Wuhren im Hotzenwald: Wo alles im Fluss ist

Rätselhafte Wasser fließen durch den Hotzenwald. Wuhrenwart Tobias hat uns erklärt, was es damit auf sich hat…

Text: Pascal Cames Fotos: Daniel Schoenen

Stille Wasser sind nicht immer tief, oft sind sie einfach nur lang. Und machen Arbeit. Davon kann Tobias Herzog ein Lied singen. Er ist der Mann, der für die Gemeinde Rickenbach im Hotzenwald den Kanal Heidenwuhr am Laufen hält. 

Was hat der Mann gegen die Äste? Sobald er einen Ast sieht, greift er ihn und schmeißt ihn in den Wald. Das macht er auch mit kleinen Hölzchen. Laub? Dafür packt er die Mistgabel und schaufelt die braunen Blätter weg. So geht es ein paar Stunden. Wenn Tobias Herzog (42) gefragt wird, was er macht, dann sagt er: „Ich muss das Wuhr am Laufen halten.“ Mehr Zeit für Erklärungen hat er jetzt nicht, denn das Wuhr ist lang und der Weg ist weit. 

Heute schlappt er in seinen gelben Gummistiefeln das Heidenwuhr entlang. Eine Hälfte des Weges macht er diesen Sonntag, die zweite Hälfte am kommenden Sonntag. Nur bei Sturm bleibt er daheim. Im Hotzenwald meinen die Leute über seinen Job Folgendes: „Isch ä Scheißgeschäft, bei jedem Wetter.“ Tobias sieht’s ein bisschen anders. „Das ist ein super Ausgleich zum Beruf“, sagt der gelernte Schreiner und jetzige Laborleiter. Wie bestellt zwitschert es aus den Bäumen. 

Was sind eigentlich Wuhren?

Die Wuhren sind Kanäle, deren Wasser auf circa 800 Meter Höhe am Südhang des Schwarzwalds entspringen und die das Wasser am Hang mit geringem Gefälle talwärts Richtung Rhein bringen. Oft fließen die Wuhren im Wald, manchmal aber auch quer über eine Wiese. Zwar hat es im Hotzenwald immer genug Wasser, aber halt nicht immer dort, wo’s gebraucht wird. Das haben auch kluge Leute in Säckingen gemerkt und sich etwas einfallen lassen. Wir holen uns das Wasser! Schließlich mussten sie ihr Eisenerz auch aus dem Aargau einführen, warum dann nicht auch das Wasser von anderswo herholen? Aber wo kommt’s her?

Schauen wir ein paar Höhenmeter weiter gen Osten zum Hornberg oberhalb von Rickenbach. Hier treffen zwei Gesteinsschichten aufeinander, dazwischen sammelt sich das Wasser. Allerdings würde es aus dieser Bergquelle nicht nach Säckingen fließen, wo es gebraucht wurde, sondern in die Hotzenwälder Murg. Also hat man Wuhren (Kanäle) anlegen lassen, hat Gräben gegraben, dann Ton aus der Rheinebene hochgeschleift und mit diesem den Kanal ausgekleidet, damit das Wasser nicht ins Granitgestein verschwindet. Um zu verhindern, dass das Wasser den Buckel runterrauscht, wurden die Wuhren mit Steinen eingefasst. Wer dafür gebuckelt hat, weiß man nicht. Es könnten die Bauern, Kriegsgefangene oder bezahlte Arbeiter gewesen sein. Wie in Südtirol (dort heißen die Kanäle Waale) fließt jetzt das Wasser seinem Ziel entgegen. Das Wasser und der Wald machen hier das Wandern bzw. das Arbeiten auch im Hochsommer erträglich.  

Zu seinem Nebenberuf kam Tobias zufällig. Vor über einem Jahr machte der Rickenbacher eine Urlaubsvertretung für den damaligen Wuhrenwart. Wenn der mal in Rente geht, mach’ ich weiter, sagte er sich.  Unverhofft kommt oft, ein halbes Jahr später war’s so weit. Jetzt oder nie! Tobias sagte zu. Ein Argument dafür war Heimatliebe, denn das Wuhr gehört zum Hotzenwald wie die Kuckucksuhr nach Triberg.

