Auf Luchssuche im Schwarzwald

Unsere Autorin hat sich im Wolf- und Bärenpark Schwarzwald auf die Suche nach dem Luchs Catrina begeben. Denn die beiden verbindet eine Geschichte…

Text: Katerina Ankerhold · Fotos: Dimitri Dell

Die Fahrt aus dem Tal hinauf nach Bad Rippoldsau-Schappach ist kurvig, die Temperaturen sind für die Jahreszeit ungewöhnlich hoch. Ich bin froh, als wir kurz hinter dem Ortsausgang auf den Parkplatz fahren und uns beim Aussteigen kühle, frische Luft entgegenschwappt. „Hier oben muss es sich ganz angenehm leben“, denke ich, als wir die kleine Steigung zum Eingang des Alternativen Wolf- und Bärenparks hinauflaufen, ringsum nur Grün. Ich bin zum zweiten Mal hier, und heute habe ich meinen Kollegen Dimitri mit seiner Kamera dabei. Wir hoffen, einen Blick auf meine tierische Namensvetterin Catrina erhaschen zu können, für die ich vor zwei Jahren eine Tierpatenschaft übernommen habe. Eigentlich ist die Luchsdame naturgemäß eine scheue Zeitgenossin und fühlt sich nachts viel wohler als am Tag. Aber wer weiß, vielleicht haben wir ja Glück …?

Persönlich getroffen habe ich Catrina vor einigen Jahren schon mal, damals wusste ich aber noch nicht, dass sich unsere Wege noch einmal kreuzen würden. Es war an einem lauen Sommerabend in Straßburg, wo ich mir bei einer Runde durch den Park die Beine vertrat. An diesem Abend bog ich in den Minizoo des Parc de l’Orangerie ab, in dem eine Reihe von Säugetieren und Vögeln ein sehr tristes Dasein fristen. Eigentlich vermeide ich den Anblick dieser traurigen Geschöpfe, weil er mich jedes Mal entweder traurig oder wütend stimmt. Aber diesmal führte mich mein Weg am Geländer des Luchsgeheges entlang. In der friedlichen Stille des Abends blieb ich stehen und blickte in die Augen einer Wildkatze, die auf einem der wenigen Äste in ihrem beengten Zuhause lag. Unter ihr Betonpflaster, sonst nichts.

Ich bin kein esoterischer Mensch und auch überdurchschnittlich tierverbunden war ich noch nie. Aber als ich da stand, allein mit diesem Tier, zwischen uns zwei grüne Gitterreihen, spürte ich ganz deutlich seinen durchdringenden Blick, seine Präsenz – und seine Traurigkeit. Damals durchfuhr mich eine tiefe Melancholie, die mich noch mehrere Tage lang verfolgte.

Zurück zur Natur

Einige Zeit später, im Sommer 2017, wurde Catrina zusammen mit ihrem Bruder Charlie, von mir unbemerkt, aus ihrem grauen Gehege geholt und in den Schwarzwald gebracht. „Die beiden Luchse waren im Zoo geboren“, erklärt mir heute Sabrina Reimann. Mit der Leiterin des Wolf- und Bärenparks laufen wir durch die Anlage, bleiben hier und da stehen und halten Ausschau nach Tieren. „Sie waren umringt von Affengeschrei und Vogelgezwitscher, was eine furchtbare Reizüberflutung für ihr empfindliches Gehör bedeutete.“ Im Einvernehmen mit den Zoobetreibern kamen Catrina und Charlie (der mittlerweile verstorben ist) in den Schwarzwald, wo sie zum ersten Mal ein annäherungsweise natürliches Leben erwartete.

Zwei Luchse, sechs Wölfe und acht Braunbären leben auf dem zehn Hektar großen Gelände – und etliche stehen auf der Warteliste. Allesamt Tiere, die nie oder vor so langer Zeit in freier Wildbahn gelebt haben, dass sie ihre natürlichen Instinkte nie gelernt oder längst vergessen haben. Bären, die in Zirkusarenen Kreise fuhren. Wölfe, die als Attraktion gehalten wurden. Oder eben Luchse aus fragwürdigen Zoos. „Die Tiere sind so auf den Menschen geprägt, dass sie bei Auswilderung ihre Nahrung immer in seiner Nähe suchen würden – und das ist gefährlich. Hier bei uns erleben ehemals gequälte Tiere aber immerhin endlich ein Stück Natur“, sagt Reimann. Es sei wichtig zu wissen: „Wir sind kein Tierpark, sondern ein Tierschutzprojekt.“ Der Kontakt zwischen Tier und Mensch wird so gering wie möglich gehalten. Futter wird auf dem gesamten Gelände verteilt, sodass sich die Tiere ihre Nahrung selbst suchen und sie auch gegen ihre Konkurrenten verteidigen müssen. Die Anlage ist in vier Bereiche eingeteilt, die bei Bedarf voneinander getrennt werden und in denen sich so einzelne Tiere zurückziehen können. Auf Besucher ist der Park, dessen Partner-Park im Thüringischen Worbis steht, dennoch angewiesen. Die gesamte Finanzierung läuft über Spenden und Besuchereinnahmen. Das rund 25-köpfige Team wird unterstützt von vielen Ehrenamtlichen. Ohne sie wäre die Unterhaltung des Parks nicht möglich.

