Dresdner Schmollen

Der Schwarzwald kann nur Kirschtorte? Pah! Wir haben Stollen, die nicht nur vom Gourmetpapst geadelt sind…

Fotos: Jigal Fichtner Fotos: Dimitri Dell

Es weihnachtet sehr – und das an einem Samstag Ende Oktober. Mitten in Lahr. Wie ein Schneegestöber bahnt sich Feinzucker seinen Weg auf noch warme, buttergetränkte Stollenlaibe. In der Backstube des Café Burger duftet es nach Rum, getrockneten Früchten und süßem Hefeteig und wir müssen schlucken. Offensichtlich gut hörbar. Trotz der Rührmaschine, die im Hintergrund gerade die nächste Teigladung in der Mache hat. Frank Schulz, Bäckermeister und Inhaber des Café Burger, lächelt still, um dann ein leises „Na, Hunger?“, hinterherzuschicken. Da kennt wohl jemand seine Pappenheimer. Ihm geht das wahrscheinlich nicht so. Wir tippen mal auf Stollentoleranz im fortgeschrittenen Stadium. Oder mag Frank gar keinen Stollen und werkelt nur deshalb so fokussiert vor sich hin, weil im Stundentakt Vorbestellungen  für den berühmten „Burger-Stollen“ eingehen? „Ich liebe Stollen“, sagt er und lässt sanft ein schweres Teiggebilde auf die Arbeitsplatte gleiten. Es sieht aus wie eine Butterwolke, in der es sich Rosinen und Sultaninen gemütlich gemacht haben.  

Nur mit der Ruhe 

Franks Frau Annette hat uns schon draußen im Café vorbereitet: „Mein Mann zelebriert den Stollen.“ Stimmt. Über der Handlung liegt etwas Feierliches. Wir sprechen wenig, es herrscht eine fast meditative Ruhe. Die „Operation Stollen“ ist in vollem Gang. Kurz nach dem Mittagessen hat Frank angefangen. Das macht er immer so: Ab Mitte Oktober ist samstags Stollenbacktag. Dann hat der Bäckermeister die Backstube für sich. Und damit zwei ganz entscheidende Zutaten: Zeit und Ruhe. Das braucht nicht nur der Macher, das braucht auch das Produkt, sind Annette und Frank überzeugt. „Das ist wahrscheinlich das eigentliche Geheimnis unseres Stollens – die Zeit, die wir ihm geben“, erklärt Annette. „Das ist wie beim Menschen: Auch der braucht Zeit, um sich zu entwickeln. Und totarbeiten soll er sich auch nicht“, grinst sie.  Damit hat sie sicher nicht ihren Mann gemeint, der gerade Mehl, Butter und Zucker, Eier und eine spezielle Gewürzmischung in die Knetmaschine gibt. 

Und was ist drin?

Die komplette Rezeptur ist ein streng gehütetes Geheimnis. „Ja, es gibt ein Grundrezept. Das ist aus dem Jahr 1990 und stammt vom ehemaligen Besitzer des Cafés, Herrn Burger“, sagt Frank. „Dieses Rezept haben wir dann etwas modifiziert“. Genau genommen ist es also kein Burger- sondern ein Schulz-Stollen. Und was ist jetzt alles genau drin? Frank lächelt: „Netter Versuch …“, und widmet sich der Rosinen-Mandel-Mischung für die nächste Charge. 24 Stunden haben die Trockenbeeren in 73-prozentigem Rum verbracht. Jetzt sind sie prall gefüllt und warten auf ihren Einsatz. Sie geben dem Teig noch mal Feuchtigkeit und viel Aroma. Zitronat und Orangeat werden feinst gehackt. „Das ist sehr wichtig. Je mehr Oberfläche, desto besser“, sagt Frank. „Und außerdem: Wir backen da nicht solche ‚Mockel‘ (Knubbel) rein. Das ist nämlich nix“, konstatiert er und arbeitet sich durch die nächste Ladung. Gekonnt prüft er die Textur, lässt ein Stück Teig durch die Finger gleiten, um gleich darauf die Portionen abzuwiegen. Dann knetet er nochmals die Teigstücke durch. Ganz behutsam. 

(Be-)Sinnlichkeit

„Du musst den Teig behandeln wie ein Frau. Zu der musst Du auch ganz zart sein“, meint er und befördert die Stücke vorsichtig in die gebutterten Formen. Aha! Das Stollenbacken als vorweihnachtlich-sinnliches Erlebnis. Vermutlich auch Teil des großen Erfolgs.

