Wie Jürgen the Bread zum Baking-Star wurde

Im Schwarzwald unbekannt, in England ein Star. Unser Interview mit Jürgen Krauss über Briten, Brot und Brezeln

Text: Pascal Cames · Fotos: Baschi Bender

Der Freiburger Jürgen Krauss (59) ist in England als „Juergen the bread“ bekannt. Seit er in der TV Back-Show „The Great British Bake Off“ (Das große Backen) die Herzen der Briten eroberte, ist er sowas wie ein Star auf der Insel. Sein Backbuch verkauft sich in Großbritannien und Amerika wie geschnitten Brot. Wir haben mit ihm über seinen „komischen Lebenslauf“ und natürlich die Heimat gesprochen. Der Schwarzwald wird vermisst!

Zunächst herzlichen Glückwünsch! Dein Backbuch ist ein Bestseller. So war’s geplant, oder?

Nö. Als ich mit dem Großen Backen (britischer TV-Backwettbewerb) angefangen habe, wusste ich überhaupt nicht, wo die Reise hingeht. Ich dachte, dass ich in der dritten Woche rausfliege. Als ich im Halbfinale die Sendung verlassen musste, haben die Leute ihren Fernseher aus dem Fenster geworfen. Über 100 Zuschauer beschwerten sich, dass was falsch gelaufen sei. 

Oh, das klingt, als wärst du sehr populär geworden. 

Ja. Meine Agentin sagte, wenn du dein Gesicht draußen behalten willst, musst du ein Buch schreiben. Es kommt wirklich gut an in England, und in den USA sogar noch besser. 

Hast du eine Ahnung, warum du so gemocht wirst?

Ich glaube, die Leute nehmen mich als authentisch wahr. Ich bin der positive Deutsche mit viel Genauigkeit und Humor.

In deinem Buch sind Rezepte aus dem Schwarzwald und von deiner Mutti drin. Hast du bei ihr das Backen gelernt? 

In unserer kleinen Wohnung in Freiburg war die  Küche das Zentrum. Als ich auf die Welt kam, hat meine Mutter aufgehört zu arbeiten und war für uns Kinder da. Egal, was in der Küche passiert ist, wir waren dabei. Wir haben gekocht und gebacken.

Was hast du damals am liebsten gebacken?

Bredle! Manchmal war es katastrophal, aber am Ende war alles okay. Wir hatten mindestens fünf Sorten Bredle. 

Warum bist du nicht Bäcker oder Koch geworden?

Weil mir in der Schule Physik leicht gefallen ist. Man muss nur die Zusammenhänge verstehen. Ans Handwerk habe ich nicht gedacht. Mein Vater war Schlossermeister. 

Du hast erst in England angefangen zu backen … 

Ja, das ist eine lange Geschichte. Als Physiker fand ich keine Anstellung und habe Küchen gebaut und als Posaunist auf historischen Instrumenten alte Musik gemacht. Damit war ich für zwei, drei Jahre ziemlich beschäftigt. Dann habe ich in einem kleinen Betrieb als Programmierer angefangen und wurde fürs Internetsurfen gut bezahlt. Das war langweilig. Über die Musik bin ich auf die Feldenkrais-Methode (Entspannungstechnik) gestoßen und habe dafür in Heidelberg und England eine Ausbildung gemacht. Dort habe ich mich verliebt. Seit 2003 arbeite ich in einem Jobcenter als Programmierer. Donnerstags habe ich frei, da backe ich.  

Was gefällt dir an England?

Viele Leute sind sehr offen, angenehm, interessiert und kreativ. Mit meinem Umfeld komme ich besser klar als in Deutschland. Mit meinem komischen Lebenslauf werde ich viel mehr akzeptiert. Gleichzeitig ist es so, dass man, wenn man nicht aus Cambridge oder Oxford kommt, oft keine Karriere machen kann. Wo ich arbeite, ist das egal. Von daher fühle ich mich in England wie daheim. 

Wie sprechen die Engländer Jürgen aus?

Falsch.

Fehlt dir was in good old England?

Manchmal vermisse ich die Berge und Wälder und auch das Essen. Deshalb habe ich mit Brotbacken angefangen, weil ich deutsches Brot vermisst habe.

Hängt die Heimat am Essen?

Natürlich. Aber eigentlich ist unsere Backkunst gar nicht so regional. Es gibt so viele Verbindungen zwischen der badischen, polnischen, österreichischen und französischen Backkunst. Kochen halte ich für regionaler.

