Der Mann mit der Kohle

Es ist hart, gefährlich und dreckig – drei gute Gründe für uns, in den Südschwarzwald zu fahren und einem der letzten Köhler beim Arbeiten zuzuschauen

Fotos: Philipp Ditfurth

Das Navi hat sein letztes Signal vor fünf Minuten kurz hinter Wieden verloren. Jetzt holpert mein Auto einen Waldweg hoch, immer hübsch durch den tiefen Tann. Kein Wunder, dass der Ort hier Finstergrund heißt ! Bis in die 1970er-Jahre lebte hier noch ein Köhler, so heißt es. Dort, wo seine Hütte stand, ist noch eine halb kahle Stelle zu sehen. Knapp zehn Quadratmeter. Wird höchst kuschelig gewesen sein, so mit Kind und Kegel. „Nein, der Mann war alleine. Und etwas sonderlich“, lacht Lukas Sprich. Er ist ein Köhler der Neuzeit, einer, der damit nicht seine Weckle verdient, sondern mit viel persönlichem Einsatz dafür sorgt, dass das wohl älteste Handwerk des Schwarzwalds nicht ausstirbt. 

Damit ist unser Guide für heute auch ein Botschafter für unser aller Kulturerbe. „Ich bin der einzige Köhler im Landkreis Lörrach“, erzählt Lukas, der eigentlich Forstwirtschaftsmeister ist und einen Teil seines Urlaubs gerne fürs Köhlern hergibt. „Unter mir arbeiten fünf Azubis, aber aktuell drücken sie die Berufsschulbank und ich habe Urlaub genommen“, lacht er. Ein Opfer sei das nicht. „Es ist anstrengend, aber es macht auch viel Spaß. Ich finde es toll, wenn Leute vorbeikommen, um mehr über das Köhlern zu erfahren.“

Den meisten sei gar nicht bewusst, wie viel Arbeit dahintersteckt: „In diesem Meiler hier sind 25 Ster reines Buchenholz. Gut drei Wochen haben wir gebraucht, bis alles hier war. Zu sechst haben wir dann in 120 Stunden den Meiler errichtet“, erzählt er. 

25 Ster – das sind knapp 14 Tonnen. Respekt! Das Holz spendiert die Gemeinde nicht, er muss es kaufen. „Aber wir haben auch die Unterstützung durch das Biosphärengebiet Schwarzwald“, meint er. Der Verkauf der Holzkohle spült auch wieder etwas Geld in die Kasse. „Aus diesem Meiler dürften wird rund 3000 Kilogramm Holzkohle holen. Ist aber schon alles verkauft.“ Grillfreunde, Köche der gehobenen Gastronomie und Kunstschmiede reißen sich um die Wiedener Holzkohle. „Die Feingeistbrennerei Fies in Oberkirch bekommt auch einen Teil“, verrät Lukas: „Sie filtern und verfeinern damit einige ihrer Premiumbrände.“

Das schwarze Iglu: der Meiler

Der Meiler – gut drei Meter hoch, mit einem Grunddurchmesser von rund sechs Metern –sieht aus wie ein riesiges, schwarzes Iglu. „Diese dunkle Schicht ist die Lösche“, erklärt der Köhler. „Sie besteht aus Erde, Kohlenstückchen, Kompost und alter Lösche. Sie sorgt dafür, dass der Meiler dicht ist und die Verkohlung ungehindert abläuft.“ 

Prinzip und Aufbau eines Meilers sind einfach. Aber es gehört sehr viel Akkuratesse und Können dazu, um aus diesen Unmengen Holz perfekte Kohle zu machen. Im Zentrum steht der Quandel – ein Holzgerüst mit einem quadratischen Grundriss, nicht ganz so hoch wie der Meiler. Er fungiert als Kamin. Um ihn herum werden Scheite aufgerichtet. Der Abstand zwischen ihnen muss eng und etwa gleich groß sein, damit der Quandel gleichmäßig zieht. Sind alle Scheite an ihrem Platz, wird der Meiler mit Reisig verkleidet. Den Abschluss bildet die Lösche. Am Fuß des Meilers sind in regelmäßigen Abständen Zuglöcher gebohrt. Sie sorgen dafür, dass sich der Meiler mit Luft versorgen kann.  Drumherum, damit alles schön an seinem Platz bleibt, ist noch ein weiteres Holzgerüst mit einer Leiter aufgestellt. „Das stabilisiert das Ganze und dient auch der Sicherheit“, erklärt der Fachmann: „Wenn du da oben arbeitest, der Qualm treibt dir die Tränen in die Augen und es kommt etwas ins Rutschen, dann verhindert das Gestell, dass die Schichten komplett abgleiten.“ Auch er selbst hat schon mal einen etwas unsanften Abgang hingelegt, aber außer dem Köhler-Stolz war nichts verletzt …

Dass der Luki, wie ihn hier alle nennen, sich das Köhlern mit der Hilfe eines Freundes selbst beigebracht hat und seit 2015 erstklassige und obendrein nachhaltige Grillkohle herstellt, hat sich weit über die Grenzen der Belchengemeinde herumgesprochen. Schon bei Vorarbeiten schauen regelmäßig Leute vorbei, um ein Schwätzle zu halten oder Fotos zu machen. Wenn der Meiler dann entzündet wird, ist der Köhlerplatz gut gefüllt. Denn diesen großen Moment, der nur einmal im Jahr um Ostern stattfindet, wollen sich weder Einheimische noch Touristen entgehen lassen. Das Ganze ist natürlich auch äußerst Social-Media-tauglich: Der kleine Finstergrundbach gurgelt vor sich hin, die Sonne zaubert durch das Blätterdach ein fast magisches Licht, die Glut für den Quandel wartet neben dem Meiler auf ihren Einsatz und mittendrin richtige Kerle, die ordentlich was wegschaffen. Die Jungs um Lukas von der Wiedener Holzkohle haben einen kleinen Schwenkgrill aufgebaut – es gibt Nackensteaks und Würstle. Und gegen den Durst süßen wie sauren Sprudel oder auch ein Bier, im Bach auf perfekte Trinktemperatur gebracht. 