„Die Leute mochten unseren Stollen schon immer“, erklärt Annette. „Und Wolfram Siebeck (1928 – 2016, Gastronomiekritiker, Feinschmecker, Buchautor und Kolumnist, Anm. d. Red.) hat unseren Stollen regelrecht geliebt und da nicht mit hinter dem Berg gehalten.“ 

Im Dezember 2003 schrieb Die Zeit: „Nicht der berühmte Dresdner Stollen, sondern ein Christstollen aus der mittelständischen Konditorei Café Burger in Lahr/Baden gewann den ersten Platz im ZEIT-Ranking der Christstollen. Die fünfköpfige Jury, angeführt von Wolfram Siebeck, hat 15 Stollen bei Bäckern und in Supermärkten gekauft und sie auf ihre individuellen Merkmale getestet: Aussehen, Textur (Konsistenz), Geruch und Geschmack.“ Dann zitiert sie ihren berühmten Kolumnisten mit den Worten: „Ich bedauere es ausdrücklich, dass er so zeitgebunden ist. Er hat das Zeug, übers ganze Jahr gegessen zu werden.“

Ohne Stollen kein Weihnachten

Nach diesem medialen Ritterschlag begann ein regelrechter Run. Zu den Stammkunden gesellten sich neue hinzu. Und das hat sich auch 15 Jahre später nicht geändert. Schon im September gehen die ersten Bestellungen ein. Je näher die Adventszeit rückt, umso wuseliger wird es. Wie viele Stollen verkauft wurden und wohin, darüber wird dezent geschwiegen. Adel verpflichtet … „Es gibt Kunden, die schreiben: ‚Schicken Sie uns Stollen, sonst ist bei uns kein Weihnachten‘“, lacht Annette. In diesem Jahr setzte dann Der Feinschmecker noch eins drauf und erhob das Café Burger in die Riege der besten Cafés Deutschlands. Handwerk hat eben doch goldenen Boden. 

Was läge also näher, den Stollen jetzt auch noch prämieren zu lassen? „Warum sollten wir?“ Die Gegenfrage kommt ebenso entwaffnend offen wie überrascht. „Wir legen da – ehrlich gesagt –  keinen Wert drauf. Wir sind Handwerker. Für uns stehen die Kunden im Mittelpunkt. Wenn die glücklich und zufrieden sind, dann ist das unsere Prämierung“, erklären die beiden. 

Szenenwechsel: Gut 70 Kilometer weiter nördlich, in Baden-Baden, geht es tief runter in einen Keller aus dem 13. Jahrhundert. Hier im Cistercienserinnenkloster Lichtenthal liegen – adrett aufgereiht in großen Körben – hunderte Stollen aus Peters gute Backstube in Bühl-Vimbuch und erfüllen das uralte Gewölbe mit himmlischem Duft. Wir würden gerne drüber herfallen. Aber das gäbe Ärger. Vermutlich sogar von ganz oben …

Klösterliche Ruhe 

„In dem Keller herrschen optimale Reifebedingungen“, erklärt Geschäftsführer Bruno Ketterer. „Und diese dreiwöchige Phase ist wichtig, damit sich das Aroma voll entfalten kann.“ Auch hier spielt Ruhe eine große Rolle. Die Klosterschwestern sind da übrigens ziemlich pingelig. Man darf nur mit Genehmigung von Äbtissin Bernadette die heiligen Hallen betreten. Und auch nur in Begleitung.

„Wir legen enormen Wert auf Regionalität“, ergänzt Bruno Ketterer. „Unsere Stollen sind alle mit Urdinkel und Butter aus der Region gebacken. Das Kirschwasser für den Schwarzwälder Klosterstollen stammt von der Brennerei Höß aus Ottersweier, den Rotwein für den Burgunder Klosterstollen beziehen wir von der Baden-Badener Winzergenossenschaft. Außerdem nutzen wir längst vergessene Herstellungsmethoden. Es ist viel Handarbeit im Spiel. Deswegen der unverwechselbare Geschmack“, schwärmt er. „Und dazu dieser zarte Biss, die feinporige Krume. 

Jetzt hilft nur noch eins: Gucken wie die kleinen Kinder kurz vor der Bescherung, um doch noch naschen zu dürfen. Und wer hätte das gedacht: Unser Bettelblick funktioniert super … 

Stollen

Stollen besteht aus schwerem Hefefeinteig: Laut Deutschem Lebensmittelbuch kommen auf 100 Teile Weizenmehl mindestens 50 Teile Butter sowie 20 Teile Zucker. Dazu Rosinen und Sultaninen, Orangeat, Zitronat, Hefe, Eier und Mandeln. Da jubeln auch die Hüften … Dresdner Stollen (auch: Christstollen) ist eine geschützte Herkunftsbezeichnung.

Erfunden wurde der Stollen in Sachsen bzw. Sachsen-Anhalt. Als ziemlich ödes Fastengebäck fand er erstmals 1329 in Naumburg/Sachsen Erwähnung. Nach einem Erlass von Papst Innozenz VIII. war 1491 dann Butter als Zutat erlaubt. Früchte? Fehlanzeige! Einen Stollen, wie wir ihn heute kennen, wurde auf Geheiß von August dem Starken 1730 anlässlich einer Truppenschau gebacken. Das Prachtstück soll rund 1,8 Tonnen gewogen haben.

#heimat Schwarzwald Ausgabe 13 (4/2018)

Wir stellen die Bollenfrage, ergötzen uns an geschmückten Kühen und holen die Netze ein. Außerdem blicken wir mal tief in den Schwarzwälder Nachthimmel.

#heimat, der Genussbotschafter für den Schwarzwald 

In der Zeitschrift #heimat geht es um Genuss in der Region, um (kulinarische) Traditionen und gute Adressen, um Manufakturen und Menschen. Idee und Konzept für #heimat stammen von Chefredakteur Ulf Tietge und seinem Team. Das Magazin wurde 2016 mit dem Ortenauer Marketingpreis ausgezeichnet und ist inzwischen bundesweit erhältlich.

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