So baut man eine Schwarzwald-Uhr

Wer hat an der Uhr gedreht, und wie baut man eigentlich eine? Unsere Autorin Sarina hat es bei Laco direkt selbst ausprobiert

Text: Sarina Doll · Fotos: Galina Ens

Wie oft diese Uhr wohl getickt hat, wenn sie seit 1940 Sekunde für Sekunde ihre Zeiger bewegt? Diese Frage kommt mir in den Sinn, als ich die 80 Jahre alte, intakte Uhr des Pforzheimer Uhrenherstellers Laco betrachte. Wenn Zahnrädchen in Zahnrädchen greift, Zeiger reglos und gleichzeitig in Bewegung sind, betrieben wie von Geisterhand – das ist schon ein faszinierendes Handwerk.

Und diese Faszination spüre ich, als sich die Tür zur Werkstatt der Uhrenmanufaktur öffnet. Vier Uhrmacher und eine Uhrmacherin in roten Poloshirts beugen sich an diesem Morgen über winzig kleine Schräubchen und Rädchen. Hantieren mit Pinzetten und Miniatur-Schraubenziehern. Erwecken die mechanischen Armbanduhren zum Leben. Einer von ihnen: Angelos Agotzikis. Der 36-jährige Uhrmacher und Werkstattleiter ist seit vier Jahren bei Laco. Er wird mir später zeigen, wie man eine Uhr zusammenbaut – und wie stark der Geduldsfaden eines Uhrmachers sein muss …

U(h)ralte Tradition

Die Faszination für Uhren liegt vermutlich in unserer Schwarzwälder DNA. Schon seit dem 18. Jahrhundert werden im Schwarzwald Uhren hergestellt. Um 1840 gab es zwischen Neustadt und Sankt Georgen etwa 1000 Uhrmacherhäuschen mit knapp 5000 Beschäftigten. Damit hat der Schwarzwald einen bedeutenden Teil zur Weltproduktion beigetragen. Später entstanden daraus Fabriken, Firmen wie Junghans, Kienzle und Mauthe gingen in die Massenproduktion und existieren teils heute noch. Bis heute erinnern die Deutsche Uhrenstraße und das Deutsche Uhrenmuseum in Furtwangen an die Schwarzwälder Uhrentradition.

In der Schmuck- und Goldstadt Pforzheim lebt Uhrentradition bis heute. Hinter den Türen von Laco werden seit knapp 100 Jahren Uhren hergestellt: zu Beginn Schmuck- und Taschenuhren, später Fliegeruhren. Im Zweiten Weltkrieg trugen Piloten und Navigatoren der Luftwaffe Lacos Uhren im Cockpit. Angelos zeigt mir ein Modell von damals. Stattliche 55 Millimeter Durchmesser misst das massive Uhrengehäuse mit außenliegender Sekundenanzeige, die über dem Ärmel vom Flieger-Overall getragen wurde. Bis heute sind Fliegeruhren wie diese das Alleinstellungsmerkmal von Laco, heute werden sie nach Städten mit Flughäfen benannt.

Das Uhrmacher-Gen

Ich tauche heute ein in die Welt der Uhrmacher und darf ran an eine Fliegeruhr Original, Modell Leipzig. Ein Klassiker. Kostenpunkt: 980 Euro. Auf die Frage, wie lange die Uhr wohl überleben könnte, antwortet Angelos: „für immer“. Ein krasser Gedanke. Vielleicht wird meine Uhr Generationen überleben? Ich bekomme schwitzige Hände. Damit ich keine Spuren auf der Uhr hinterlasse, stülpe ich mir weiße Fingerlinge über. Angelos knipst die Neonröhre über mir an. Positioniert meinen Stuhl. „Dann, wenn es sich falsch anfühlt, sitzt man genau richtig“, so seine Anweisung. Recht hat er, denn mit dem Kinn auf Tischhöhe (zumindest gefühlt) ist’s genau richtig fürs Uhrenmachen.