Wie die Gämsen

Lukas hat derweil mit seinem Cousin Elmar Position auf dem Meiler bezogen: „So, Männer – ’s geht los!“, gibt er Kommando. Die Jungs schippen die Glut in große Schütten und laufen mit der brandheißen Fracht flink und sicher wie die Gämsen ihre Leiter hoch. Nach und nach füllt sich der Quandel, Lukas und Elmar verdichten die Glut mit großen Stöcken. Die Kommandos werden hektischer: „Komm, komm – ich brauch’ noch!“ „Stopp jetzt, nix mehr!“ Und dann wabert – fast majestätisch – weißer Rauch aus dem Kamin. Habemus Holzkohle. „So weit ist es noch lang nicht“, grinst Lukas und lädt mich nach oben ein. Der Rauch beißt kein bisschen und fühlt sich samtig an.  Irgendwie scheint er zu pulsieren, als hätte der Meiler ein Herz. „Das ist erst mal Wasserdampf“, sagt Lukas. „Und die Impulse zeigen mir, dass der Meiler atmet.“ Zig Glutladungen später ist es so weit: Der Rauch verfärbt sich erst grau und dann bläulich. Das Zeichen, dass die Verkohlung einsetzt. Jetzt heißt es schnell sein und den Meiler verschließen.  Ansonsten würde er „fressen“, wie es in der Fachsprache heißt. „Wenn er unten extrem viel Luft ziehen würde und es gibt keine Luft nach oben, dann staut es sich. Die Temperaturen sind so hoch, dass der Meiler in sich nur noch heiße Gase produziert. Im schlimmsten Fall würde er explodieren.“  

Einmal gab es eine solche brenzlige Situation. „Bei einem Dreh haben meine Kumpels und ich den optimalen Moment zum Abdecken verpasst. Plötzlich machte es ‚Wumms‘ und der obere Kranz des Meilers hob sich ruckartig an. Aber er konnte gerettet werden.“

Schlafen – was ist das?

Auch sonst braucht der Meiler viel Hingabe und die volle Aufmerksamkeit: Durch die Sonne von oben und die Wärme von innen wird die Lösche porös“, erklärt der Autodidakt. „Auch der Wind aus dem Wald trocknet sie aus. Ich muss sie also immer schön feucht halten.“  

Sonst würde Luft eindringen, der Meiler ratzfatz abfackeln, aber nicht nur der: „Der Wald und unsere Hütte gleich mit.“ Das heißt für ihn und seine Mitstreiter: Den Meiler bewachen und immer wieder ausbessern. Für die 14 Tage, in denen der Meiler arbeitet, schläft Lukas in einem umgebauten Schäferwagen neben der Hütte. Um zehn Uhr abends legt er sich hin und muss sich dann im Zwei-Stunden-Takt aus dem Nest quälen, um Kontrollgänge zu machen.  Weg vom Meiler kann er nur, wenn ihn jemand aus dem Team vertritt. Er genießt die Zeit trotzdem: „Abends hat das was Meditatives. Und tagsüber ist hier immer Halligalli. Die Leute kommen vorbei, wir quatschen, essen und trinken – super!“ Nur der Schlaf-Wach-Rhythmus ist nach zwei Wochen etwas durcheinander. „Aber nach drei Tagen hat sich das normalisiert“, lacht er. „Und einmal pro Jahr geht das.“  

Schwarzes Gold

Profis schwören auf das traditionell hergestellte „schwarze Gold“! Das Buchenholz für die Wiedener Holzkohle stammt aus nachhaltiger Forstwirtschaft. Zudem bleiben bei der aufwendigen und hochwertigen Produktion wenig flüchtige Anteile (Sauerstoff, Stickstoff und Wasserstoff) übrig. Durch den hohen Gehalt an Kohlenstoff entwickelt sich am Grill weniger Rauch und die Brennzeiten sind länger. Je höher die Temperatur im Meiler ist und je länger die Verkohlung dauert, desto besser ist das Endprodukt. So produzierte Holzkohle lässt sich leicht entzünden und brennt ohne Flamme auf 450 bis 500 Grad weiter. 

#heimat Schwarzwald Ausgabe 33 (4/2022)

Wir feiern den #heimat-Sommer – und entdecken die Karibik vor unserer Haustür. Wo genau? Das müsst Ihr unbedingt in unserer neuen Ausgabe nachlesen! Dass wir noch mehr für die heißen Tage für Euch haben, keine Frage! Heiße Burger zum Beispiel aus Karlsruhe. Oder heiße Reifen bei unserem kleinen Enduro-Abenteuer. Und unsere Füße haben wir uns auch noch ganz heiß gelaufen, darauf ein kühles Bier aus Ottersweier – von Männern, die sich was brauen. Ihr seht schon: Mehr #heimat-Sommer geht kaum. Also lasst ihn uns genießen!

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