Ein Restaurant als Nomade

Das Konzept des Restaurants ist einfach: Zehn Gänge mit leckersten Gerichten werden alle paar Wochen an einem anderen Ort in der Stadt serviert

Freiburgs angesagtestes Restaurant ist eines ohne festes Dach über dem Kopf. Stattdessen gastiert das Trio Hawara mit den Küchenchefs Nicolai Heuer und Yannik Spielmann sowie Gastgeber Julian Dittmann seit Monaten an ganz unterschiedlichen Orten in der Stadt. Mal in einer alten Schreinerei mit ordentlich Patina, dann im Kuro Mori und seit Neuestem in einer feudalen Villa in der Wiehre, die gerade komplett umgebaut wird. Das bedeutet: Slalomlauf durch die Baustelle – oben angekommen aber ist das vergessen. Was für eine herrliche Altbauwohnung! Stuck, Parkett, endlos hohe Decken und über uns schweben blau gestrichene Kanthölzer, die an japanische Pavillons denken lassen. Unseren Abend mit dem Hawara-Kollektiv starten wir mit 6G+: getestet, geimpft, geduscht, gut gekleidet, ganz schön hungrig und sehr glücklich, dass wir einen Tisch ergattert haben. Das ist nämlich gar nicht so einfach. Wenn die Hawara (aus dem Österreichischen, dort steht das Wort für Freund oder Kumpel) ein neues Pop-up eröffnen, geben sie das via Instagram bekannt. Bis alle Termine ausgebucht sind, dauert es meist nur Stunden.

Der Grund dafür wird uns in zehn Gängen serviert. 110 Euro rufen die Hawaras dafür auf, und so viel sei vorweggenommen: Der Preis ist mehr als fair. Wir buchen die Weinbegleitung für 55 und die alkoholfreie für je 40 Euro dazu. Die Küche grüßt derweil mit einem Doppeldecker aus orange-braun leuchtenden Topinambur-Chips mit Möhren-Tatar, kultiviertem Sauerrahm und den letzten Kräutern der Saison. Wow! Superlecker! Was allein in diesem Happen an Witz, Kreativität und Arbeit steckt: stark!

Die nächsten Gänge nehmen uns mit auf eine kulinarische Entdeckungsreise, bei der wir uns (bis auf Gewürze und Zitrusfrüchte) nicht weiter als eine Stunde von Freiburg wegbewegen. Schinken vom Hofgut Silva in Oberkirch ist noch die Zutat mit der weitesten Anreise.

Und doch: So haben wir Gemüse von den Höfen rund um Freiburg noch nie gegessen. Erdig, kräftig, mit angenehmer Schärfe und feiner Süße. Schlonzig und mit schönem Crisp kommt die Rolaude vom Sellerie mit frittiertem Grünkohl und Pilz-Vinaigrette daher. Danach aalt sich gedämpfte Forelle mit knusprigen Speck-Stückchen in einer Zwiebel-Beurre-Blanc, ehe uns ein Egg Benedict mit sautiertem Spinat auf tollem Sauerteigbrot endgültig zum Schwärmen bringt.

Hmmhhhh! Wie gut! Und die Getränkebegleitung? Die Fahrer schlürfen Shots aus geröstetem Sellerie mit Apfel und Zitrone, eine an Campari erinnernde Orangen-Reduktion mit Salbei (großartig zur Lachsforelle) und einen Sauermilch-Drink mit Petersilien-Öl. Gewagt? Ja. Aber auch sehr gelungen. Nur bei der mit Heu, Stroh und Thymian aromatisierten sowie körperwarm servierten Rohmilch sind unsere Geschmacksnerven überfordert: „Too much!“

Zurück an die Teller. Wir machen uns über eine 24 Stunden in Salzlake verfeinerte Lachsforelle her, die in einem Paprika-Kimchi-Sud mit einem Segel aus Radicchio schwimmt. Sehr lecker! Die auf Salz gebackene Rote Bete mit frischem Meerrettich und einem unfassbar würzigen Sud im nächsten Gang aber ist noch einen Tick genialer. Wie kann man da so viel Geschmack reinzaubern? „Markknochen vom Limousin-Rind“, verrät uns Yannik Spielmann später. „Die hatten wir noch im Tiefkühler. Und wenn wir ein Tier verarbeiten, dann komplett!“

Yannik und sein Partner Nicolai (ausgebildet im Raben *, später im Drei-Sterne-Restaurant Frantzen am Herd, dann in Wien bei den Zwei-Sternern Konstantin Fillipou sowie Mraz & Sohn) aber gehen mit ihrer Philosophie noch einen Schritt weiter als nur Nose-to-Tail zu denken. Es gibt keine Schäumchen oder Tröpfchen, kein Chichi und keine rein optisch gedachten Gimmicks, dafür aber echte Umami-Bomben aus wenigen Zutaten mit je einem Hauptdarsteller wie Roter Bete, einem Hühnerei oder einer Karotte. Fleisch braucht es dabei oft nicht. „Salzwasserfisch auch nicht“, sagt Yannik. „Du weißt schon: der Transport …“

So lecker am Ende die Crêpes Suzette mit geröstetem Hafer-Eis als zweites Dessert daherkommt, ebenso das Rohmilch-Eis mit kandierter Birne und davor die beiden Enten-Gänge – unser Highlight des Abends ist die Karotte. Die kommt auf einem Kürbis-Mus mit XO-Öl und gepufftem Weizen daher und ist erst im Ofen bei scharfer Hitze gebraten, wanderte dann in den Dörr-Ofen, vergnügte sich für ein paar Stunden mit Aromaten im Vakuum und wurde sanft regeneriert. Das Ergebnis ist eine Karotte mit enorm intensivem Aroma, einem so noch nie erlebten Biss und dem Wunsch, wenigstens diesen Teller auszuschlecken …

Hawara

Spitzenküche ohne festen Ort

Secret Location

79106 Freiburg im Breisgau

Geöffnet: nach zugeteiltem Termin

www.hawara-restaurant.de

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