Hast du eine Erklärung dafür?

Ich glaube, dass beim Kochen viel, viel mehr regionale Zutaten und der Austausch eine Rolle spielen. Schwarzwald und Elsass, Schwarzwald und Schwäbische Alb, es liegt alles näher beieinander. Beim Backen kann ich fast eine Landkarte sehen. Die Habsburger hatten einen großen Einfluss auf unsere Backkultur. 

Haben Musik und Backen etwas gemeinsam? 

Backen ist wie Musik spielen. Was wundervoll ist, weil man für den Augenblick lebt. Das ist toll. Und es kommt irgendwie alles zusammen: Präzision, aber auch Hingabe, Liebe, Verständnis. 

Wer oder was hat dich als Bäcker inspiriert?

Zum Brot backen hat mich Andrew Whitleys Buch „Bread Matters“ gebracht, der in Russland backen gelernt hat. Er hat in England eine der ersten Bio-Patisserien aufgemacht und große Supermarktketten mit Bio-Brot beliefert. In seinem Buch beschreibt er, wie wichtig eine langsame Gare und ein gutes Getreide ist. 

Also Sauerteig!

In seinem Buch geht es auch um Roggensauerteig. Das ist deutsches Backen. Im Internet habe ich die Merkblätter von der Arbeitsgemeinschaft Getreideforschung in Detmold gefunden und habe mir daraus eine Formel für mich abgeleitet. Ab da war ich ziemlich tief drin.

Und wann taucht die Patisserie auf?

Meine Frau hat mich zu einem Kurs eines Patissiers mit Michelin-Stern geschickt. Wir haben nur vier Sachen gemacht, darunter eine Charlotte (Sahnetorte), aber das hat eigentlich gereicht. Das hat mir genug Ideen und Handwerk gegeben, um Patisserie zu machen.

Wie ging’s weiter?

Meine Frau hat mich zum Backen gebracht. Mein Sohn war in einer von Eltern gegründeten Schule mit vielen Künstlern als Eltern. Wir hatten die wundervollsten Schulfeste. Meine Frau war aktiv in der Planung, und dann hieß es immer: „Jürgen, mach was!“ Angefangen hat es mit Brot. Zum Schluss habe ich eine Lokomotive aus Lebkuchen gebacken, so an die 60 Zentimeter hoch. 

Wie bist du ins Fernsehen gekommen?

Ich habe mich 2013 oder 2014 zum ersten Mal angemeldet. Damals trug ich einen schrecklichen Bart; zum Glück gibt es davon keine Bilder. 2019 habe ich es wieder probiert. Der ganze Anmeldeprozess dauert ein Dreivierteljahr, mit  psychologischen Gutachten, technischen Fragen zum Backen, Charakterstudien,  Test auf Fernsehtauglichkeit … Ich glaube, dass in England das Backen fast weniger zählt als die Persönlichkeit. Zudem musste ich zwei Rezepte entwickeln. Ich zweifelte. Aber meine Familie sagte „du kannst das!“ 

Gab es Anfragen, eine Bäckerei aufzumachen? 

Viele Leute sagen, dass ich eine Bäckerei aufmachen soll. Ich wäre dann aber schnell in der Position, wo ich nicht mehr backen würde und ruckzuck das richtige Personal bräuchte. Ich wäre in der Verwaltung. Oh Mann, ich weiß nicht, ob ich das so will.

Was machst du stattdessen?

Ich gebe Kurse bei der Bäckerei um die Ecke, das mache ich wirklich gerne. Wir backen mit Sauerteig. Drei Klassen habe ich schon die Brezel beigebracht. Das macht riesig viel Spaß.

Warum hat deine Brezel so dicke Arme?

Die war eigentlich ein Fehler, mit der war ich nicht so zufrieden. Aber die Leute vom Verlag haben gesagt:  Das ist toll, weil es so aussieht, wie es die Leute daheim machen können.

Jürgen Krauss’ Backbuch

Jürgens German Baking  ist 2023 bei Kyle Book (28,90 Euro) erschienen und bringt ein Best of der badischen und alemannischen Backkunst, unter anderem Apfelküchle, Linzertorte, Schwarzwälder Kirschtorte und Gugelhupf. Eine deutsche Ausgabe ist im Gespräch. Wer ihn auf Insta folgen will, hier

#heimat Schwarzwald Ausgabe 46 (5/2024)

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