Der Fischräucherpapst

Deutschlands bester Fischvergolder wohnt wieder im Schwarzwald. Wir haben uns mit ihm auf ein sensationelles Fischbrötchen getroffen

Text: Ulf Tietge & Jana Baier · Fotos: Dimitri Dell

Freiamt ist keine Station. Nicht wie Berlin oder die Uckermark. Klar war das cool in der Hauptstadt, wo ihn die Hipster gefeiert und die Medien berühmt gemacht haben. Damals mit Billy Wagner und der Markthalle 9, schon ’ne schöne Zeit, aber eben nicht Heimat. „Ich bin angekommen“, sagt Michael Wickert, und weil er eben Deutschlands junger Räucher-Papst ist, schiebt er hinterher: „Hier hat’s die besten Fische und die klarsten Bäche. Mit Berlin gar nicht zu vergleichen! Für mich als Angler ist der Südwesten ein Paradies!“

Angler aus Leidenschaft

Michael, der Angler. Seit er als Kind mal eine Rute halten durfte, ist er hin und weg. Egal ob sportlich mit der Spinnrute, englisch mit Pose, fein mit der Fliege, draußen auf dem Meer oder mit der Hegene auf Felchen im Bodensee: Michi liebt’s. Fast noch mehr als das Räuchern, aber vom Fischen kann man halt nicht leben. Also hat er Agrarwissenschaften studiert, ist Fischwirt geworden, hat in der Picardie Forellen gezüchtet, in der Schweiz Geld verdient und kam dann zum Räuchern.

Bevor wir jetzt aber an den Ofen gehen, um Fische zu vergolden, stapfen wir erstmal Richtung Wald. „Wir brauchen noch Tannenwipfel“, sagt Michi und läuft los. Vorbei an den mobilen Hühnerställen vom Nachbar, grob Richtung Freiburg und mit ganz vielen Tipps für Nachher: „In Freiamt ist heut’ Bauernmarkt! Müsst ihr mal hin, einfach sensationell, was da abgeht!“ Kaum hat uns Michael noch kurz von seinen Nachbarn erzählt, von dem mit dem Brot, dem mit den Eiern und dem mit dem Schnaps, stehen wir auch schon im Wald. „Ich schneid nur die ganz jungen Tannenwipfel“, sagt er. „Und bevor jetzt jemand auf komische Gedanken kommt: Um das Unterholz hier ist es nicht schade, das macht dem Wald nichts!“ Erst recht nicht bei der Menge. Zwei Handvoll Wipfel schneidet Michael, das reicht für den heutigen Räuchergang, morgen kann man ja wieder in den Wald.

Glut & Späne ist eben nicht auf Masse ausgerichtet. Sondern konsequent auf Klasse. Wenn sich am Freitag um 15 Uhr die Türen der früheren Metzgerei öffnen, ist die kleine Auslage voll mit Wälderforellen, kalt geräucherten Lachsseiten nach Schwarzwälder Art und ein paar feinen Saiblingen. Zwei, drei Stunden später ist meist schon alles weg und Michi sperrt wieder zu. Was für ein Luxus! „Der Laden ist natürlich nur ein Standbein“, sagt er später, während wir bei einem Bier vor dem kleinen Räucherofen sitzen, in dem noch ein Dutzend Wälderforellen vergoldet wird. „In erster Linie findest Du meinen Räucherfisch in der Gastronomie.“ Bei Thomas Merkle in Endingen zum Beispiel, aber auch in der Offenburger Zauberflöte von Willi Schöllmann.

Eine Spur Tanne im Rauch

Der Grund, warum sich Spitzenköche um Michaels Räucherfische reißen, versteckt sich aktuell in einem herrlich weichen Milchweck mit Pflücksalat, gebeizter Zwiebel und hausgemachter Senf-Dill-Sauce. Supersaftig Forellenfilets, ganz langsam geräuchert von einem, der nach Perfektion strebt. „Räuchern ist an sich ganz einfach“, sagt Michael und ich denke: Aber dass der Fisch so wird wie dieser hier, ist dann eben doch Kunst! Tatsächlich ist die Forelle supersaftig, hat ein tolles Raucharoma und viele kleine Geschmacksnuancen, die gar nicht so einfach zuzuordnen sind. Buche vielleicht? Wacholder? Eine Spur Tanne? „Nicht schlecht“, sagt Michael. „Tatsächlich räuchere ich mit einer Mischung. Erle für einen ganz milden Rauch, Kirsche für etwas Frucht, dazu ein bisschen Buche sowie Holz, Nadeln und Beeren vom Wacholder und eben ein paar Zweiglein Tanne.“

