Ich bin dann mal weg: Fernwandern entlang der Alb

Von der Mündung bis zur Quelle wandern klingt charmant. Unser Autor erlebt im Südschwarzwald eine Tour voller Highlights

Text: Pascal Cames Fotos: Daniel Schoenen

Woran erkennst du einen Wanderer? Na, an den Klamotten! Wanderstiefel. Funktionswäsche,  Wanderstöcke. Dazu Rucksack. Manchmal werden Wanderer schon an der Gesichtsfarbe erkannt. Oder am verschwitzten Hemd, um mal nicht vom Geruch zu reden. Ich weiß, dass sich außer mir noch vier weitere Albsteigwanderer im Schwarzwaldhaus in Bernau einquartiert haben. Wahrscheinlich schnabulieren sie jetzt ein feines Forellenfilet oder frische Pfifferlinge mit Spätzle zu einem Glas Gutedel. Mit denen würde ich gerne über den Albsteig sprechen. Wo war’s am schönsten? Leider erkenne ich die Wanderer nicht. Niemand sitzt in schweren Wanderstiefeln zu Tisch. Keiner schlurft mit Adiletten auf die Terrasse. Müde Gesichter? Nein, alle frisch, wie aus dem Ei gepellt. Die gesuchten Wanderer sind mit Gepäcktransport auf dem Albsteig unterwegs, was die fürs Restaurant stilechte Kleidung erklärt. Der Wellnessbereich des Schwarzwald-
hauses erklärt auch so einiges. Da wird man wieder fit! 

Wandern mit Koffer

Mit Gepäcktransport wandern immer mehr Leute, verrät mir die junge Wirtin Lisa Goos. Mehr als die Hälfte der Gäste sind Wanderer, weiß sie. Der relativ neue Fernwanderweg von der Mündung bis zur Quelle der südlichen Alb ist geradezu ideal für Einsteiger, da er mit
83 Kilometern und 2700 Höhenmetern vergleichsweise überschaubar ist und in drei Etappen sportlich und in fünf Etappen gemütlich zu machen ist. Und auch mit weniger als 100 Kilometern kommt man in den Flow des Wanderns. 

Drei von fünf Etappen habe ich mir für einen Test ausgewählt. Was taugt der Steig? Schaffe ich Weg und Hitze? In Görwihl im Hotzenwald beginnt meine Langtour durch den unbekannten Teil des Schwarzwalds. Meine Begleitung sagt es schon richtig: „Hinterm Feldberg hört für viele Deutschland auf.“ Für Ortsfremde beginnt hier eine Art Niemandsland mit viel Wald. Görwihl (der Name klingt schon schweizerisch) träumt auf einem Südhang vom seligen Dorfleben. Normalerweise würde ich jetzt die Alpen sehen, aber Eiger, Mönch und Jungfrau bleiben im Dunst verborgen. Im Wald ist es dann ganz anders: Klare Luft, kühle Temperaturen, aber laut. Der Höllbachwasserfall stürzt krachend den Fels runter. Statt aber dem Höllbach bzw. der Alb abwärtszufolgen, wandere ich gegen die Fließrichtung, so wie es für den Albsteig empfohlen wird. Das schont die Knie.

Von der Hölle zum Teufel

Meine Etappe verspricht knapp 15 Kilometer abwechslungsreiches Wandervergnügen. Was nicht im Kleingedruckten steht, sind die vielen Auf und Abs. So geht es also nicht einfach nur moderat den Berg hinauf und der Quelle entgegen, sondern mal so mal so, wie Mutter Natur die Landschaft modelliert hat. Bald wechsle ich die Flussseite, erlebe Mischwald und moosige Steinfelder, bald einen Flecken, der kommen musste, denn wo ein Höllbach fließt, ist der Teufel nicht weit. Die Teufelsküche ist wie für Schamanen gemacht. Ein großer Stein markiert die magische Stelle, wo sogar die Bäume höher wachsen als drumherum. Die Sonne brennt, als müsste der Platz für den Teufel vorgewärmt werden. Meine Begleitung und ich rasten und hören dabei Geräusche, die an einen Meteoriteneinschlag denken lassen. Es sind ein paar junge Leute, die in die Gumpen der Alb springen, die unten vorbeifließt. Die Teufelsküche ist ein guter Platz zum Vespern. Natürlich geht es jetzt wieder steil bergauf, aber bald wieder bergab und dann auch mal  über eine Straße und einfach immer weiter dem Zeichen hinterher, das einen Berg (den Feldberg) zeigt, mit seiner geschwungenen Linie auf den Fluss hinweist, das Ganze vervollständigt mit einem  Herz. Diese Wanderung muss man einfach lieben. Eine fürs Herz! Oder auch: Jetzt kriegt die Pumpe was zu schaffen. 

