Pop-up-Hotel im Schwarzwald: Das schöne Leben

Was bitte ist ein Pop-up-Hotel? In Hornberg findet man seit Kurzem eine Antwort: Das schöne Leben, ein Experiment mit Zukunft!

Text: Stephan Fuhrer Fotos: Joshua Rzepka

Das Haus kenn’ ich noch von früher. Als alter Hornberger war ich hier immer mal wieder – mal mit den Eltern essen, mal am Bierautomaten vorm Hotel, die seinerzeit einzige 24-Stunden-Gelegenheit weit und breit, um inmitten des Schwarzwalds auch spät nachts noch an was Hopfiges zu kommen. Zuletzt sogar, und das ist noch gar nicht lange her, sind wir im alten Hotel Schondelgrund zu später Stunde mit ein paar Freunden auf einer Silvesterparty gelandet. 2016/17 war das. Wie auch immer die Aktion zustande kam. Die Diskokugel glitzerte durch die freigeräumten, in die Jahre gekommenen Speisesäle drumherum. Ausgelassene ältere Damen und Herrschaften tanzten mit Boney M. und Rod Stewart ins neue Jahr, während sich in den Ecken vom Linoleumboden unter ihnen allmählich der Kleber löste.

Es war gefühlt so etwas wie das große Finale, die Abschlussfeier einer Jahrzehnte währenden Erfolgsgeschichte, die mit einer Gastronomen-Familie begann, die konsequent auf die touristische Anziehungskraft des Schwarzwalds setzte. Als ich Kind war, standen vorm Hajnal – so wurde das Haus im Städtle nach der Wirtsfamilie genannt – Busse mit ausländischen Kennzeichen. Immer! Holländer. Engländer. Belgier. Waren sie weg, kamen die nächsten. Doch dann wurde es stiller und stiller in dem Seitental. Und irgendwann gingen die Lichter im Schondelgrund dann ganz aus, zuletzt auch gesundheitsbedingt.

Pop-up-Hotel – was ist das?

Ein paar Jahre später komme ich nun zurück, um an Ort und Stelle eines der allerersten Pop-up-Hotels im Schwarzwald zu besichtigen. Das schöne Leben heißt es und ich bin gespannt, was das überhaupt sein kann – ein Pop-up-Hotel. Pop-up-Restaurants kennt man ja inzwischen. Irgendwo an irgendeinem besonderen Ort wird man eine gewisse Zeit lang bekocht, ehe Koch und Küche wieder weiterziehen. Aber wie passt das Prinzip zu einem Übernachtungsbetrieb? „Komm’, ich zeig’s dir“, begrüßt mich Marcel Hajnal, der kürzlich zurückgekehrte Spross der Familie, der seit Sommer 2022 mit seiner Frau Franca das Familienhotel wiedereröffnet hat – und zwar „perfekt unperfekt“, wie es das Paar beschreibt. Das macht mich umso neugieriger.

Aus wenig mach mehr

Auf den ersten Blick ist alles neu beziehungsweise renoviert. Vom komplett weiß gestrichenen Haus (sogar die Dachpfannen haben Farbe abbekommen) über einen ganz neuen Eingang an anderer Stelle bis hin zum hellen Empfangsbereich mit loungigen Möbeln. Dahinter entdecke ich einen alten Kleiderschrank, der als eine Art Mini-Hotel-Shop fungiert. Boutique-Style, und das mitten im Schwarzwald. Feine Sache. Und auch die ehemaligen Speisesäle sind komplett neu gestaltet – oder doch nicht? Marcel lacht. „Nein, wir haben hier nur ein bisschen umgestellt, haben die Sitzbänke von den Wänden geschraubt, aufgemöbelt und in die Mitte gestellt, sodass wir eine zentrale Tafel in  den Raum bekommen haben, an dem sich die Gäste begegnen können“, erzählt er. Und ich wundere mich bei vielen kleinen Details, wie man – wenn man genau hinsieht – durch eigentlich wenig Veränderung vieles bewirken kann. Das gilt auch für die alte Tanzfläche, auf der vor wenigen Jahren noch gefeiert wurde. Hier haben Franca und Marcel ein kleine Bibliothek eingerichtet – mit einem urigen Oma-Sofa, Table Books zum Blättern und einer Wand aus alten kleinen Röhrenbildschirmen, die das Paar zu Dekozwecken aus den Zimmern geholt hat. Dazwischen finden sich aber auch ein paar Designerstücke, die dem ganzen eine Art Retro-Chic verleihen.

