Ein perfekter Angelmorgen: Der Fischer von Rheinhausen

In Rheinhausen gibt es noch Männer, die morgens zum Angeln rausfahren. Ohne ihre Frauen wäre das aber nicht möglich …

Text: Ulf Tietge · Fotos: Michael Bode

Theo Maurer ist ein glücklicher Mann. Erst recht an diesem herrlichen Herbstmorgen, an dem wir mit ihm, einem der letzten echten Fischer Badens, verabredet sind. Wir stehen vor dem Drübord am Wasser und sehen, wie der letzte Nebel langsam verschwindet. Das Laub leuchtet bunt, die Luft riecht würzig nach Wald und eine Gruppe Silberreiher zieht elegant über uns hinweg. Die Sonne hat ein wolkenbetupftes Morgenrot ans Firmament gemalt und für einen Moment ist es egal,  dass es für November viel zu warm ist. Denn Morgenrot gibt Fischern Brot. Also raus aufs Wasser! Die Reuse will kontrolliert werden, das Netz ist gespannt und in der Fischerstube brauchen die Frauen frischen Fisch. 

Eine echte Fischerfamilie

Theo Maurer ist wie sein Bruder Reinhard von Geburt an Mitglied der Fischerzunft Rheinhausen. Gut 100 Männer zählt die Zunft noch, mehr als sonst irgendwo in Baden, aber die meisten nehmen nur noch die Angel, um mal einen Hecht zu fangen, einen Wels oder einen schönen Karpfen. Theo und Reinhard dagegen fischen noch wie früher. Richtig mit Netzen und Reusen, wie ihre Väter und Vorväter. „Die Familiengeschichte ist bis zurück ins Jahr 1601 belegt“, sagt Theo und schlüpft in seine Fischerschürze. „Wir sind eine echte Fischerfamilie und das seit mehr als 400 Jahren.“

Theos Vater, der Dirli-Hans, ist im vergangenen Jahr gestorben. Mit 90 Jahren und nur ein paar Tage, nachdem ihn sein Sohn noch einmal mit zum Fischen aufs Wasser genommen hatte. „Das war sein Leben“, sagt Theo. „Aber er war auch der Erste, der nicht mehr hauptberuflich vom Fischfang leben konnte und sich einen normalen Beruf suchen musste.“ Theo hat es dann genau so gemacht. Er war Kämmerer in der Gemeinde, hat im Ehrenamt über 28 Jahre die Kasse des Landesfischereiverbands geführt – und ist jede Woche zum Fischen rausgefahren. 

Die Netze werden am Vorabend gestellt. So spät wie möglich übrigens. „Am nächsten Morgen sind wir früh raus. Im Sommer um halb fünf“, erzählt Theo und stakst mit seinem Kahn in Richtung der ersten Reuse. „Das Netz einholen, die Fische versorgen, das Boot wieder sauber machen, kurz duschen und dann zur Arbeit.“ Mindestens einmal in der Woche, lieber aber zweimal. „Ich fühle mich nicht wohl, wenn ich nicht aufs Wasser kann. Vielleicht sind wir wirklich dafür geboren.“  

Inzwischen ist Theo 64. Eigentlich im Ruhestand, tatsächlich aber endlich mit der Zeit gesegnet, auch dreimal in der Woche fischen zu gehen. Ganz gemütlich um 7:30 Uhr und mit genug Muße, um zwischendurch die Nutrias zu beobachten, den Eisvögeln zuzuschauen und ein paar Kormorane zu verscheuchen. Die schwarzen Biester kann nämlich kein Fischer leiden. „Es gibt mehr als 100 Nester hier und ich muss die zählen“, sagt Theo. „Fürs Ministerium. Einmal im Jahr und immer gemeinsam mit einem Ornithologen. Sonst glaubt man uns in Stuttgart nicht.“   

Die verfluchten 70er-Jahre

Wenn Theo zurückblickt, erzählt er Geschichten voll Wehmut und Stolz. Wie die Fischerzunft Rheinhausen nach dem Krieg mit etlichen Zentnern Fisch den Menschen zwischen Offenburg und Freiburg beim Überleben geholfen hat. Was es für eine Schande war, als die Fische in den 1970er-Jahren so voller Schwermetall und Öl waren, dass man sie nicht mehr genießen konnte. Blinde Tiere, Geschwüre auf der Haut, Flechten. Sandoz und so. Bah! Eine furchtbare Zeit. 

Oder wie er mit seinem Vater und den Freunden aus der Fischerzunft in den 1990er-Jahren zum letzten Mal mit einem Schleppnetz unterwegs war – angesichts der immer weiter verlandenden Wasserläufe heute fast unvorstellbar. „Mich ärgert das“, sagt Theo. „Man lässt die Wasserläufe verlanden und baut gleichzeitig immer größere Dämme. Mit wirklich ökologischem Hochwasserschutz hat das nichts zu tun.“ Und dass man jüngst bei einer Infoveranstaltung für die Bürger auch noch behauptete, man könne Bäume so trainieren, dass sie über Wochen mannshoch im Wasser stehen könnten … Aber gut: „Woher sollen es die jungen Ingenieure wissen?“, fragt Theo. „Die können ausrechnen, wie viel Wasser der Polder fasst. Aber sie waren noch nie hier.“  

Inzwischen sind wir an einem kleinen Stecken angelangt, der unnatürlich senkrecht im  Wasser steht. Daran ist die Reuse festgemacht. Vielleicht ist doch noch ein Aal zu holen? „Es gab fast keine in diesem Herbst“, sagt Theo. „Zu wenig Wasser. Die Fische können sich so nicht auf ihren Weg in die Sargassosee machen.“ Auch heute: kein Glück. Stattdessen hocken vier kleine Kamberkrebse in der Reuse. Die sind auch lecker, aber aus Nordamerika eingeschleppt. Europas Flusskrebsen haben sie fast überall den Garaus gemacht, und wir finden: Das ist ein guter Grund, sie nachher in einen Topf zu werfen!

