Football für Anfänger: Sechs Monate bei den Offenburg Miners

Football boomt – auch im Schwarzwald! Unser Autor mit seiner Genießerfigur hat sich mal zum Training angemeldet

Football vor dem Fernseher als Ausgleich zum Job? Das reicht nicht mehr. Also starte ich einen Selbstversuch. Sechs Monate bei den Offenburg Miners, dem Football-Club meiner Heimatstadt. Ziele: wieder fitter werden. Ein Ventil für Stress und Ärger finden. Und natürlich: Teamgeist spüren. Teil einer Mannschaft zu sein, in der man sich füreinander wortwörtlich ins Getümmel wirft. Das nötige Kampfgewicht dafür bringe ich mit 130 Kilo ja schon mal mit …

Acht Jahre #heimat haben einfach Spuren hinterlassen. Locker 10 bis 15 Kilo hab ich mitgenommen von vielen schönen Food-Shootings, üppigen Menüs bei den Restauranttests und pizzageschwängerten Nachtschichten vor Redaktionsschluss. So zum Sport? Hhmm. Nächste Woche vielleicht?

Seit Februar ist Schluss mit den Ausreden. Denn seither regiert Coach Mauri und die Couch lockt erst nach dem Training. Größter Wunsch: mitspielen können. So gut werden, dass ich in der O-Line nicht wie ein nasser Sack umfalle …

Das erste Training ist gleich eine Überraschung – denn beim Football trainiert man völlig anders, als ich es noch aus meiner Fußballzeit kenne. Es gibt nicht einen Coach, sondern fünf. Einfach für die verschiedenen Aufgaben auf den unterschiedlichen Positionen. Nur das Aufwärmprogramm startet ganz wie früher: zwei Runden um den Platz, das war in meiner Zeit beim MTV Gamsen auch schon so, wo ich als linker Verteidiger meinen Stammplatz hatte – auf der Bank. Nach der Aufwärmrunde wird’s kompliziert. Die D-Line trainiert mit Coach Peter, die O-Line bildet ihre eigene Übungsgruppe mit Coach Uhl und die Wide Receiver studieren Passrouten mit dem Quarterback ein. 

Football ist kompliziert. Wie Schach, nur halt mit lebenden Figuren. Allein die vielen englischen Begriffe, die man wie Vokabeln pauken muss. Was macht ein Corner Back? Was genau sind die Monster, wie fängt man die Dogs, was mach’ ich, wenn die anderen Stack stehen? Dazu unendlich viele Kommandos, um Sekunden vor dem Snap (so heißt’s, wenn der Ball ins Spiel gebracht wird) noch den Spielzug zu ändern: Pinch, Hook, Swing, Screen – da werde ich mich wohl mal auf die Suche nach Karteikarten machen. 

Ob es mit 47 je für die Startformation reicht? Als ich nach der zweiten Runde um den Platz abreißen lassen muss, kommen mir schon Zweifel. Laufen kann doch nicht so schwer sein! Aber ich vielleicht? Verdammt noch eins! Die anschließenden Übungen meistern wir mit viel Teamgeist. Ob wir uns nun mit Ausfallschritten über den Platz stretchen, ob wir vorwärts oder rückwärts laufen, Liegestütz machen, Jumping Jacks oder was auch immer: Nach jedem kleinen Erfolg klatscht man sich ab und die positive Energie dieser Mannschaft ist mit Händen greifbar.

Ein bisschen Bammel …

Eine Woche später geht es zum ersten Mal in die Formation. Mit Helm, Mundschutz und ein bisschen Bammel, ich kann’s nicht anders sagen. Fünf schwere Jungs bilden die erste Reihe, hinter uns steht der Quarterback. Ich bin der zweite von links und kann kaum was sehen. Der Helm rutscht mir immer wieder vor die Augen, also konzentrier ich mich auf die Füße meines Gegners. Weak-Side-Guard nennt sich meine Position, so fühl ich mich auch, aber gemeint ist damit so etwas wie der Wachposten auf der blinden Seite unserer Formation.

600 Kilo Muskeln, Knochen und Fett sollen unserem Quarterback in den nächsten drei bis fünf Sekunden genug Zeit geben, einen vernünftigen Spielzug zu schaffen. Klingt einfach, solange die Verteidiger uns nicht einfach über den Haufen rennen oder wieselflink zwischen uns hindurch schlüpfen. Das mit dem Helm wird immer mehr zum Problem, denn mir geht’s wie den Rittern im Mittelalter mit ihren Sehschlitz-Blechmützen: Ich seh quasi nix – und dann knallt’s. Scheint, als hätte ich wen aufgehalten. Oder vielleicht auch nicht. In jedem Fall fliege ich im hohen Bogen rückwärts durch die Luft und für einen Moment ist die Schwerkraft aufgehoben. 

