Unter der Erde: Der Schatz im Schwarzwald

Im Rankachtal in Oberwolfach ist der Schwarzwald auch unterirdisch schön: In der Tiefe liegen Erze, die weltweit wichtig sind. Wir sind mal runter

Fotos: Jigal Fichtner

Es ist eine Welt unter der Welt. Mit einem ganz eigenen Volk, eigenen Gesetzmäßigkeiten und eigenem Wetter. Mal ist es in den Stollen der Grube Clara warm und leicht stickig, dann wieder luftig und kühl, fast ein bisschen frisch. „Stimmt, auch unter Tage sprechen wir vom Wetter“, erklärt Obersteiger Peter Schleibach. „Es gibt zum Beispiel Frischwetter, das ist unverbrauchte, sauerstoffreiche Luft. Oder matte Wetter, das ist das Gegenteil.“ Der Gehalt an Kohlendioxid in der Luft nimmt dann zu und davor werden die Männer unter Tage durch eigene Systeme frühzeitig gewarnt. Denn: Schnell mal raus ist nicht …

Helm auf zum Abstieg

Das hängt mit den Gegebenheiten unter Tage zusammen. Es ist ein weitverzweigtes Geflecht aus Strecken und Schächten, die zum Teil miteinander verbunden sind. „Zusammengerechnet sind das mehr als 35 Kilometer, also ungefähr die Strecke zwischen Wolfach und Offenburg“, hatte Benjamin Schöpf, Vertriebs- und Marketingleiter bei Sachtleben Minerals vor der Fahrt unter Tage noch erklärt. Da turnten Fotograf Jigal Fichtner und ich noch in der Zentrale im Rankachtal rum, bewunderten die ausgestellten Mineralien und verpackten uns vorschriftsmäßig in weiße Schutzanzüge. und feste Gummistiefel. Als Krönung den Helm (Schleibach: „Der ist Pflicht!“) und einen sogenannten Sauerstoffselbstretter, ein Fluchtgerät. Fürs schlechte Wetter eben. „Wir sehen aus wie die Ghostbusters“, kriegten wir uns vor Lachen nicht mehr ein. Und jetzt? Jetzt wird Jigal, sonst nie um einen Spruch verlegen, einsilbig. Zu fünft sitzen wir in einem Transporter, neben uns Peter Schleibach, auf den Rücksitzen Benjamin Schöpf und Sachtleben-Gesch.ftsführer Robert Mauerlechner. Mit jedem Meter, den wir uns tiefer in den Berg hinabschrauben, wird Jigal angespannter. „Und? Alles okay?“, raune ich ihm zu. „Hmmh.“

Sprachlos ob der Dimension

Als wir aus dem Wagen klettern, stehen wir erstmal im Matsch. Das Wasser, das aus dem Berg herausdrückt, mischt sich mit Gesteinsstaub und Schotterstückchen zu einem breiigen Etwas. Bergingenieur Peter Schleibach strahlt: „Wir befinden uns jetzt rund 930 Meter unter der Erde.“ Neben mir ein gut vernehmbares Schlucken. Jigal ist ein bisschen blass um die Nase. Verständlich: Diese schiere Masse an Gestein, kaum beleuchtet, hat etwas ehrfurchteinflößendes. Den Gedanken an Millionen Kubikmeter undurchdringbarer Felsen über dem Kopf sollte man besser nicht zulassen. Einzige Lichtquellen sind Neonröhren, Helmleuchten und die Scheinwerfer der Grubenfahrzeuge. Ich hatte mir zu Hause noch eine kleine LED-Taschenlampe eingepackt. Zur Sicherheit. „Lächerlich“, denke ich, als ich einen riesigen Hohlraum damit erkunden will. Meine Funzel spendet eher Dunkelheit als Licht … Und die Dimensionen in der Grube Clara sind schier unfassbar, auch wenn ich dieses Wort wegen seiner Überstrapaziertheit nicht mag, aber hier ist es eben zutreffend. Es ist feucht, der Boden teilweise uneben. Wir müssen aufpassen, wo wir hintreten. Es riecht nach frischem Stein – so komisch das klingt. Und es ist laut: Radlader transportieren Erzbrocken ab. Das Röhren der schwer beladenen Maschinen wird durch die eng stehenden Wände noch verstärkt. An einer Stelle wurde gesprengt und das Erz abgefahren, nun wird die Fläche mit einem speziellen, schnellhärtenden Spritzbeton abgedeckt. Die Pumpe wummert unaufhörlich vor sich hin und spuckt dabei einen dunkelgrauen Brei an die Wand. „Das dient der Stabilisierung“, brüllt Peter Schleibach.„Wir haben ja etwas entnommen, also müssen wir die Statik auch wieder unterstützen.“ Gegen diesen Pegel kommt selbst der Bergingenieur kaum an.