Das kann ja was werden… Ich bin eigentlich eher Team Ungeduld. Bügelperlen und Steckspiele haben mich schon in meiner Kindheit zur Weißglut gebracht. Doch die Uhrmacher um mich herum scheinen einen Geduldsfaden bis zum Mond zu haben. „Man kann den Beruf nur machen, wenn man eine gewisse Leidenschaft dafür hat. Man braucht das Uhrmacher-Gen“, erzählt Uhrmacher Angelos. Seine Begeisterung wurde nach der Ausbildung entfacht, als er endlich randurfte an die richtig teuren Uhren …

Uhren bauen: ein Selbstversuch

Also: Let’s go! Vor mir liegen Schrauben so klein wie Ameisenköpfe, Zeiger so schmal wie Stecknadeln. „Zuerst musst du das Uhrwerk mit dem Ziffernblatt verheiraten“, erklärt Angelos. Uhrwerke für die mechanischen Uhren stellt Laco nicht mehr selbst her, sondern bezieht sie aus Japan und der Schweiz. Ich versuche, ein Schräubchen mit der Pinzette zu greifen. Einmal. Zweimal. Zehnmal. Erst dann schaffe ich es, mit zitternder Hand und zusammengekniffenen Augen die Schraube zu greifen und sie in das Mini-Löchlein zu manövrieren, in das sie gehört. Angelos macht mir Mut: „Es kommt nicht auf die Schnelligkeit an, sondern auf Präzision.“ 

Im nächsten Schritt kommt der Schraubenzieher zum Einsatz: Schraube festziehen, lautet Angelos Arbeitsanweisung. Ich stülpe mir die Uhrmacherlupe aufs Auge (das ist schwieriger als gedacht), setze an und siehe da: Das ging einfacher als gedacht. Meine Motivation ist geweckt! Also gleich weiter. Abstandsring aufsetzen. Ziffernblatt montieren. Zeiger setzen. Krone fetten. Nichts vergessen? Dann das Lederband anbringen! 

Drei Kratzer, zwei Notfalleinsätze von Angelos und einen Verzweiflungsschrei später (dafür stolz wie Oskar) ist das Werk vollbracht. Die Uhr tickt leise vor sich hin, mir entweicht ein lauter Jubelschrei! 45 Minuten habe ich dafür gebraucht. Und so blöd es klingt: Ich habe dabei komplett die Zeit vergessen ...

Zeit im Blut

Wer an Uhren made im Schwarzwald denkt, der kommt an einer nicht vorbei: der Kuckucksuhr. Die mechanische Uhr, die uns regelmäßig mit einem zwitschernden Kuckuck vergnügt (oder zur Weißglut treibt), ist Schwarzwälder Kulturgut. Aber unsere Vorfahren waren dank Uhrenträgern schon vor 300 Jahren auch für Wecker, Stand- und Wanduhren bekannt – und das weit über die Landesgrenzen hinaus.

#heimat Schwarzwald Ausgabe 35 (6/2022)

Lust auf entspannten Kurzurlaub im Schwarzwald? Genau dahin nehmen wir euch in der neuen #heimat mit. Unsere Autorin Sarina war saunieren, kneippen, baden und chillen – und hat dazu die besten Wellness-Oasen in der Region zusammengestellt. Außerdem besuchen wir eine Lebkuchenbäckerei in Todtmoos, einen E-Gitarrenbauer in Bühl, stellen euch eine ganz besondere Tanne vor, backen und brutzeln fürs Fest – und vieles mehr! Die neue #heimat ist ab heute überall im Handel erhältlich. Und auch in unserem Online-Magazin findet ihr viele der Reportagen, Porträts, Tipps und Rezepte - schaut doch mal rein!

Weitere tolle Artikel aus der #heimat

Aktuelles

Da geht viel Rhein!

Zum ersten Mal tun sich in Sachen Rhein Museen aus Frankreich, der Schweiz und Deutschland zusammen, um über den Rhein zu berichten
Reportagen

Die schönsten Bilder der Ortenau

Beim diesjährigen Fotowettbewerb des Ortenaukreises wurden Lieblingsplätze in der Region gesucht, 450 wurden eingereicht. Und hier sind die Gewinner!
Reportagen

Dolci mit Kirschwasser

Süße Sachen? Dann ist Marion Jentzsch nicht weit. Der Offenburger Backprofi holt uns Bella Italia in den Schwarzwald
Schwarzwald

Vom Teich direkt auf den Teller

Die Familie Bareiss weiß, was Forellen mögen – und wie man sie am besten zubereitet...
... Reportagen So baut man eine Schwarzwald-Uhr