Die Landung ist weicher als gedacht. Der Schulterpanzer hilft, das Pad. Der Kunstrasen auch. Und es ist sofort jemand da, der einem aufhilft. Also gleich wieder rein in die Phalanx der bauchigen Ballerinas. So in etwa will uns der Coach sehen, hat er vorhin gesagt. Schwer wie ein Wellenbrecher, aber beweglich wie eine Krake. Ich dagegen fühl mich eher wie ein tiefgefrorener Hering. Schon noch Schwarmfisch – aber etwas orientierungslos. 

Zum Verschnaufen aber bleibt keine Zeit. Nach 40 Sekunden muss der Ball wieder fliegen. Also sammeln, Spielzug absprechen, aufstellen, ausrichten, Countdown und warten, dass es wieder scheppert. Rumms? Nein! Verdammt! Keine Ahnung, wo mein Gegenspieler hin ist – aber gut kann das nicht sein, wenn ich hier allein auf weiter Flur über das Feld irre …

Nach drei Wochen Training

Football ist ein Kollisionssport. Kontakt gibt’s immer. Blaue Flecken gehören dazu, angeblich aber ist die Verletzungsgefahr geringer als beim Fußball. So ganz kann ich das nach der dritten Trainingswoche leider nicht bestätigen, denn der rechte Knöchel ist dick. Überdehnte Außenbänder, nachdem mir jemand auf den Fuß gefallen ist. Das Schlimmste daran ist die Trainingspause. Einerseits sind’s nur noch vier Wochen bis zum Saisonstart – andererseits kann ich es selbst kaum glauben, wie sehr ich danach giere, mich auf dem Platz auszupowern. Work-Life-Balance? Rumms! Hier ist sie! Kommt mit zweieinhalb Zentnern auf dich zugeflogen und gibt dir keine Chance, den Stress des Tages nicht zu vergessen. 

Die Verletzungspause ist ideal, um die Ausrüstung zu vervollständigen. Dafür geht’s nach Böblingen. Eigener Helm, eigener Schulterpanzer, spezielle Schuhe, ein Trikot, einen Ball (auch wenn O-Liner den eigentlich gar nicht brauchen), eine XXL-Tasche für das ganze Gerödel und die Spielkleidung – 1000 Euro gehen dafür schnell drauf. Man muss das natürlich nicht machen. Der Verein leiht seinen Rookies gern die Ausrüstung, aber es ist wie beim Angeln: Mit der eigenen Rute fühlt man sich dann doch am wohlsten.

Außerdem bietet der neue Helm einen Riesenvorteil: Ich sehe nicht mehr nur die Füße meiner Gegner, sondern das ganze Schlachtfeld vor mir. Man sieht die kleinen Zeichen, die heimlichen Blicke und versteht die Kommandos vom Coach. Sowie sich der Ball bewegt, wird’s trotzdem wieder wild. Zwei, drei Schritte, dann scheppert’s, aber im Augenwinkel sehe ich, wie der Ball weit über uns hinwegfliegt und vom Passempfänger artistisch mit einer Hand gefangen wird. Yes!

Die Football-Saison beginnt …

Seit sieben Wochen bin ich jetzt bei den Miners – und angekommen. Im Team und in diesem irrsinnig anspruchsvollen Sport. Ich gehe zweimal die Woche zum Training, habe mit Karteikarten die Spielzüge aus dem Playbook gepaukt und stundenlang Videos von unseren Gegnern studiert. Beim Training weiß ich ungefähr, was von mir verlangt wird, wo ich hin soll, wen ich aufhalten muss – und ich spüre, wie dadurch mein Körper kräftiger wird, wie der Bauch schmilzt und sich meine Laune von Woche zu Woche bessert. Und nebenbei bemerkt: zehn #heimat-Kilos sind schon weg. 

