Das Gruselhotel im Schwarzwald

Einst eine noble Adresse für Politiker, Könige und Schauspieler, ist das Hotel Waldlust heute vor allem für eines bekannt: Spuk- und Horrorgeschichten

Text: Vanessa Küderle · Fotos: Jigal Fichtner

Die ersten Schritte in die Lobby hinein fühlen sich wie ein Zeitsprung an. Schwarz-Weiß-Fotografien an den Wänden zeigen die Blütezeit des ehemaligen Grandhotels Waldlust. Angestellte im Frack servieren Gästen im großen Saal das Menü. Auf einem anderen Bild fällt eine fröhliche Frau in stolzer Haltung auf, die vor einem makellos aussehenden Hotel mit anderen Leuten posiert. Sie schaut als einzige in die Kamera. Am Ende unseres Besuchs werden wir nicht nur den Namen der Frau kennen, sondern auch die wohl berühmteste Waldlust-Legende. Doch dazu später mehr. Wir holen erst mal Luft und sehen uns vorsichtig um. Man ist ja nicht alle Tage in einem verlassenen Haus, in dem es spukt …

Mit Bibbern voran

Wir sind in Freudenstadt im Hotel Waldlust, einem verlassenen Ort, der sich mittlerweile auch weit über den Stadtrand hinaus einen äußerst mysteriösen Ruf erworben hat. Hier soll es nämlich nicht mit rechten Dingen zugehen, wie man hört. Hausgeister soll es hier geben. Der ein oder andere Gast und Bedienstete soll auf geheimnisvolle Weise ums Leben gekommen sein. Im berüchtigten Aufzug im Flur etwa, der uns gleich ins Auge fällt. Das wirkt schon mal mächtig gruselig. Und dann hören wir auch noch Schritte näherkommen … Doch diese gehören zu unserer Erleichterung keiner übernatürlichen Kreatur, sondern Siegfried Schmidt. Er ist im Vorstand des Vereins für Kulturdenkmale Freudenstadt, Mitglied der Denkmalfreunde Waldlust und heute unser Guide. Und er fängt auch gleich schon an zu erzählen. Die Lobby knüpft an den Gesellschaftssaal an, wo mehrere runde Holztische, weiße Flügel und gemusterte Sessel stehen. Dort habe man öfters abends nicht nur Gesprächen, sondern auch sanften Klaviermelodien gelauscht oder Getränke von der Bar im Nebenraum  genossen. Und schon stehen wir zusammen auch noch mal vor dem Foto mit der posierenden Dame. Emilie „Adi“ Luz war ihr Name.

Tote Seelen und Geisterhände

Emilie war Mitglied der Gründerfamilie und nicht nur Hotelführerin, sondern auch die gute Seele des Hotels – sanft, aber professionell. 1949 starb sie einen heftig diskutierten Tod: Laut Sterberegister verstarb sie in einem Krankenhaus. Manch einer geht dagegen von Zimmer 428 im vierten Stockwerk aus. Vor 15 Jahren berichten die Angestellten plötzlich von einem Wiedersehen der anderen Art: Eine weiß gekleidete Gestalt soll durch die Flure gehuscht sein. Sie habe der Adi wohl mächtig ähnlich gesehen. So wurde die Hotelkönigin schließlich zum sagenumwobenen Hausgeist.

Dieses vierte Stockwerk ist Ausgangspunkt vieler Waldlust- Mysterien. Und manche Geschichten können sich selbst Wissenschaftler aus Freiburg – Psychologen, die vor Ort schon Untersuchungen gemacht haben – nicht erklären: Lange vor dem Ruin besuchte etwa ein Paar das Hotel, ohne vom Spuk zu wissen. Eines Abends ging die Frau in die Badewanne. Als sie von hinten angefasst wurde, dachte sie zunächst, dass es ihr Mann gewesen sei. Doch der war gar nicht im Badezimmer, wie sie schnell feststellen musste. Am nächsten Tag war das Paar auch schon wieder auf dem Weg nach Hause – viel früher als geplant. Und dann wäre da ja auch noch dieser Fahrstuhl. Laut Angestellten ist er mehrmals hoch und runtergefahren – ganz ohne Fahrgast und Ziel. Angeblich soll auch mal jemand den Aufzugschacht runtergeschubst worden sein. Von Menschen- oder Geisterhand – das ist immer noch eine der vielen Fragen rund um dieses Gruselhotel.

