Hokkaido? Harakiri!

Als Suppe, auf Pfannkuchen, in der Panade oder auch zermatscht mit Schupfnudeln: Ständig bekommt unser Kolumnist Kürbis serviert, in allen möglichen Variationen – bis er mit drastischen Maßnahmen droht. Er fragt sich: Warum müssen wir Deutschen es beim Essen eigentlich immer auf die Spitze treiben?

Text: Stephan Fuhrer

Es gab mal eine Zeit, da war ein Kürbis noch ein unförmiger Rieseneumel, den man höchstens mal bei der steinalten Nachbarin vor dem Windfang zu sehen bekam. Das hat sich längst geändert. Kürbis gibt’s überall. Inzwischen muss ich sagen: leider.

Dabei fing doch alles so wunderbar an. Zunächst gab es den Hokkaido an deutschen Marktständen. Ihr wisst schon, die „Ich-nehme-immer-den-den-kann-man-mit-Schale-essen“- Variante. Ihm folgten Butternut, Bischofsmützen, Spaghetti-Kürbis und wie sie alle heißen. Aus einem Einbahnstraßengemüse wurde ein zigspurige kulinarische Autobahn. Für Genussmenschen eigentlich eine schöne Entwicklung. Nur: Man kann es auch übertreiben.

So ziemlich jeder Kantinenkoch, der etwas auf sich hielt, tüftelte plötzlich an den wildesten Rezeptideen. In meiner Speisestätte wurde ich an Herbsttagen von einem ansonsten bräsigen Vertreter seiner Zunft beinahe täglich mit verschiedensten Kreationen beglückt: als Sahnematsche im Dinkelpfannkuchen, zermatscht mit Schupfnudeln, als Matsch in Panade und in beständiger Regelmäßigkeit fein gematscht mit Ingwer im Suppenteller.

Es wurde absehbar. Der Bruch zwischen uns war unvermeidbar. „Wenn es diese Woche noch mal Hokkaido gibt, mache ich hier Harakiri!“, entfuhr es mir bei der Tellerübergabe. Der sonst übliche freundschaftliche Extra-Schöpfer wurde mir fortan verwehrt. Bitter!

Aber irgendwann muss auch mal Schluss sein! Müssen wir denn immer alles auf die Spitze treiben? Als Rauke mit einmal Rucola wurde, landete sie plötzlich auf jedem Salat. Und jener schmeckte mir übrigens auch schon, als er noch nicht überall mit dieser fiesen Balsamico-Creme à la Lafer verziert wurde. Ein Glück, dass die Brokkoli-Manie aus den Neunzigern inzwischen abgeflacht ist. An dem ach soooooo gesunden grünen Krauskopf kann ich mich inzwischen sogar wieder erfreuen.

Doch das Revival steht sicher schon vor der Tür. So wie bereits bei der Dosen-Ananas geschehen, die uns in den Fünfzigern mit fragwürdigen Hawaii-Kompositionen auf Toast, Pizza und Schnitzel beglückte. In urbanen Szene-Restaurants landen die Klassiker aus Wirtschaftswunderzeiten wieder auf dem Teller. Es wird wohl nicht mehr lange dauern, ehe auch Pastetchen und Käseigel ihr Comeback feiern werden.

Sollen sie doch, mir egal. Hauptsache, der Kürbis wandert zurück vor den Windfang. Seien wir doch mal ehrlich: Das Zeug schmeckt einfach nicht wirklich. Besagter Kantinenchef hat übrigens seine kreative Phase inzwischen überstanden und konzentriert sich wieder auf Klassiker: Currywurst, Schnitzel, Fleischküchle. Die gibt’s ja auch immer und überall. Und? Gehen sie uns auf den Geist? Nein! Warum? Sie schmecken einfach besser.

#heimat Ortenau Ausgabe 8 (3/2017)

Bierdurst? Wir suchen für Euch die allerbesten und erzählen von einem vergessenen Volk. Außerdem gibt's voll was auf die Nüsse.

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In der Zeitschrift #heimat geht es um Genuss in der Region, um (kulinarische) Traditionen und gute Adressen, um Manufakturen und Menschen. Idee und Konzept für #heimat stammen von Chefredakteur Ulf Tietge und seinem Team. Das Magazin wurde 2016 mit dem Ortenauer Marketingpreis ausgezeichnet und ist inzwischen bundesweit erhältlich.

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