Perfekt unperfekt

Nach einem Abstecher über das Außengelände mit freistehender Iglu-Sauna, Gartenpool und Boule-Bahn, die sich im Winter in eine Eisstockbahn verwandelt, kommen wir schließlich zu den Zimmern. Und als ich mich im Flur gerade noch frage, warum hier die künstlerisch eher weniger wertvollen Wandbilder mit einem Klebestreifen quasi durchgestrichen wurden, fällt bei mir beim Blick ins erste Zimmer endgültig der Groschen: Es ist Rosa gestrichen, aber nur die untere Hälfte, die Farbe wurde sogar noch über die Badtür hinweg gepinselt. Die andere Hälfte ist quasi das alte Zimmer, so wie es schon die Abertausenden von Bustouristen kannten. Auch im Bad haben Franca und Marcel nur das Nötigste gemacht. Die sanitären Anlagen sind sauber und gepflegt, aber sie sind eben auch in die Jahre gekommen.

„Wabi-Sabi“, sagt Marcel und meint damit den Kern ihrer Pop-up-Idee: Die Schönheit im Unperfekten zu sehen und die Dinge zu akzeptieren, wie sie sind. „Wir wollen die Geschichte unseres Familienbetriebs durch unsere improvisierte Umgestaltung weitererzählen“, sagt Marcel, der in München als Marketing-Manager arbeitete (Franca ist von Haus aus Juristin) und verrät, dass das Ganze im Prinzip ein Vorgeschmack, ein Ausprobieren ist für das, was da noch kommen soll: einen kompletten Neubau beziehungsweise Anbau an Ort und Stelle. „Die Substanz der Häuser – neben dem Hauptgebäude gibt es noch zwei Gästehäuser – reicht nicht aus, um darauf aufzubauen“, erzählt Marcel. Und da Bauanträge und Co. noch dauern, kam es zu der Pop-up-Idee. „Wir probieren uns jetzt erstmal selber aus und sammeln viele wertvolle Erfahrungen.“

Das nächste Kapitel

Und wie finden’s die Gäste? „Die fühlen sich wohl“, erzählt der Hausherr. Auch die modern konzipierte Küche – zuletzt gab’s im Pop-up-Hotel gar ein Thai-Pop-up-Restaurant – komme gut an. Allerdings: „Wir erklären unseren Gästen am Anfang unsere Geschichte und Idee, das muss schon sein, Kommunikation ist bei so einer Sache wichtig, um das mit dem Pop-up auch einordnen zu können“, sagt Marcel.

Ich für mich hab’s jetzt in jedem Fall verstanden. Aus Altem wird Neues – aus diesem Geist heraus entstehen ja oftmals die besten Ideen. Im Schondelgrund hat das nächste Kapitel begonnen …

#heimat Schwarzwald Ausgabe 44 (3/2024)

Endlich ist draußen alles grün und das feiern wir in der neuen Ausgabe – mit neu interpretierten Spargelgerichten, knallroten Erdbeeren und den besten Rezepten für einen echten italienischen Aperitivo auf dem Balkon. Jetzt, wo die Urlaubssaison langsam losgeht, findet ihr bei uns jede Menge Ideen für Ausflüge und Abenteuer im Schwarzwald: vom Microcamping mit dem Camper Van auf außergewöhnlichen Spots über Fußballgolf bis hin zu Freilichtmuseen. Natürlich haben wir auch wieder spannende Persönlichkeiten aus der #heimat wie Zoodirektor Matthias Reinschmidt, den Offenburger Künstler Stefan Strumbel oder Europa-Park Sommelier Vincenzo De Biase für euch getroffen und ausgefragt.

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