Das Wasser hat Zeit

Warum sind Äste so störend? Der Wuhrenwart erklärt: Sobald irgendwo ein Stück Holz festliegt, bildet es eine Barriere, in der weitere Hölzer und Laub hängen bleiben und das Wasser stauen, das dann über das Ufer tritt oder sich auch unterirdisch einen Weg sucht. Damit das Wasser doch in seinem Bett bleibt, wurden an manchen Stellen sogenannte Störsteine in das Wuhr gelegt. Diese leiten das Wasser von den Schwachstellen am Ufer ab. Aber die Felsbrocken werden vom Wasser untergraben, und so sinken sie ab und das Wasser kommt doch dorthin, wo es nicht hinsoll. 

„Das Wasser hat Zeit“, sagt Georg Keller, der als passionierter Wanderer schon viel gesehen hat. Keller und Herzog treffen sich zufällig im Wald und laufen ein Stück zusammen. Bei einer Baumwurzel stellen sie fest, dass der umgestürzte Baum glücklicherweise zum Hang fiel. 100 Meter weiter war es anders, da fiel der Baum den Hang runter und die Wurzeln rissen das Ufer weg. Dann hat Tobias wirklich viel zu tun. Mit Steinen, Ton oder auch Beton muss dann das Ufer stabilisiert werden. Das Material transportiert er mit einem kleinen Lkw, manchmal braucht er auch einen Bagger, eine Schubkarre eigentlich immer. Gras oder Farn mähen muss er auch noch. So gibt’s immer was zu schaffe.

Wuhrenwart: Arbeit und Vergnügen

Zwar laufen in Säckingen keine Mühlen mehr mit dem Wasser des Heidenwuhr, aber das Wasser wird heute für den Bergsee oberhalb von Säckingen gebraucht. Ab und zu kommt es auch mal zu Starkregen. Damit unten der Bergsee nicht überläuft und die Keller nicht absaufen, kann Tobias das Wasser stauen oder sogar ableiten. Aber heute scheint die Sonne und das Licht bricht sich im Laub. Im Wasser krabbeln Krebse und schießen Bachforellen hin und her. 

Einsam ist die Bachlauferei nicht, sondern eine willkommene Abwechslung zum Alltag. Wenn Familie Herzog am Sonntag Besuch bekommt, wird zur Wuhrenwanderung geblasen. Frau und der Besuch wandern auf dem Trockenen, Tobias im Nassen. Unter der Woche geht  auch Sohn Julian mit. So kann der Große das Gras mähen und 20 Meter weiter fischt der Kleine das Grünzeug wieder heraus. Nach getaner Arbeit setzt sich der Wuhrenwart in sein Auto und trinkt sein Feierabendbier. Manchmal kommt ein Kumpel dazu. Alles ist ruhig, die Aussicht ist wunderbar, die Arbeit getan und das Wuhr fließt wie eh und je …

Wuhren

Das Wort Wuhr leitet sich ab vom mitteldeutschen wuor, wuore, das bedeutet Damm zum Abhalten von Wasser bzw. Ableiten des Wassers. Im Hotzenwald gibt es mehrere Wuhren, die seit Mitte des 15. Jhs. in Betrieb sind. Die Wuhren brachten Wasser aus 800 Meter Höhe nach Säckingen zu den Mühlen und Hammerschmieden. Je nach  Gelände sind sie zwischen einem halben und einem Meter breit und 50 Zentimeter tief.

Der Premiumwanderweg Hotzenpfad bei Rickenbach gilt als der schönste Wanderweg an einem Wuhr. Er ist 12,8 km lang. Als Gehzeit werden 4 Stunden veranschlagt. Der Weg führt zum Geotop Solfelsen mit Picknickstelle. Von dort gibt es einen super Ausblick ins Rheintal, auf Basel, die Alpen und die Vogesen. Auch der viel kürzere Vogellehrpfad Görwihl (2,5 km) führt an einem Wuhr entlang. Im Energiemuseum Rickenbach (Ortsteil Hottingen) ist ein Modell des Hotzenwalds mit allen Wuhren ausgestellt. Die Gemeinde Rickenbach gehört zur FerienWelt Südschwarzwald. Weitere Wandervorschläge aus dieser Region findet ihr auf unserem Tourenportal unter ferienwelt-suedschwarzwald.de.

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