Von Mensch und Tier

All das in Verbindung mit meiner Geschichte aus Straßburg hatte mich bei meinem ersten Besuch hier so sehr berührt und mit Respekt erfüllt, dass ich mich entschied, die Patenschaft für Catrina zu übernehmen. Sie heute zu Gesicht zu bekommen, wäre eine echte Ehre …

Präsentieren tun sich uns bisher aber vor allem die Wölfe. Gaia ist erst vor Kurzem in den Schwarzwald gekommen und erkundet neugierig ihren neuen Lebensraum. Als eine Besucherin mit einem Hund vorbeiläuft, wird die Wölfin aufmerksam. „Bei ihr sind wir uns nicht sicher, wie hoch ihr Wolf- und wie hoch der Hundeanteil ist“, erklärt Reimann. „Leider gibt es diesen Trend, Wölfe und Hunde zu kreuzen. Wir sprechen dann von Wolfshybriden. Diese Tiere haben oft einen starken Bezug zum Menschen, aber der vergisst dabei, dass eben auch ein wilder Wolf in ihnen steckt.“

Als studierte Wildtierökologin weiß Reimann, welche Bedürfnisse und Instinkte die Tiere in ihrer Obhut haben. Für sie sei das Allerschönste an der Arbeit, den Tieren bei ihrer Entwicklung hier im Schwarzwald zuzusehen. Wie sie nach häufig jahrzehntelanger Gefangenschaft in unmittelbarer Nähe des Menschen langsam ihre natürlichen Instinkte wiederentdecken und „endlich wieder Tier sein dürfen“.

Dann unterbricht Reimanns Funkgerät unser Gespräch und sie eilt davon – im hinteren Bereich des Parks tut sich etwas. Ihre Kolleginnen haben entdeckt, dass die Braunbärin Daria sich heute zum ersten Mal in einen bestimmten Bereich der Anlage hineingetraut hat. Hier läuft sie nun durchs Dickicht und flößt nicht nur den von Weitem beobachtenden Menschen Respekt ein, sondern durchaus auch ihren bärischen Mitbewohnern. Arian, einer der jüngsten, traut sich immer wieder nah an die Bärin heran, schreckt dann vor ihr zurück, nur um kurz darauf wieder seiner Neugier nachzugeben. Über Funk verständigen sich die an unterschiedlichen Stellen positionierten Parkmitarbeiter und verfolgen – soweit das die Sicht ins Gelände zulässt – jeden von Darias Schritten. Durch Baumkronen und Büsche hindurch beobachten wir die massige Bärin, die langsamen, aber bestimmten Schrittes durchs Gelände zieht. Ab und zu steigt ein tiefes Grollen aus dem kleinen Tal hinauf. „Das ist ein richtig krasser Sound“, sagt Dimitri mit großen Augen und ich gebe zu: Ich bin ganz froh, dass ein Zaun zwischen uns und der Bärin steht.

Die Hoffnung stirbt zuletzt 

Etwas weiter den Rundweg hinunter befindet sich der Bereich, in den sich die Luchse am liebsten zurückziehen, verrät uns eine Erklärtafel. Irgendwo dort im Gebüsch liegt vermutlich Catrina und döst gemütlich vor sich hin. Mit 16 Jahren ist sie schon eine eher betagte Luchsdame. Wer mag es ihr da übelnehmen, dass sie den Mittagsschlaf im Schatten der Mittagshitze vorzieht … Hoffnungsvoll bleibe ich trotzdem noch eine Weile stehen. Vielleicht schaut sie ja doch noch hinterm Gebüsch hervor? Als Dimitri schmunzelt, gebe ich nach. Das wird wohl heute nichts mehr. Schade. Aber irgendwie auch beruhigend, dass sie hier die Freiheit besitzt, sich vor mir zu verstecken. Denn ich gehöre schließlich eigentlich ganz und gar nicht in Catrinas natürlichen Lebensraum …

#heimat Schwarzwald Ausgabe 25 (2/2021)

Ob Hüftgold vom Titisee, blütenschnuppern im Renchtal oder hobbygärtnern auf Balkonien - Wir haben richtig Bock auf Frühling!

#heimat, der Genussbotschafter für den Schwarzwald 

In der Zeitschrift #heimat geht es um Genuss in der Region, um (kulinarische) Traditionen und gute Adressen, um Manufakturen und Menschen. Idee und Konzept für #heimat stammen von Chefredakteur Ulf Tietge und seinem Team. Das Magazin wurde 2016 mit dem Ortenauer Marketingpreis ausgezeichnet und ist inzwischen bundesweit erhältlich.

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