Ein Schwarzwaldhof und sein dunkles Geheimnis

Mit 86 Jahren musste Hedwig Rees ihren Hof von heute auf morgen für immer verlassen. Was blieb, ist ein echtes Stück Schwarzwaldgeschichte

Text: Stephan Elsemann Fotos: Jasmin Seidel und Stephan Elsemann

Das Haus in Hofsgrund ist alt. Man sieht es. Das ordentlich geschichtete Holz davor macht glauben, dass es bewohnt ist – und doch ist es leer. Seit 13 Jahren schon. Da zog sich Hedwig Rees, die damals 86-jährige Bewohnerin, eine Lungenentzündung zu und musste ins Krankenhaus. Sie kehrte nie zurück und verbrachte ihre letzten Lebensjahre im Altersheim.

Doch ihr Haus blieb, wie es war – und so birgt es einen bemerkenswerten Blick in unsere Vergangenheit. Wer es betritt, denkt an ein Unglück. Die Wände sind schwarz und voller Ruß. Alles ist mit schwarzem Staub bedeckt. Hier muss es gebrannt haben, könnte man meinen. Und doch: Das hat es nicht. Der Ruß und der ölige Staub sind die vermutlich letzten authentischen Zeugnisse einer Lebensweise, wie sie im Schwarzwald einst üblich war. Wir sind hier natürlich nicht in einem Museum. Aber es könnte eines sein …

Die geräucherten Schwarzwälder

Schwarzwaldhäuser besaßen ursprünglich keinen Rauchabzug, keinen Kamin. Wenn die Feuerstellen, der Herd und der Backofen brannten, zog der Rauch durchs ganze Haus und tränkte die hölzernen Wände und Decken. Und der Herd brannte immer. 86 Jahre lang lebte Hedwig Rees im Rauch. Bis 2007. Bis sie zum ersten Mal in ihrem Leben krank wurde. Alle ihre Vorfahren und die meisten der Nachbarn lebten so. Sie war eine der letzten. Das Ferdis, wie der Hof hier an der Straße genannt wird, die auf den Rücken vom Schauinsland führt, ist geblieben. Es ist wohl der letzte seiner Art.

Nur: Wer war eigentlich diese Frau, die den Veränderungen der Zeiten so beharrlich trotzte?

Hedwig Rees wurde 1921 als eines von zehn Geschwistern geboren – vier Brüder, sechs Schwestern. Es war ein karges Leben. Die Familie lebte bescheiden von ihren Tieren. Aus der Milch der Kühe bereitete man den Hofsgrunder Frischkäse zu, eine Spezialität, die vor einigen Jahren EU-Regularien zum Opfer fiel und seither nicht mehr produziert wird. Würste und Speck wurden in der Räucherkammer über der Küche im immerwährenden Rauch der Feuerstellen geräuchert. Käsle, Würste und Speck verkaufte man auf dem Freiburger Münstermarkt oder in der Nachbarschaft – und dafür wurden Dinge erworben, die man auf den Schwarzwaldhöhen nicht selbst produzieren konnte: Stoffe, Kerzen, anderes Gemüse.

Die Elektrizität kam erst in der 1920er-Jahren auf die Höhen. Jürgen Rees, der Neffe und heutige Besitzer des Hauses, erinnert sich daran, wie die Kinder Kartoffeln stibitzten, wenn die Mutter nicht hinsah. Eigentlich waren die für die Mast des Schweins vorgesehen. Dann war Krieg und die vier Brüder von Hedwig Rees gingen an die Front. Drei kamen nicht zurück. Wie in vielen Familien. Auch im Schwarzwald.

Und so mag es mit dem Fehlen möglicher Ehepartner zu tun haben, dass Hedwig Rees nach dem Krieg im besten Heiratsalter keinen Partner fand. Sie blieb allein wie ihre Schwester Josefine, mit der sie weiter im Ferdis lebte und die Mutter versorgte. Die trug das Ihre dazu bei, dass die Töchter ihr als Versorgerinnen erhalten blieben und torpedierte jedes Anbändeln der jungen Frauen.

Arbeit gab es genug. Die Kühe waren zu versorgen und zu melken. Josefine machte Butter, Hedwig hielt die Produktion der Hofsgrunder Käsle aufrecht. Feste Arbeitsteilung herrschte auch beim Kochen: Hedwig schälte die Kartoffeln, Josefine kümmerte sich um den Salat.

Auch Jürgen Rees wohnte mal im Ferdis. Nach seiner Bundeswehrzeit zog er 1972 bei der Tante ein und bereicherte das Haus um einen Luxus, den es bis dahin nicht gab: ein Plumpsklo, das er selbst einbaute. „Zuvor musste man sich zur Verrichtung zu den Kühen in den Stall begeben“, erzählt er uns und lächelt. „Sowas kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen …“

Bitte nix Neumodisches!

Hedwig Rees lehnte die neumodische Toilette Zeit ihres Lebens ab und machte es so, wie sie es gewohnt war. Das tat sie auch noch, als die Tiere schon abgeschafft waren. Auch ein Bad gab es nicht. Das kristallklare Wasser einer Quelle oberhalb des Hauses lief durch das Haus in einen Brunnentrog und von dort am anderen Ende wieder hinaus. Man füllte Zuber und Zinkwannen, um sich zu reinigen.