Dennoch macht sich ein leicht mulmiges Gefühl im Bauch breit, als ich an diesem Samstag in den Bus steige. Es geht nach Bad Mergentheim. Das Wolfpack aus Tauberfranken wartet auf uns. Das erste Spiel der Saison, gleich auswärts – aber ich kann es vorwegnehmen: Noch habe ich wohl zu viel Trainingsrückstand. Das Spiel ist bis zum Ende supereng, wir gewinnen mit einem Touchdown und ich bleibe ohne Einsatz. Schade, aber man soll ja auch nichts überstürzen …

Mein erstes Spiel

Zweiter Gegner in der Bezirksliga ist Backnang. Auch ein schwerer Brocken, aber es läuft von Anfang an. Wir sind mit zwei Touchdowns vorn, da winkt der Coach: „Mach dich bereit! Du kommst rein!“ Klasse! Helm auf, Mundschutz rein, kann los gehen! Da aber baut sich Andreas Deister, einer meiner erfahreneren Mitspieler, plötzlich vor mir auf. „Du glaubst, du bist bereit?“

„Ja, klar“, rufe ich, und im nächsten Moment donnert mir Andreas seinen Helm ins Gesicht. Beim zweiten Kopfstoß halte ich dagegen, nach dem dritten ist er zufrieden. „Du bist bereit! Hab’ Spaß und hau sie um!“

Keine Zeit zum Nachdenken

Ein bisschen unwirklich fühlt es sich trotzdem an, als ich für den nächsten Drive auf den Platz laufe. Aber zum Nachdenken ist keine Zeit! Ab ins Huddle, in diese Spielertraube, in der wir unseren nächsten Spielzug besprechen. Einen Passspielzug sagt Quarterback David Isenmann an und für mich heißt das: einen Schritt auf den Gegenspieler zu, Kontakt aufnehmen und nur langsam zurückweichen. Dieses Kontaktaufnehmen aber soll laufen wie eine Explosion aus der Hocke heraus: Die Arme von unten dem Gegenspieler aufs Pad donnern, den Kerl mit beiden Händen auf seiner Brust nach hinten schieben, dabei die Beine bewegen und laufen, laufen, laufen!

Dass mein Gegenspieler schon eine Halbzeit in den Knochen hat, kommt nicht ganz ungelegen. Aber auch so ist es ein echter Kampf. Denn natürlich weiß der Mann, was ich vorhabe, und springt mir mit dem Kopf zwischen den Schultern entgegen. Es knallt, irgendwie krieg ich den Kerl zu packen und dann ist der Spielzug auch schon wieder rum. Mensch, Andi, danke für die Kopfstöße zur Einstimmung!

Am Ende gewinnen wir auch gegen Backnang und stehen plötzlich an der Tabellenspitze. Entsprechend feucht-fröhlich wird die Rückfahrt im Mannschaftsbus. Schon gut, dass hier keine Handys erlaubt sind …

Nach vier Monaten 

Spiel um Spiel setzen wir uns an der Tabellenspitze fest. Gegen Esslingen ist es fast ein Schützenfest und Ravensburg kann verletzungsbedingt gar nicht erst antreten. Hinter den Kulissen geht es derweil um die Zukunft des Vereins. Denn die 2008 in Lahr gegründeten Miners mit ihren 180 Mitgliedern haben bisher keine echte Heimat. Anders als die meisten Fußballvereine in der Region haben die Miners (passend benannt nach den Bergleuten im Schwarzwald) weder einen eigenen Platz noch ein Sportheim oder gar ein Stadion. Es gibt erste Gespräche mit der Stadt Offenburg, vielleicht ergibt sich im Windschatten der Landesgartenschau etwas, aber sicher ist noch gar nichts. Nur, dass es Sponsoren braucht, um weiterzukommen. 

Fürs Spiel am Wochenende wird der Fußballplatz vom FSV Bühl umfunktioniert, wo das Equipment in einem ausrangierten Überseecontainer verstaut ist. Die ganze Mannschaft muss ran, um den Platz zu kreiden, die Video-Übertragung einzurichten, die Mannschaftszone an der Seitenlinie aufzubauen und vieles mehr. Amateursport eben, aber perfekt organisiert.

Das letzte Heimspiel der Saison

Irgendwie ist Football Teil meines Lebens geworden. So ähnlich hat das Coach Peter am Anfang auch mal gesagt: „Football ist nicht einfach nur ein Sport, es ist eine Lebenseinstellung!“ Und da ist was dran! 

Nebenbei habe ich mich körperlich erheblich verändert. Die Beine sind kräftiger, Schultern und Arme auch, vom Bauch ist kaum noch etwas da. Mehr als 20 Kilo sind seit Februar weg – und das fühlt sich gut an!