Ein Haus mit Geschichte

Dabei war hier eigentlich mal alles ganz normal. Das ehemalige Grandhotel Waldlust beherbergte von 1903 an als luxuriöse Absteige bereits Könige, Kaiser, Politiker und Industrielle aus der ganzen Welt. Auch Schauspieler, die innerhalb ihres Europaurlaubs den Schwarzwald bestaunen wollten, zog es hierher. Zu den berühmtesten Gästen zählen unter anderem die Stummfilmstars Douglas Fairbanks und Mary Pickford. Im Zweiten Weltkrieg nutzte die Wehrmacht das Gebäude als Stützpunkt, bevor es zu einem Lazarett für Soldaten umfunktioniert wurde. 1948 kam es zurück in den Besitz der Erben der Hotelier-Familie Luz und wurde wieder in Betrieb genommen. Im Jahr 2005 ging das Haus schließlich pleite. Es wurde von heute auf morgen einfach dichtgemacht.

Um das geschichtsträchtige Haus vor Vandalismus zu schützen, kümmert sich seither der Verein für Kulturdenkmale um das Gebäude. Im vergangenen Jahr gründete sich für die Hotelarbeit dann der Vereinsteil Denkmalfreunde Waldlust. Denn dank der Spukgeschichten tummeln sich hier mittlerweile wieder immer mehr Besucher. Auch solche, die man hier früher nicht kannte: Ghostbuster zum Beispiel. Die Denkmalfreunde halten durch Führungen, Fototouren, Events und  Übernachtungen das Hotel finanziell und mit handwerklichem Einsatz am Leben. Zu tun gibt es genug. „Das Forschungsprojekt Waldlust ist endlos“, sagt Siegfried Schmidt. Sein nächstes Projekt: Das mysteriöse, unbeleuchtete Kellergewölbe genauer erkunden. Denn was sich da noch alles außerhalb der bekannten Bereiche befindet, wissen bisher weder Gäste noch Guides. Sicher ist aber in jedem Fall: Das Hotel ist immer für eine Überraschung gut.

Das Waldlust als Filmkulisse

Kein Wunder, dass längst auch Filmregisseure den geheimnisvollen Ort für sich entdeckt haben. Das Waldlust diente bereits einigen Thrillern und Horrorfilmen als Kulisse. Für „Béla Kiss – Prologue“ etwa, in dem ein toter Serienmörder seine Opfer durchs Hotel jagt. Dabei würden auch schon die eigenen Geschichten genügend Stoff für einen gruseligen Leinwandstreifen hergeben. Etwa auch die eines Herrn, der sich der „Bischoff“ nannte, und einer Frau im weißen Gewand auf einem Gemälde. Das Bild wurde schließlich als Portrait der Geisterdame „Adi“ gewertet. Der „Bischoff“ gilt als ihr Komplize. Er soll wie sie, je nach Ereignis, den Gesichtsausdruck geändert haben. Deshalb wussten die Angestellten seinerzeit auch, dass man die beiden besser nicht schief anguckt, weil ansonsten ein wütender Blick aus den gemalten Augen zurückkommen könnte …

Wir gehen mit Siegfried Schmidt weiter durch Flure, Säle und Zimmer. Hier und da machen uns in die Wand eingearbeitete Figuren glauben, dass die guten alten Zeiten hier doch noch nicht vorbei sind. Auf den weiteren Etagen sieht das dann schon wieder anders aus: Die erste beherbergt größtenteils Zimmer mit kahlen, graubeigen Wänden. In den oberen Stockwerken steht in manchen Räumen auch noch das ein oder andere Bett aus den 1960er- Jahren. Tapeten mit alten Mustern schmücken das Innere. Manche Badezimmer sind noch intakt, die meisten aber nicht. Auf der dritten Etage liegt die alte Hoteltechnik: Telefone stehen dicht an dicht auf einem Tisch, alte Röhrenfernseher stapeln sich wie Legosteine an der Wand.