Dass in der Salzlake, in der die Fische zuvor ein paar Stunden gelegen sind, neben Wacholder, Thymian, Steinsalz und einer Prise Rohrzucker noch acht weitere Gewürze sind, macht es nicht einfacher, Michaels Räucherkunst zu Hause einfach nachzumachen. „Kaufst halt mein Buch“, sagt Michael und grinst. „Da drin steht alles, was du wissen musst. Der Rest ist Learning by Doing und hängt davon ab, was du räucherst.“

Dabei ist Michael übrigens pingelig. Seine Forellen kommen aus einem Radius von 50 Kilometern, jede Fischzucht hat er persönlich schon besucht und sich von der Wasserqualität überzeugt. „Auf die kommt’s an“, sagt Michael. „Leider macht auch den Fischwirten der Klimawandel und die Trockenheit zu schaffen. Wenn es im Sommer zu warm wird und nicht mehr genügend klares, kaltes Wasser durch die Teiche strömt, merkt man das den Fischen an.“ Was dagegen hilft? Ein ordentlicher Berg statt einer kleinen Kuppe, denn dann sprudelt’s auch das ganze Jahr.

Räuchern: Immer schön laaangsam!

Michaels Forellen dürfen sich erst ein paar Stunden lang in 60 Grad warmem Rauch aalen und dann noch eine Nacht abhängen. Slow-Food also. „Dadurch bleiben die Filets so saftig“, sagt Michael. „Schau mal: Du siehst das hier hinter der Afterflosse. Bei zu viel Hitze würde sich hier das Wasser sammeln, aber eben nicht, wenn man nur mit 60 Grad schafft und sich viel Zeit lässt.“

Apropos Zeit. Davon können die kalt geräucherten Lachsseiten gar nicht genug bekommen, die Michael von den Äußeren Hebriden weit draußen vor Schottlands Atlantikküste bezieht. Erst einen ganzen Tag im Salz, dann drei Tage bei 15 bis 22 Grad in kaltem Rauch. Gaaanz langsam glimmen sich die Funken durch das Räuchermehl, und auch das nur, wenn das Wetter mitspielt. „Der stete Westwind hier in Freiamt ist wichtig, damit der Kamin zieht“, sagt Michael. „Aber auch mit Wind gilt: So wie die Temperaturen über 30 Grad steigen, kann man die Kalträucherei vergessen.“

Dafür aber sind jetzt im Sommer die Bedingungen für kleine Events umso schöner. Wer mit Freunden als Gruppe mal eine ofenwarme Forelle und ein Glas gemischten Satz vom Winzer nebenan zum Feierabend genießen möchte: einfach anrufen und Termin ausmachen. Ab 30 Euro pro Kopf geht’s los. Zudem soll es künftig auch Räucherkurse geben, aber das nur am Rande.

„Berlin war mir einfach zu voll!“

Morgen jedenfalls wird mal nicht geräuchert – sondern geangelt. Auf Hecht, vielleicht auch auf Zander, mal sehen. Im Ottenheimer Angelsportverein hat Michael nicht nur Gleichgesinnte, sondern auch Freunde gefunden. „Berlin war mir einfach zu voll“, meint Michael noch. „Auch wenn ich dort jetzt vielleicht einen T6 California und keinen T5 Transporter fahren würde: Ich bin froh, diesen Schritt gegangen zu sein.“

Jetzt aber ist es Zeit, mal in den Ofen zu lugen. Seit ’ner knappen Stunde hängen unsere Forellen im Rauch, und das kleine Feuer ist fast niedergebrannt. Mit einem Griff erfasst Michael die Lage: „Noch fünf Minuten!“ Ich denk derweil: Mag man eigentlich Forellen noch, wenn man jeden Tag räuchert? Ich meine: Metzger lieben schließlich Torte, viele Bäcker stehen auf Wurst und nach der Weinlese trinkt man Bier … Michael lacht und nickt. „Ich liebe Fisch. Gern auch dreimal am Tag, gerade im Urlaub. Dazu Muscheln. Und Schalentiere. Aber auch bei mir daheim liegt nicht jeden Tag eine Wälderforelle auf dem Teller. Wenn Freunde zu Besuch kommen, natürlich schon, aber ich finde: Es muss etwas Besonderes bleiben. Nur so bewahrt man sich auf Dauer seine Liebe zum Produkt.“

#heimat Schwarzwald Ausgabe 34 (5/2022)

Die neue #heimat ist da! Wisst Ihr eigentlich, wo es im Schwarzwald das beste Frühstück gibt? In der neuen #heimat haben wir für Euch die besten Breakfast-Locations zusammengestellt – von einer Bergstation mit fantastischer Aussicht über ein Hotel mit XXL-Frühstücksbuffet bis hin zu einem glutenfreien Café. Dazu nehmen wir Euch mit auf eine Gravelbike-Tour, stellen Euch Deutschlands Räucherpapst vor, gehen übersinnlichen Phänomenen nach – und natürlich noch vieles mehr!

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