Sportlich sieht es fast noch besser aus: Die Saison ist mit nur einer Niederlage bisher bestens gelaufen und gegen das Wolfpack aus Tauberfranken geht es Ende Juli um die Meisterschaft und den Aufstieg in die Landesliga. Schon zwei Wochen vor dem Spiel fiebert die ganze Truppe dem finalen Showdown entgegen. Im Training geht’s noch ein bisschen heftiger zu als sonst und ein bisschen macht sich auch Nervosität breit. Den größten Erfolg der Vereinsgeschichte klar machen? Aber ja! Nur dürfen wir unseren Gegner nicht unterschätzen …

Am Ende gewinnen wir das Spiel nicht einfach – sondern feiern einen echten Kantersieg. Nach dem 8:0 im Hinspiel holen wir ein deutliches 54:0 und ich darf meinen Teil ab dem zweiten Viertel beitragen. Linker Guard, wie gehabt also mitten im Getümmel, wo man kaum noch was mitbekommt, wenn der Spielzug losgeht. Man hört die Cheerleader nicht mehr, das Publikum nicht, sondern konzentriert sich mit einer Riesenladung Adrenalin in den Adern voll auf die nächsten zehn Sekunden. 

Mein Gegner hat die 78, ist zweieinhalb Zentner schwer, gar nicht gut gelaunt – aber ohne Chance. Carlos und ich schieben ihn aus dem Weg, Quarterback Jannick Fautz hat genug Zeit zum Werfen, sieht Sandor ,Sunny‘ Bojtos in der Endzone, der Ball fliegt und wir machen den nächsten Touchdown. Ein geiles Gefühl!

Was danach passiert, kann man in einem Magazin gar nicht recht beschreiben. Es gibt die Siegerehrung mit dem Verbandspräsidenten und eine kalte Dusche mit dem Trinkfass für den Coach. Wir laufen unsere Ehrenrunde, liegen uns in den Armen, sind so glücklich wie erschöpft, feiern unsere Gemeinschaft und sind im Grunde besoffen vor Glück. 

Ab nächstem Jahr heißt es: Landesliga! Das gab es noch nie in der Geschichte der Miners. Ob das mein Verdienst ist? Nein. Der Star ist die Mannschaft. Erst recht beim Football, wo wir alle füreinander die Rübe hinhalten. Wo es jeden braucht und wo es für jeden Typ eine Position gibt. Für die großen Dicken wie für die flinken Kleinen. 

Football in Deutschland

Football gibt es in Deutschland etwa seit den 1950er-Jahren. Damals trugen amerikanische Militärmannschaften erste Spiele aus, aber durchsetzen konnte sich der Sport nicht. Erst 1977 wurde in Düsseldorf der erste deutsche Football-Verein gegründet. In den 1980er-Jahren entstanden Ligen und Verbände, seit 1983 gibt es auch eine Nationalmannschaft – richtig populär aber wurde American Football in den 1990er-Jahren mit den Erfolgen der Frankfurt Galaxy. Inzwischen hat sich Football in Deutschland zum zweitbeliebtesten Fernsehsport gemausert. Wie populär American Football inzwischen ist, zeigt sich auch in den sozialen Medien: rund 2500 Follower haben die Miners bei Instagram – das sind genauso viele wie beim OFV, dem 1907 gegründeten Offenburger Fußballverein mit seiner ruhmreichen Vergangenheit, der aktuell Oberliga spielt.

#heimat Schwarzwald Ausgabe 40 (5/2023)

Die fünfte Heimat-Ausgabe ist da – und die steht ganz im Zeichen von Outdoor-Action! Wir haben mit Bikepackerin Wiebke Lühmann eine Tour auf zwei Rädern durch den Schwarzwald gemacht, sind entlang der Hotzenwälder Wuhren gewandert und haben unseren Herausgeber Ulf Tietge bei seinem neuen Hobby American Football begleitet. Außerdem haben wir ein Wochenende im schönen Kaiserstuhl verbracht, mit Jan von Holleben in einem exklusiven Interview über seine Fotokunst gesprochen und eine Künstliche Intelligenz gefragt, wie sie unsere Heimat eigentlich sieht.

Was jedoch nicht fehlen darf ist richtig gutes Essen! Diesmal: Pasta! Im Oktober erscheint bei team tietge, dem Verlag hinter #heimat, das neue Kochbuch Pasta con Amici. Unsere vier liebsten Spätsommerrezepte findet ihr schon jetzt bei uns im Magazin.

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