Zimmer 428

Und dann stehen wir schließlich vor dem mysteriösen Zimmer 428, in dem Hotelchefin Adi angeblich gewaltvoll ums Leben gekommen sein soll. Von wem, weshalb – man weiß es nicht. Auch dass es eigentlich bewiesen ist, dass es sich dabei nur um einen Mythos handelt, kann uns den kurzen Schauer über den Rücken nicht ersparen. Die Anspannung steigt. Die Tür knarzt etwas, als wir sie vorsichtig  öffnen. Wir wagen einen Blick hinein – doch der erste Eindruck ist vergleichsweise unspektakulär. Kein Geist, der hastig aus dem Zimmer huscht, um uns zu entkommen. Keine drohenden Stimmen aus dem Off. In der Mitte des Raums steht ein oranges Bett mit Baldachin. Mehr nicht. Ansonsten ist es hier vor allem eines: ziemlich staubig. Auch Tapeten gibt es keine mehr. Im Eck hinter der Tür fällt uns dann aber noch ein gut versteckter und zugenagelter Wandschrank ins Auge. Was Adi darin einst wohl versteckt hatte? „Der ist nur vernagelt, damit die Tür nicht ständig auffällt“, erzählt uns Siegfried Schmidt. Das klingt logisch, und doch geht unsere Fantasie weiter mit uns durch. Und wahrscheinlich ist es genau das, was die Besucher dieses Gruselhotels so fesselt. Alles könnte so oder so gewesen sein – oder eben doch nicht. Wir gehen dann mal wieder raus an die frische Schwarzwaldluft. Am Waldrand huscht ein Reh vorbei. Oder war es vielleicht doch was ganz anderes?

Zwischen Realität und Wahnsinn

Gerhard Mayer ist Psychologe und im weitesten Sinne so eine Art Geisterjäger mit wissenschaftlichem Fundament. In seinem Institut wurden auch die Phänomene im Waldlust unter die Lupe genommen

Herr Mayer, mal unter uns gefragt: Gibt es wirklich Geister und Gespenster?
Ich denke nicht, dass man das wissenschaftlich beweisen oder widerlegen kann. Das mainstream-wissenschaftliche Verständnis geht eher davon aus, dass keine existieren und dass man Phänomene, die auftreten, auf andere Art und Weise erklären kann. Es gibt allerdings auch Möglichkeiten, das aus der Sicht der Parapsychologie anzuschauen, ohne Geister in Betracht zu ziehen.

Das heißt konkret?
An unserem Institut haben wir Erfahrungen mit Phänomenen, die auch experimentell nachgewiesen sind. Allerdings sind sie nicht mit Modellen erklärbar, die allgemein vom wissenschaftlichen Mainstream anerkannt sind.

Woher kommt denn überhaupt unsere Faszination am Paranormalen?
Für viele Menschen ist eine Welt, die nicht so eindimensional ist, einfach interessanter als eine, wo alles prinzipiell erklärt werden kann. Für  manche ist auch die Vorstellung wichtig, dass man nicht für alles, was einem passiert, verantwortlich ist. Dass alles bloß  Zufall wäre, kann auch eine belastende Vorstellung sein.

Glauben Sie denn selbst daran?
Ich bin da offen. Ich lese viel und höre Berichte. Ich kenne Fälle, da fällt es mir schwer, alles psychodynamisch zu deuten. Bei den meisten Geistergeschichten bin ich der Ansicht, dass sie sich konventionell erklären lassen. Was ich allerdings nicht glaube: dass alles nur Wahrnehmungstäuschungen sind. Das wäre eine verkürzte Sicht der Dinge.

