Besuch bei Wildling Blumen im Markgräflerland

Nicht nur zum Muttertag einen Ausflug wert: Malin Lüth hegt bei Müllheim ein Blumenmeer ohne giftigen Bullshit. Wir schnuppern mal rein ins Slowflower-Feld...

Text: Jana Zahner Fotos: Marcia Friese

Noch ist der Boden bockelhart gefroren. Und doch ist heute einer dieser eiskalt-klaren Tage, wo man glaubt, den Frühling schon riechen zu können. Herbsüßer Duft entsteigt der dampfenden Teetasse, die Malin Lüth über den mit Frost überzogenen Acker balanciert. Die junge blonde Frau in den schlammbespritzten Stiefeln kniet sich hin, schiebt ein paar abgestorbene Pfingstrosenstängel vom vergangenen Jahr beiseite und zeigt lächelnd auf einen roten Pflanzentrieb: „Da ist das neue Leben!“ Noch ein paar Wochen, dann schüttelt ihr knapp ein Hektar großes Feld bei Müllheim im Markgräflerland den Winter endgültig ab. Zwischen Schwarzwald und Vogesen gebettet, entsteht wieder ein Meer aus Farben: Narzissen, Anemonen, Ranunkeln, Pfingstrosen. Die Sträuße verschicken Malin und ihre Mitarbeiter deutschlandweit, ihre Kunden aus der Region holen die Frühlingsboten an dem kleinen Feldstand am Straßenrand ab. Auf dem weiß gestrichenen Häuschen steht der Name von Malins Unternehmen: Wildling Blumen. Warum, das erklärt sie uns gleich …

Schafwolle zum Düngen

Der Blumenhandel hierzulande wird von Importware dominiert: Aus den Niederlanden, aber auch aus Kolumbien, Ecuador, Kenia und Äthiopien. Zu Feiertagen explodiert die Nachfrage nach Schnittblumen, ob als handgemachtes Bouquet vom Floristen oder als Last-Minute-Geschenk aus dem Discounter. Tonnenweise vergängliche Schönheit, die oft so einige Umweltprobleme mit sich bringt: lange Transportwege, Gewächshäuser, die beheizt werden müssen.

Dünger und Pestizide, die Böden und Gewässer in den Herkunftsländern belasten – aber auch die Menschen, die diese Pflanzen aufziehen, ernten, verkaufen und an ihnen schnuppern. Malins Wildling-Blumen aus biologischen Anbau sind als Gegenentwurf gedacht. „Anders und zugleich wirtschaftlich zu arbeiten, ist eine Herausforderung, an der ich immer weiter experimentiere.“ Gärtnerin Malin ist Teil der sogenannten Slowflower-Bewegung: Die steht für einen saisonalen und nachhaltigen Blumenmarkt ohne Gifte. Malin düngt mit Schafwollpellets und Kompost. Bis auf einige sensiblere Arten wie Anemonen, die im Winter Plastikplanen als Schutz vor der Kälte brauchen, kommen bei ihr vor allem die Harten in den Garten. Echte Wildlinge wie die weiß und rosa blühende Wiesenplatterbse eben, die unter freiem Himmel gedeihen.

„Ich lasse mich oft bei Spaziergängen von Wildblumen inspirieren“, sagt die Gärtnerin. „Dann schaue ich, welche Verwandten der Wildpflanzen sich hier kultivieren lassen.“ Zum Beispiel Fingerhüte in allen Variationen – aber in Farben, wie man sie im Schwarzwald nicht findet.

Die meisten Arbeiten erledigt Malin von Hand, sie mag keinen Maschinenlärm. Ihr einziger motorisierter Helfer auf dem Feld ist ihr Einachsschlepper. Wachstumsförderer aus dem Chemiebaukasten gibt es bei Malin nicht, die Pflanzen, Regen und Sonne geben den Jahresrhythmus vor. Wer bei ihr zum Muttertag Blumen bestellt, muss 2025 einen Lieferzeitraum vom 7. bis 17. Mai akzeptieren – denn der Natur ist wurscht, dass 1922/23 der Verband Deutscher Blumengeschäftsinhaber den zweiten Sonntag im Mai als Tag der Blumenwünsche etabliert hat. Bei Malin liegt dem bunten Gruß dann eben noch ein Kärtchen bei: „Jeder Tag ist Muttertag.“ Sollte so sein! Man kann bei Wildling Blumen auch mehrere Blumengrüße für festgelegte Tage in der Saison vorbestellen und sich dann von der Vielfalt überraschen lassen. Mehr als 100 verschiedene Kulturen gedeihen bei Malin auf dem Feld mit dem sehr kalkhaltigen Boden, der typisch ist für das Markgräflerland.

