Ein bisschen Bammel …
Eine Woche später geht es zum ersten Mal in die Formation. Mit Helm, Mundschutz und ein bisschen Bammel, ich kann’s nicht anders sagen. Fünf schwere Jungs bilden die erste Reihe, hinter uns steht der Quarterback. Ich bin der zweite von links und kann kaum was sehen. Der Helm rutscht mir immer wieder vor die Augen, also konzentrier ich mich auf die Füße meines Gegners. Weak-Side-Guard nennt sich meine Position, so fühl ich mich auch, aber gemeint ist damit so etwas wie der Wachposten auf der blinden Seite unserer Formation.
600 Kilo Muskeln, Knochen und Fett sollen unserem Quarterback in den nächsten drei bis fünf Sekunden genug Zeit geben, einen vernünftigen Spielzug zu schaffen. Klingt einfach, solange die Verteidiger uns nicht einfach über den Haufen rennen oder wieselflink zwischen uns hindurch schlüpfen. Das mit dem Helm wird immer mehr zum Problem, denn mir geht’s wie den Rittern im Mittelalter mit ihren Sehschlitz-Blechmützen: Ich seh quasi nix – und dann knallt’s. Scheint, als hätte ich wen aufgehalten. Oder vielleicht auch nicht. In jedem Fall fliege ich im hohen Bogen rückwärts durch die Luft und für einen Moment ist die Schwerkraft aufgehoben.
Die Landung ist weicher als gedacht. Der Schulterpanzer hilft, das Pad. Der Kunstrasen auch. Und es ist sofort jemand da, der einem aufhilft. Also gleich wieder rein in die Phalanx der bauchigen Ballerinas. So in etwa will uns der Coach sehen, hat er vorhin gesagt. Schwer wie ein Wellenbrecher, aber beweglich wie eine Krake. Ich dagegen fühl mich eher wie ein tiefgefrorener Hering. Schon noch Schwarmfisch – aber etwas orientierungslos.
Zum Verschnaufen aber bleibt keine Zeit. Nach 40 Sekunden muss der Ball wieder fliegen. Also sammeln, Spielzug absprechen, aufstellen, ausrichten, Countdown und warten, dass es wieder scheppert. Rumms? Nein! Verdammt! Keine Ahnung, wo mein Gegenspieler hin ist – aber gut kann das nicht sein, wenn ich hier allein auf weiter Flur über das Feld irre …
Nach drei Wochen Training
Football ist ein Kollisionssport. Kontakt gibt’s immer. Blaue Flecken gehören dazu, angeblich aber ist die Verletzungsgefahr geringer als beim Fußball. So ganz kann ich das nach der dritten Trainingswoche leider nicht bestätigen, denn der rechte Knöchel ist dick. Überdehnte Außenbänder, nachdem mir jemand auf den Fuß gefallen ist. Das Schlimmste daran ist die Trainingspause. Einerseits sind’s nur noch vier Wochen bis zum Saisonstart – andererseits kann ich es selbst kaum glauben, wie sehr ich danach giere, mich auf dem Platz auszupowern. Work-Life-Balance? Rumms! Hier ist sie! Kommt mit zweieinhalb Zentnern auf dich zugeflogen und gibt dir keine Chance, den Stress des Tages nicht zu vergessen.
Die Verletzungspause ist ideal, um die Ausrüstung zu vervollständigen. Dafür geht’s nach Böblingen. Eigener Helm, eigener Schulterpanzer, spezielle Schuhe, ein Trikot, einen Ball (auch wenn O-Liner den eigentlich gar nicht brauchen), eine XXL-Tasche für das ganze Gerödel und die Spielkleidung – 1000 Euro gehen dafür schnell drauf. Man muss das natürlich nicht machen. Der Verein leiht seinen Rookies gern die Ausrüstung, aber es ist wie beim Angeln: Mit der eigenen Rute fühlt man sich dann doch am wohlsten.
Außerdem bietet der neue Helm einen Riesenvorteil: Ich sehe nicht mehr nur die Füße meiner Gegner, sondern das ganze Schlachtfeld vor mir. Man sieht die kleinen Zeichen, die heimlichen Blicke und versteht die Kommandos vom Coach. Sowie sich der Ball bewegt, wird’s trotzdem wieder wild. Zwei, drei Schritte, dann scheppert’s, aber im Augenwinkel sehe ich, wie der Ball weit über uns hinwegfliegt und vom Passempfänger artistisch mit einer Hand gefangen wird. Yes!
Die Football-Saison beginnt …
Seit sieben Wochen bin ich jetzt bei den Miners – und angekommen. Im Team und in diesem irrsinnig anspruchsvollen Sport. Ich gehe zweimal die Woche zum Training, habe mit Karteikarten die Spielzüge aus dem Playbook gepaukt und stundenlang Videos von unseren Gegnern studiert. Beim Training weiß ich ungefähr, was von mir verlangt wird, wo ich hin soll, wen ich aufhalten muss – und ich spüre, wie dadurch mein Körper kräftiger wird, wie der Bauch schmilzt und sich meine Laune von Woche zu Woche bessert. Und nebenbei bemerkt: zehn #heimat-Kilos sind schon weg.
Dennoch macht sich ein leicht mulmiges Gefühl im Bauch breit, als ich an diesem Samstag in den Bus steige. Es geht nach Bad Mergentheim. Das Wolfpack aus Tauberfranken wartet auf uns. Das erste Spiel der Saison, gleich auswärts – aber ich kann es vorwegnehmen: Noch habe ich wohl zu viel Trainingsrückstand. Das Spiel ist bis zum Ende supereng, wir gewinnen mit einem Touchdown und ich bleibe ohne Einsatz. Schade, aber man soll ja auch nichts überstürzen …
Mein erstes Spiel
Zweiter Gegner in der Bezirksliga ist Backnang. Auch ein schwerer Brocken, aber es läuft von Anfang an. Wir sind mit zwei Touchdowns vorn, da winkt der Coach: „Mach dich bereit! Du kommst rein!“ Klasse! Helm auf, Mundschutz rein, kann los gehen! Da aber baut sich Andreas Deister, einer meiner erfahreneren Mitspieler, plötzlich vor mir auf. „Du glaubst, du bist bereit?“
„Ja, klar“, rufe ich, und im nächsten Moment donnert mir Andreas seinen Helm ins Gesicht. Beim zweiten Kopfstoß halte ich dagegen, nach dem dritten ist er zufrieden. „Du bist bereit! Hab’ Spaß und hau sie um!“