Sie arbeiten im Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg. Was machen Sie da?
Ich bin von der Ausbildung her Psychologe der Kulturwissenschaften und beschäftige mich zum Beispiel mit Fragen, wie in Medien über Paranormales berichtet wird. Ich habe auch schon untersucht, wie Jugendliche okkulte Inhalte in Filmen wahrnehmen, oder Feldstudien gemacht, zu Menschen, die hier im deutschsprachigen Raum schamanisch oder magisch okkult  praktizieren. Dabei geht es auch um biografische Hintergründe.  Was bringt die Menschen dazu, solche Dinge zu tun?

Sind Sie also kein Ghostbuster?
Nein, aber auch damit habe ich mich beschäftigt. Der Film ist tatsächlich eine Inspiration für Laien, die dann mit Messgeräten losziehen, um Geister „einzufangen“. Das funktioniert natürlich nicht, aber unsere Motivation ist im Prinzip ganz ähnlich: Wir wollen Nachweise für das Paranormale finden – allerdings auf wissenschaftlicher Basis.

2005 haben Sie auch das Hotel Waldlust unter die Lupe genommen. Wie wurden Sie darauf aufmerksam?
Da hat uns damals ein Mitarbeiter, der mit Veranstaltungen das Hotel am Leben erhielt, angesprochen. Aber es war für uns schwer zu durchschauen, ob das nur Marketing oder echtes Interesse ist. Deswegen sind wir vorsichtig und stufenweise vorgegangen.

Wie denn genau?
Wir sind mit zwei Fragestellungen dorthin gefahren. Die erste deckt sich in gewisser Weise mit dem der Geisterjäger: Könnte es sein, dass hier tatsächlich paranormale Phänomene auftreten? Aber der zweite Hauptaspekt war eben ein anderer: Was passiert da soziologisch und psychologisch bei den Menschen vor Ort? Wie kann es passieren, dass so ein Hotel zum Mythos wird und andere nicht?

Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?
Beim zweiten Aspekt waren wir ganz erfolgreich. Für den Ruf spielt in jedem Fall die glanz- und wechselvolle Geschichte des Hauses eine Rolle. Um aber mal ein Beispiel zu nennen: Als wir die Leute interviewt haben, hieß es: Im Keller sollen Menschen in den 1920ern lebendig eingemauert worden sein. Wir waren dort und stellten fest, dass diese Mauer erst sehr viel später, wohl in den 1970ern gebaut worden ist. Man sieht daran, wie so ein Element zu allerlei Fantasien lockt.

Gibt es bei uns eigentlich noch vergleichbare Orte?
Sicherlich, aber in dem Ausmaß sind mir keine bekannt. Spuken tut’s natürlich an manchen Stellen, aber da muss man dann regional nachgucken. In alten Sagen oder Büchern etwa.

Parapsychologie

Parapsychologen beschäftigen sich seit dem 19. Jahrhundert mit Ereignissen und Verhaltensmustern, die sich weder in der Biologie, noch in der Psychologie oder Physik erklären lassen. In der Regel findet der Forschungsbereich in vielen anderen wissenschaftlichen Bereichen allerdings nicht immer die volle Anerkennung. In Freiburg klärt die Parapsychologische Beratungsstelle Freiburg Betroffene auf. An der Uni war Parapsychologie bis 1998 ein ergänzendes Angebot im Psychologiestudium.

#heimat Schwarzwald Ausgabe 22 (5/2020)

Der Schwarzwald ist ein Paradies für Mountainbiker. Für Anfänger und Profis hat es bei uns Strecken, bei denen einem nicht nur vor Anstrengung die Spucke wegbleibt! Und wenn Euch nach einer Tour dann der Hunger plagt: Dann hätten wir leckere Apfelgerichte für Euch. 

#heimat, der Genussbotschafter für den Schwarzwald 

In der Zeitschrift #heimat geht es um Genuss in der Region, um (kulinarische) Traditionen und gute Adressen, um Manufakturen und Menschen. Idee und Konzept für #heimat stammen von Chefredakteur Ulf Tietge und seinem Team. Das Magazin wurde 2016 mit dem Ortenauer Marketingpreis ausgezeichnet und ist inzwischen bundesweit erhältlich.

 

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