Apropos Gewächs: Malins eigene Wurzeln liegen eigentlich im hohen Norden, ihr Abitur machte sie in Kiel. Die Mutter ist Pharmazeutin, der Vater leitender Angestellter bei der Post. „Als Kind wollte ich eigentlich immer Bäuerin werden – das wurde mir im Gymnasium aber nie als möglicher Weg aufgezeigt.“ Freiwilligenarbeit auf einem Hof in Schweden ließ die Leidenschaft aufblühen. „Das hat mir gezeigt: Ich will draußen arbeiten, mich mit den Jahreszeiten verbinden und etwas Sinnvolles erzeugen mit meiner Arbeit.“ Malin lernt beim Gemüsebauern, bei einem Milchviehbetrieb im Schwarzwald, macht ihren Landwirtschaftsmeister. Der Mensch lebt nicht von Gemüse und Milch allein, findet Malin. Er braucht Schönheit, Feste. Gerade in Krisen wie Corona. Nach fünf Jahren in der Gärtnerei Piluweri in Müllheim-Hügelheim wagt sie 2020 den Schritt in die Selbstständigkeit mit ihrem damals 6000 Quadratmeter großen Blumenfeld, versteckt zwischen Obstplantagen an der spärlich befahrenen Landstraße nach Zunzingen. Ein Geschenk zu ihrem 30. Geburtstag. Werbung macht sie vor allem über Social Media, Crowdfunding hilft beim Start, ein treuer und wachsender Kundestamm lässt Wildling Blumen trotz der Pandemie florieren.

Warum löst ein bunter Strauß in der Vase eigentlich etwas in uns aus? Malin ist überzeugt, dass Schnittblumen mehr sind als ein dekorativer Luxus. „Wir Menschen fühlen den Druck, immer gerade, immer blühend zu sein“, sagt Malin. Blumen, meint sie, erzählen von der Schönheit des Vergehens. In ihren Sträußen gehen die einzelnen Blüten versetzt auf, verwelken und ergeben so immer wieder ein neues Gesamtkunstwerk. Malin und ihre Mitarbeiter verschicken die Sträuße frisch vom Feld per Nachtexpress – auf Wunsch mit handgeschriebenen Grußkarten zur Feier von Geburten und Hochzeiten, als Trost für Kranke und Hinterbliebene. Vom Feld bis zum Kunden brauchen die Blumen keine 24 Stunden. Und wie hat man möglichst lange Freude an den unbehandelten Sträußen? „Die Hygiene ist wichtig“, rät die Gärtnerin. Heißt: Blumen in eine saubere Vase stellen. Tiefsitzende Blätter an den Stängeln, die sich mit Flüssigkeit vollsaugen und schimmeln könnten, gleich wegschneiden.

Das Wasser alle zwei Tage wechseln und dabei auch die Stiele unten neu anschneiden. Ihre Blumenkreationen arrangiert Malin ein paar Lastenfahrradminuten vom Feld entfernt in ihrer Werkstatt, einer ehemaligen Metzgerei. Auf dem Feld selbst steht nur ein kleines Gewächshaus mit einer Biertischgarnitur, Schaffellen und einem Gaskocher für den Tee, an dem Malin sich aufwärmt, wenn sie in der kalten Jahreszeit die nächste Saison von März bis Oktober vorbereitet. Das einzige weitere Gebäude auf dem Gelände ist das Ställchen, in dem ihre Schwedischen Blumenhühner leben – die heißen so wegen der weißen Tupfen auf ihrem Gefieder. Bullerbü-Feeling kommt auf, wenn die Hennen mit den Schnäbeln an der Gewächshaustür klopfen, weil sie so gerne in der sonnengewärmten Erde unter dem Glasdach im Staub baden. In diesem Jahr sollen sich noch Bienen zu den Hühnern gesellen. Und Malin träumt davon, Kühe zu halten. „Dann hätten wir hier Milch, Honig – und wirklich ein Paradies.“