Große Maschen, große Fische

Mit dem Netz ist Theo heute auch erfolgreich – und das trotz der sehr großen Maschenweite von 80 Millimetern. Dicke Brassen sind drin, einige sehr schöne Döbel, aber kein Hecht. „Für mich sind das alles Edelfische“, sagt Theo. „Eine wild gefangene Brasse ist mir lieber als ein Fisch aus der Zucht. Schade, dass wir Deutschen mit Gräten so ein Problem haben, da könnten wir von den Russen viel lernen.“ 

Nach einer Stunde liegen locker 30 Kilogramm und damit genug für die Fischerstube im Boot. „Die großen Maschen reichen“, sagt Theo. „Wir würden mit engmaschigeren Netzen natürlich mehr fangen. Viele leckere Barsche zum Beispiel. Aber das wäre nicht nachhaltig und wir wollen unsere Lebensgrundlage nicht gefährden.“ Wenn es auf Wels geht, nehmen die Maurers noch weitere Maschen. 120 Millimeter. Damit hat Theo neulich einen Brocken mit 48 Kilogramm auf die Schuppen gelegt. „Die Welse werden immer größer“, sagt er. „Die Angler ziehen regelmäßig Fische mit über einem Meter an Land.“

Nach einer knappen Stunde sind alle Fische versorgt, das Netz liegt im Korb und das Boot mit seinem merkwürdigen Heck ist wieder sauber.  Die außergewöhnliche Form von Theos in Rastatt gebautem Dreibord (Drübord auf badisch, Trebor, sagen die Elsässer) ist indes keine Absicht. „Karambolage“, sagt er. „Ich habe es abschneiden müssen, damit es wieder dicht ist und schwimmt.“ Außerdem wird es immer schwieriger, Bootsbauer für die traditionellen Kähne der Rheinfischer zu finden.

Jetzt aber auf zur Fischerstube! Theo macht sich daran, die Fische zu schuppen, zu filetieren und die Filets feinsäuberlich alle fünf Millimeter einzuschneiden. So läuft später der Bierteig perfekt in die Spalten und die Gräten der Brasse verlieren ihren Schrecken. Die Döbelfilets schneidet Theo zu feinen Streifen, auch eine gute Art, um das leckere Fleisch der grätenreichen Fische zu genießen. Alternativ: braten und sauer einlegen. Wie Brathering. Nur besser! Uns läuft schon das Wasser im Mund zusammen.

Wie gut, dass jetzt die Frauen übernehmen. Theos Frau Priska hilft ihrer Schwägerin Claudia heute in der Küche, nachher wird sie sich um den Service in der Fischerstube kümmern. Dank der Wirtschaft – und dank der Kochkunst ihrer Frauen – müssen die Maurers ihren Rohfisch nämlich nicht verkaufen, sondern können ihn gleich veredeln. Und das ist im Grunde das Geheimnis, warum Theo und Reinhard ihre mehr als 400 Jahre währende Familientradition fortführen können … 

Die Fischerstube in Rheinhausen ist abends ab 17 Uhr geöffnet, allerdings nur donnerstags, freitags und samstags. Verarbeitet und serviert wird der Fang des Tages: Rheinhecht, Barsch, Zander und Weißfisch aus dem Althrein. Dazu stehen immer mal wieder Felchen auf der Speisekarte, die von befreundeten Fischern am Bodensee gefangen werden. Wer partout keinen Fisch mag: Es gibt auch Salat (immer), eine Kürbissuppe (derzeit) oder ein Schnitzel.  

Claudias Rieslingsauce

Bei den Maurers gibt es entweder scharfe Knoblauchsoße zu Frittiertem oder eine wunderbare Rieslingsauce zu gedünstetem Fisch. Dafür eine Schalotte und 30 g Lauch ganz fein schneiden, andünsten und dann mit 200 ml Riesling ablöschen. 200 ml Gemüsebrühe dazu und um ein Drittel einkochen lassen. Mit dem Pürierstab durchschlagen, mit 2 EL Stärke (Mondamin) binden und gut auskochen lassen. Zuletzt mit einem guten Schuss Rahm verfeinern – Claudia nimmt dafür etwa 200 ml.

#heimat Schwarzwald Ausgabe 13 (4/2018)

Wir stellen die Bollenfrage, ergötzen uns an geschmückten Kühen und holen die Netze ein. Außerdem blicken wir mal tief in den Schwarzwälder Nachthimmel.

#heimat, der Genussbotschafter für den Schwarzwald 

In der Zeitschrift #heimat geht es um Genuss in der Region, um (kulinarische) Traditionen und gute Adressen, um Manufakturen und Menschen. Idee und Konzept für #heimat stammen von Chefredakteur Ulf Tietge und seinem Team. Das Magazin wurde 2016 mit dem Ortenauer Marketingpreis ausgezeichnet und ist inzwischen bundesweit erhältlich.

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