Überall Rauch

Immer in Betrieb war der Herd. Tagein, tagaus durchzog der Rauch das Haus. Denn Herd und Backofen mussten in Betrieb gehalten werden. Weil Rauch nun einmal nach oben steigt, bekam Jürgen Rees als hochgewachsener, junger Mann mehr davon ab als die klein gewachsene Tante. In seinem Schlafzimmer dichtete er die Tür ab, um nicht im Rauch zu schlafen. Noch mehr Rauch als gewöhnlich gab es regelmäßig bei Inversionswetter und beim Anheizen. In der dicken Luft zog alles nach unten ab. „Dann qualmte das Haus aus allen seinen Öffnungen, den Türen, Fenstern und Ritzen“, erzählt der 70-Jährige. Dabei hatte der Rauch wichtige Funktionen. Heiß stieg er hoch in der Räucherkammer, erkaltend fiel er wieder und räucherte dabei Würste und Speck, die oben in der Kammer aufgehängt waren. Ganz nebenbei wurde so auch das Holz im Haus vor Schädlingen geschützt. Die ausgetüftelte Technik des Heizens und Räucherns kann man sich zum Beispiel noch im Schniederlihof weiter oben am Berg erklären lassen. In dem Bauernhausmuseum erklärt Ludwig Lorenz, wie so ein Haus ohne Kamin funktionierte. Doch was im Schniederlihof in museale Ferne gerückt ist, war ein paar Häuser weiter unten im Ferdis bis vor wenigen Jahren noch Alltag.

Allein im Ferdis

1986 war eine Zäsur im Leben von Hedwig Rees. Die Schwester Josefine starb und von da an lebte sie allein im Haus. Auch die Kühe wurden abgeschafft und damit endete die Frischkäseproduktion. So reduzierte sich das Leben von Hedwig auf den Haushalt. Sie wollte keine Veränderungen in ihrem Leben. So, wie sie die Toilette ablehnte, hielt sie sich an eine feste Abfolge von Mahlzeiten im Lauf der Woche. An dem, was auf dem Tisch stand, konnte man erkennen, um welchen Wochentag es sich handelte. Montags den Rest vom Sonntagsbraten, dienstags Teigwaren, mittwochs Kartoffeln und so weiter. Nichts wurde weggeworfen und alles aufgehoben, wie eine rußbedeckte Sammlung von jahrzehntealten Zeitungen zeigt. Sparsamkeit bestimmte den Alltag von Hedwig Rees. Die Groschenromane und Frauenzeitschriften brachten ihr die Nachbarn. Fernsehen gab es sowieso nicht.

Ein Hof erwacht

Seit vielen Jahren ist es nun schon still im Haus, die Öfen sind kalt. Die dicken Schichten Ruß an der Decke sind feucht geworden und nach und nach heruntergefallen. Der Abreißkalender zeigt noch immer das Datum vom 15. April 2007. Jürgen Rees und seine Frau Brigitte haben alles so gelassen, wie es war, als die Tante das Haus verließ. Sogar die Strümpfe, die zum Trocknen an der Ofenklappe aufgehängt waren, sind noch dort. Was aus dem Haus werden soll, ist indes unklar. Der Denkmalschutz verbietet heftige Eingriffe.

Doch es tut sich was. Harald Rees, der Sohn von Jürgen und Brigitte, möchte einen Teil des Hauses für sich wieder bewohnbar machen und bespricht sich mit Architekten über eine Renovierung – die selbstredend denkmalgerecht vonstatten gehen soll.

Mal gucken?

Bald schon könnte das Ferdis im Oberrieder Ortsteil Hofsgrund durch eine denkmalgerechte Sanierung ein Stück seiner Vergangenheit verlieren. Doch noch ist nichts passiert, und wer sich dieses einzigartige Zeugnis einer vergangenen Lebensweise anschauen möchte, ist willkommen und darf einen Blick hinein werfen. Brigitte und Jürgen Rees zeigen es netterweise Besuchern, wenn es für sie zeitlich passt. Kontakt: 0 76 02 /4 35

Wer einen Überblick über die gesamte Kulturgeschichte unserer Region bekommen möchte, ist im Freilichtmuseum Vogtsbauernhof in Gutach richtig. Zu sehen sind hier etwa sechs voll eingerichtete Schwarzwälder Eindachhöfe, ein Tagelöhnerhaus sowie ein aus Sandstein gemauertes Gebäude. Kleiner, aber nicht weniger spannend ist das Bauernhofmuseum Schniederlihof in Oberried-Hofsgrund, das bis Oktober mittwochs und donnerstags sowie an Wochenenden von 13 bis 16 Uhr geöffnet ist. Gruppen werden um Anmeldung unter 0170 / 3 46 26 72 gebeten.

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In der Zeitschrift #heimat geht es um Genuss in der Region, um (kulinarische) Traditionen und gute Adressen, um Manufakturen und Menschen. Idee und Konzept für #heimat stammen von Chefredakteur Ulf Tietge und seinem Team. Das Magazin wurde 2016 mit dem Ortenauer Marketingpreis ausgezeichnet und ist inzwischen bundesweit erhältlich.

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