 

 

Ab durch die Mitte 

Der Pfad geht stramm am Hügel entlang; mein Sinn für Geografie sagt mir, dass unser Fluss im Tal fließen muss. Da von links aber Kräuter, Hecken und Sträucher in den Weg wachsen und Äste hineinragen, habe ich alle Hände voll zu tun um durchzukommen. Normalerweise schauen die Gemeinde-
arbeiter der sieben Gemeinden, durch die der Albsteig geht, dass die Wege und Pfade nicht verbuschen. Weil es aber diesen Sommer so viel geregnet hat, wächst der Wald wie verrückt und die Arbeiter kommen mit dem Grünschnitt kaum hinterher. Wir gehen einfach ab durch die Mitte. Und siehe da! Der Wald hört auf, die Sonne scheint über dem Bilderbuch des Hotzenwalds und dem Dorf Niedermühle, wo uns ein paar Ziegen meckernd begrüßen. Über eine steinerne Brücke queren wir die rötlich schimmernde Alb. Jetzt sind wir stehend k.o. Da kommt der Kühlschrank mit Kaltgetränken genau richtig. Apfelschorle! Wie zur Belohnung wird’s jetzt schön eben. Der Weg verläuft schattig neben der Alb. Es ist kühl – und wir  sind schon wieder durstig. Immerhin gibt es in Albtal-Immeneich einen öffentlichen Wasserhahn. Die ganz aus Holz gebaute Kapelle verdient das Prädikat Schmuckstück. So etwas ist rar!  

Nach diesem Schmankerl heißt es Zähne zusammenbeißen und immer den Berg hoch. An einer Weide verlassen wir den Wald. Vor uns ein paar Galloway-Rinder mit ihren großen Hörnern. In Wolpadingen grinst uns ein älterer Herr schlitzohrig an. Ob uns warm geworden ist, will er wissen. Was sollen wir sagen? Dann gibt’s ein dickes Kompliment: „Ehbe kann jeder!“ Stimmt, auf der flachen Ebene kann jeder wandern. Aber das war’s natürlich noch nicht ganz. Der Buckel, der jetzt noch ansteht, der Einfachheit halber Berg genannt, muss auch noch gestemmt werden. Eine kleine Belohnung ist die Panoramatafel am Waldrand mit allen alpinen Gipfeln, die wieder nicht zu sehen sind. Zum Auslaufen gibt noch ein paar Kilometer über den Dachsberg (974 m) bis Wittenschwand, wo uns im Dachsberger Hof Cordon bleu und Forelle Müllerin Art mit Unmengen Bier und Apfelsaftschorle wieder einigermaßen herstellen.

Durst, Krämpfe, Schlaflosigkeit

In der Pension Haus am Kreuzbühl sind wir goldrichtig. Cornelia und Rudolf Kunzelmann sind herzige Leute, die uns noch ein Bier spendieren. Rudolf hat schon viele Leute gesehen, die hier „fix und fertig“ angekommen sind. Denn
20 Kilometer auf dem flachen Land sind halt doch was anderes als die 15 Kilometer von Görwihl. Die Nacht bringt Durst, Krämpfe, Schlaflosigkeit. Der Durst kommt vom Wandern, die Schlaflosigkeit vom Vollmond, die Krämpfe vom Magnesiummangel. Warum habe ich das nicht dabei? Es kommt auf die Liste für die nächste längere Wanderung. 

Der Tag verspricht weniger hitzig zu werden und wir gehen von unserer Herberge bergab, wechseln mal wieder die Flussseite und bestaunen dabei den verwilderten Hotzenwald mit Pferden auf der Waldwiese. Auf dem Schmugglerpfad stolpern wir über Stock, Stein und Wurzeln. Was schmuggelten die österreichischen Hotzenwälder nach St. Blasien? Dass wir mit Stöcken wandern, ist eine gute Sache. Mit vier Berührungspunkten wuppen wir jede Unebenheit.