Mutter Natur ist unberechenbar

Nur wenige Meter entfernt schimmert etwas im Halbdunkel. Da ist er also: Der Schatz vom Schwarzwald! Vor uns türmt sich eine dreieinhalb Meter breiter Erzstreifen auf. Ein undefinierbares, opales Türkisgrün, durchzogen von weißen-grauen Adern. „Klasse!“, sind sich die Herren der Sachtleben Minerals GmbH & Co. KG einig. Flussspat und Schwerspat in einer ordentlichen Menge. „Hier könnte noch einiges mehr sein“, vermuten sie. Ganz sicher kann man sich nicht sein, auch wenn heutzutage nicht mehr auf gut Glück, sondern nach exakten Berechnungen Gestein freigelegt wird. „Natur halt“, meint Benjamin Schöpf und drückt mir einen faustgroßen Stein in die Hand: „Ein Stück Schwarzwald. Zur Erinnerung.“ Jetzt hat meine Bonsai-Lampe ihren Auftritt: Der Fluorit, wie der Flussspat auch genannt wird, schimmert wie ein Stück indischer Ozean nach einem Sturm. Und das hier. Mitten – nein: ganz unten – im Schwarzwald. Natur halt … Was macht man eigentlich mit diesen ganzen Schätzen? „Aus Flussspat wird etwa Flusssäure gewonnen, die zur Herstellung von Teflon für Pfannen oder Gore-Tex für Outdoor-Bekleidung genutzt wird. “, erklärt Robert Mauerlechner. „Schwerspat, also Baryt, findet man eigentlich überall im Alltag: In den Röntgenabteilungen der Kliniken, in Autolacken oder Kunststoffen.“ Mit anderen Worten: Überall auf der Welt findet sich irgendwo ein kleines Stückchen Schwarzwald. „Ja, so könnte man sagen“, lacht Benjamin Schöpf. Und dabei klingt ein bisschen Stolz mit.

130 000 Tonnen Roherz werden pro Jahr im Rankachtal gefördert, in Wolfach aufbereitet und dann an verschiedenste Produzenten und Händler verschickt. Mehr als 100 Menschen arbeiten bei Sachtleben Minerals. Tendenz: steigend. Auch im Bereich Bergbau werden Leute gesucht. Und die sollten aus einem besonderen Holz geschnitzt sein. Denn gerade unter Tage muss die Chemie stimmen. „Es ist eigentlich ein ganz normaler Arbeitsplatz“, sagt Peter Schleibach. „Aber einer, der besondere Anforderungen stellt.“ Klaustrophobisch sollte man zum Beispiel nicht sein …
Verantwortungsgefühl wird großgeschrieben. „Wir haben hier einen besonderen Zusammenhalt“, sagt Bergmann Roland Sum. „Unter Tage ist man halt sehr aufeinander angewiesen.“ Es kann auch mal um Leben und Tod gehen. Handgriffe, Arbeitsabläufe, Absprachen – alles muss passen. Immer. Selbst kleine Fehler können sich rächen und Folgen nach sich ziehen, über die man lieber nicht nachdenken will. Darüber sprechen möchte hier auch niemand. Nur so viel: „Den Männern geht so was extrem nahe“, sagt Peter Schleibach.
Die meisten von ihnen sind Quereinsteiger. „Keine klassischen Bergleute, wie man sie aus den Kohlezechen des Ruhrgebiets kennt“, meint der Obersteiger. Männer, die den Beruf der Väter und Großväter quasi geerbt haben. In deren DNA es nie etwas anderes als Kohle undPott-Ehre gab. Roland Sum zum Beispiel ist gelernter Instrumentenbauer. „Irgendwann lief das Geschäft nicht mehr und ich war gezwungen umzudenken“, erinnert er sich. „Der Bergbau faszinierte mich, da kommt man gar nicht drumrum, wenn man hier aufwächst“, grinst er. „Aber am Anfang war es doch ungewohnt, so ohne Tageslicht. Dazu die Luft. Anders halt.“ Er ist ein feinsinniger, nachdenklicher, fast schon künstlerischer Typ. Einer, den man hier unten spontan nicht vermuten würde. „Ich bin stolz auf das, was ich hier tue. Wir alle sind das“, sagt er und macht sich wieder an die Arbeit: Versatz fahren, Hohlräume verfüllen. Wenige Meter weiter klafft ein riesiges Loch in der Decke, abgestützt von mehreren massiven Holzbalken. Darunter zentnerschwere Steinbrocken. „Ein Bruch“, erklärt Peter Schleibach. „Ärgerlich, aber so was kann passieren.“ Den Männern ist nichts passiert. „Das ist das Wichtigste.“

