Axt schwingender Trachtenträgerin beworben wird: Was bei einen als pfiffige Idee ankommt, empfinden andere als Zumutung. Vor allem die, die sich länger mit der Tracht beschäftigen und wissen, wie aufwendig die Herstellung dieser kunstvollen Kleidung ist. „Der Bollenhut ist wider Willen die ärmste Hure des Schwarzwalds“, sagt die Glottertäler Trachtenschneiderin Stefanie Kunert – und wird noch deutlicher. „Jeder rammelt auf ihm herum, um mit seiner Plakativität für die eigene Sache zu werben.“ Sie müsse das so klar sagen, weil sich kaum noch jemand für das wahre Objekt interessiere. „Das hat der Bollenhut nicht verdient!“
Stefanies Anliegen ist insofern das gleiche wie das von Hutmacherkollegin Aberle: Anerkennung für Handwerk, Tradition und Kultur. „Die Trachten im Schwarzwald sind ein besonderer Schatz, den wir nicht mit Füßen treten sollten“, mahnt sie. Das schließe eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema zwar nicht aus, „aber Kunst ist es meiner Meinung nach nur, wenn auch eine gedankliche Hinterfütterung dahintersteckt“. Wenn eine Bollenhutträgerin den Stinkefinger zeige, könne sie diese nirgends erkennen.
„Man muss auch unterscheiden können“
Um die Sensibilität der Trachtengemeinschaft weiß besonders Siegfried Eckert. Denn er ist nicht nur Gutachs Bürgermeister, sondern gleichzeitig Vorsitzender des Bundes Heimat und Volksleben, dem Dachverband für Trachten- und Brauchtumsvereine im Badischen. Und ganz klar: Die künstlerische Auseinandersetzung mit der Tracht sei sowohl in seiner Gemeinde als auch in den Trachtengruppen ein Riesenthema. Aber im Großen und Ganzen ein positives, „schließlich sind viele Vereine froh, dass sie wieder verstärkt Aufmerksamkeit bekommen.“, wie er sagt. Selbst in seinem Ort, dem Schwarzwälder Bollenhut-Epizentrum, sei das zu spüren. In diesem Jahr kamen in Gutach alle Konfirmanden in Tracht zur Kirche. Das erste Mal seit 15 Jahren wieder. „Man muss gegebenenfalls auch mal zwischen Kunst und Tradition unterscheiden können“, sagt der Bürgermeister dann noch. Und wo Unmut entstehe, müsse man miteinander reden. Da hat Siegfried Eckert sicher recht. Denn eigentlich gibt es auch gar keinen alten und neuen, es gibt nur den einen Schwarzwald – unsere Heimat. Und in der sollte genug Platz sein für Tradition und Kunst. Beides tut dem Schwarzwald gut.
Und was sagt Ihr dazu?
Könnt Ihr vom Bollenhut gar nicht genug kriegen oder könnt ihr ihn langsam nicht mehr sehen? Teilt es uns mit, wir freuen uns auf Eure Meinung: www.facebook.com/heimatschwarzwald