Sträuße binden wie ein Profi

Bei klarem Wetter blickt man vom Feld aus im Osten auf den Schwarzwald, im Westen auf die Vogesen. „Ich finde diesen Ort wunderschön und er tut mir als Gärtnerin wahnsinnig gut. Das möchte ich teilen“, sagt Malin und nimmt einen Schluck aus ihrer Teetasse. Regelmäßig öffnet sich das Gartentor zur Blumenbar mit Blumenpflücken und Picknick. Im Sommer strömt Blühwein bei Weinproben im Blumenfeld. In Workshops gibt Malin ihr Wissen weiter, wie das Geschäft vom Feld zur Vase gelingt. „Wer einen schönen Garten haben will, muss im Herbst vorplanen“, sagt sie. Zwiebelblüher wie Narzissen eignen sich gut für Anfänger, die Frühlingsboten im eigenen Garten haben wollen, rät sie.

Blumenarrangieren ist eine Kunst für sich – das weiß jeder, der schon einmal selbst versucht hat, einen Blumenstrauß zu binden, der jede Blüte zur Geltung bringt. „Ich teile die Blumen in Kategorien ein – mindestens drei verschiedene sollte jeder Strauß haben, damit er schön aussieht“, sagt Malin. Eine Fokusblüte mit großem Kopf wie etwa eine Anemone oder Sonnenblume. Traubige, hohe Blütenstände wie Löwenmäulchen ordnet sie als „Kerzen“ ein, die Highlights setzen und aus dem Strauß herausragen. Zarte Füllblumen wie Schafgarbe geben dem Bouquet Volumen. Filigrane Elemente wie zarte Gräser setzen Akzente. Und: „Man sollte von jeder Art immer eine ungerade Anzahl nehmen“, sagt Malin. Asymmetrie ist Trumpf in der Vase. Zwei Rosen etwa lassen an ein Gesicht mit Augen denken – dann setzt sich das Auge an ihnen fest, die restlichen Blumen nimmt man kaum noch wahr. Und die Pflanzenmüssen nicht alle perfekt und gerade gewachsen sein – das sind sie auf einer natürlich gewachsenen Wildblumenwiese aber eh nicht.

Hat man als Gärtnerin eine Lieblingsjahreszeit? Da legt sich Malin nicht fest. Die warmen Monate sind „ein Fest“, wenn jeden Tag Neues blüht, aber auch harte Erntearbeit in der prallen Sonne. „So ein Arm voll Pfingstrosen ist schwerer, als man glaubt“, sagt die Landwirtschaftsmeisterin. Zum Saisonende gibt es bei Wildling Blumen Trockensträuße und Räucherbündel. In den kalten Monaten kommt der Garten zu Ruhe. „Dann bin ich auch einfach mal dankbar für die Eisblumen, die keine Arbeit machen“, sagt Malin, lacht und schaut zu, wie die Frostschicht auf den Gewächshausscheiben langsam in der Sonne taut. Wie schön: Der Frühling kommt!

Lass Blumen sprechen!

Mehr Infos zu Malins Angebot findet Ihr unter wildlingblumen.de – was aktuell blüht, zeigt die Gärtnerin auf Instagram: @wildling_blumen

#heimat Schwarzwald Ausgabe 48 (1/2025)

Der Frühling im Schwarzwald ist schon was Besonderes: Im Tal sprießen schon Krokusse und Narzissen, während auf mehr als 1000 Metern der Winterspaß weitergeht. Wir nehmen euch mit zu Wildlingblumen im Markgräflerland, zum Eiskartfahren nach Bühl und zeigen euch, wo sich Urlaub vor der Haustür lohnt. Wusstet ihr, dass der erste Skifahrer auf dem Feldberg im Februar 1891 den Gipfel bezwang? Eine ziemlich wilde Geschichte…

Wir haben den Entertainer Cossu aus dem Kinzigtal getroffen und über Mundart, deutsche Eigenheiten und sein neues Buch geplaudert.

Was wäre der Schwarzwald ohne seine Genusshelden? Wir verleihen in diesem Jahr wieder den kuckuck-Award – stimmt ab für eure liebsten Gastgeber, Betriebe und Genusshandwerker! Alle Infos zur Teilnahme findet ihr im Heft. Ihr wollt auch daheim so richtig genießen? Mit unseren vom Hype um die Dubai-Schokolade inspirierten Backrezepten, Sauerkraut auf elsässische Art und Gerichten voller jungem Gemüse wird es ein leckerer Start in den Frühling!

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