Die Legende lebt unter Tage

Wird man hier eigentlich gläubiger? Mein Blick fällt auf eine kleine Vertiefung im Fels. Darin steht – von Plastikblümchen geschmückt – die heilige Barbara, die Schutzpatronin der Bergleute. „Vielleicht.“ Der Grubenchef klingt nachdenklich. „Auf jeden Fall gehört sie dazu.“ Und wer was glaubt, das sei Privatsache. Mittlerweile bin ich so fasziniert, dass ich bei einer Sprengung dabei sein will. Wissen will, wie sich das anfühlt, wenn dem Berg zig Tonnen Gestein abgetrotzt werden. Die Absage von Peter Schleibach kommt unmissverständlich: „Keine Chance. Viel zu gefährlich.“ Er selbst hat schon einige Sprengungen miterlebt. Und wenn er davon erzählt, dann glänzen seine Augen und in seinem Gesicht mischen sich der Stolz des Bergmanns und der Respekt vor dieser ungeheuren Wucht, die den Berg durchdringt und doch so unbewegt zurücklässt. „Selbst in größerer Entfernung ist das spürbar. Es ist kein Ton. Es ist etwas Dumpfes, Lautloses. Wie ein einziger, riesiger Herzschlag.“ Dem gibt es nichts hinzuzufügen. Ach, doch: Auf meinem Schreibtisch liegt jetzt ein Stück Ewigkeit. Der Fluorit der Clara erinnert mich daran, wie unvergleichlich schön der Schwarzwald ist. Auch und gerade unter der Erde …

Lust auf ein Geo-Abenteuer?

Dazu hätte Sandra Bequier, Tourismusbeauftragte des Ortenaukreises, einen schönen Ausfl ugstipp: „Auf fünf GeoTouren in Oberwolfach, Wolfach, Hausach, Haslach und Gengenbach können Wanderer die Natur- und Entstehungsgeschichte im mittleren Schwarzwald durch Aufgaben und Fragen erforschen.“ Ohne Beschilderung – nur mit einer Broschüre, die vom Landratsamt und den beteiligten Kommunen erstellt wurde – können so die schönsten Ecken geologisch erkundet werden. Die Broschüren gibt es vor Ort kostenlos in den Touristinfos.

#heimat Schwarzwald Ausgabe 14 (1/2019)

Wir stellen fest: Es gibt tatsächlich Schamanen im Schwarzwald. Außerdem sind wir auf Trüffeljagd und ein Wochenende in Straßburg. Natürlich wird auch wieder geschlemmt: Wir präsentieren Euch Badens beste Knödel und leckere Ideen für die Mittagspause. 

#heimat, der Genussbotschafter für den Schwarzwald 

In der Zeitschrift #heimat geht es um Genuss in der Region, um (kulinarische) Traditionen und gute Adressen, um Manufakturen und Menschen. Idee und Konzept für #heimat stammen von Chefredakteur Ulf Tietge und seinem Team. Das Magazin wurde 2016 mit dem Ortenauer Marketingpreis ausgezeichnet und ist inzwischen bundesweit erhältlich.

Versandfertig in 1 - 3 Werktagen.  

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