Staumauer mit viel Power

EnBW-Leitstandführer Werner Schoch erklärt #heimat die Geheimnisse der Schwarzenbach-Talsperre und wie viel Leistung in dem Kraftwerk steckt

Text: Daniel Oliver Bachmann Fotos: Henrik Morlock

Wenn Werner Schoch mit blitzenden Augen davon spricht, dass sein Beruf wie ein Sechser im Lotto ist, und zwar seit über 40 Jahren, was mag er wohl sein? Astronaut? Zumindest erweckt sein Arbeitsplatz diese Assoziation: Riesige Bildschirme zeigen bunte Grafiken und schnell wechselnde Zahlen neben Live-Bildern von sprudelndem Wasser. „Ich bin Leitstandführer im Rudolf-Fettweis-Werk Forbach der EnBW“, klärt uns Werner auf. „Von hier aus regeln wir den Betrieb von 24 Kraftwerken in ganz Baden-Württemberg.“ Im Laufe des Tages, den wir zusammen verbringen, fügen wir noch einen inoffiziellen Titel hinzu: Für uns ist Werner Schoch auch der Herr der Mauer. Diese ragt mächtig vor uns auf, nachdem wir den Leitstand verlassen haben, um hinauf zur Schwarzenbach-Talsperre zu fahren. Für Besucher ist der dahinter aufgestaute, zwei Kilometer lange See rund ums Jahr ein beliebtes Ausflugsziel. Für die EnBW ist er ein Hochleistungs-Akku. Wie das? Werner schmunzelt: „Das Kraftwerk Forbach hat viele Besonderheiten“, sagt er. „Eine davon ist seine Funktion als Notstromaggregat für andere Kraftwerke.“ 

Deutschland hungert nach Strom

Deutschland verbraucht innerhalb einer Stunde 60 000 Megawattstunden Strom. Eine gigantische Zahl, die man sich kaum vorstellen kann. Klarer wird sie im Vergleich: Das Kraftwerk Forbach erzeugt pro Stunde 65 Megawatt Strom. Iffezheim als größtes Wasserlaufkraftwerk Deutschlands, das ebenfalls vom Leitstand Forbach aus gesteuert wird, bringt es auf
145 MW/h. Immerhin aber hat Forbach einen langen Atem: „Der gefüllte Stausee mit seinen 14,4 Millionen Kubikmetern Wasser reicht theoretisch aus, um Baden-Württemberg eine Stunde lang mit Strom zu versorgen.“ 

Unser Blick gleitet über die glitzernde Oberfläche, auf der Tretboote gemächlich ihre Kreise ziehen. Die Wasserfläche erscheint endlos, der See ist 35 Meter tief. Und das reicht gerade mal für eine Stunde Strom? Es sind eben viele Mosaik-Steinchen, die dafür sorgen, dass wir immer Energie zur Verfügung haben, erklärt Werner. „Wasserkraft versorgt in Baden-Württemberg 2,2 Millionen Haushalte. Allerdings nur, wenn Wasser da ist.“ Doch in den vergangenen Jahren führten die Zuläufe des Sees, der Schwarzenbach und der Seebach, immer weniger Wasser. Das kennt der gebürtige Forbacher noch anders und erinnert sich an Jahre mit tagelangem Landregen und im Winter ordentlich Schnee. Dann kamen die Hochwasserentlastungsöffnungen zu ihrem Recht. Zwischen 1922 und 1925 wurde die Baustelle trotz Zeitdrucks von November bis März dichtgemacht, da es zu sehr schneite. Weil wir gerade dabei sind: Wer kam eigentlich auf die Idee, in dieser einsamen Gegend eine Staumauer zu errichten? Werner kennt die Antwort, und sie hat tatsächlich mit dem Wort einsam zu tun. Und mit einer Vision. 

Fallhöhe + Wassermenge = Energiemenge

Alles begann mit einer Wanderung von Theodor Rehbock, Professor für Wasserbau an der Universität Karlsruhe. Zwischen Herrenwies und Forbach muss es geschehen sein: Da blitzte die Idee auf, die enorme Fallhöhe aus den Bergen hinab ins Murgtal zur Stromgewinnung zu nutzen. „Die Rechnung ist einfach“, erklärt Werner. „Fallhöhe plus Wassermenge gleich Energiemenge.“ Denn lässt man Wasser durch Röhren hinab ins Tal rauschen, können sie Turbinen antreiben. Genau das geschieht: 20 000 Liter Wasser pro Sekunde fallen vom See hinab ins Kraftwerk Forbach. Und zwar so, dass weder Tretbootfahrer noch Fische befürchten müssen, eingesaugt zu werden. 

 

400 Meter lang, 65 Meter hoch, 35 Meter dick

Wir haben uns inzwischen ins Innere gewagt. Ein Kontrollgang durchzieht die Schwergewichtsmauer, die 400 Meter lang, 65 Meter hoch und an der stärksten Stelle 35 Meter  breit ist. Allein durch ihr Gewicht von 600 000 Tonnen hält sie dem Druck des Wassers stand. So etwas gab es in Deutschland nicht, als der Bau begann. „Dabei entstand eine Stadt für 2500 Arbeiter“, sagt Werner. „Damit sich die Mauer in die Natur einfügt, schlugen Steinmetze unzählige Quader aus Forbacher Granit und verkleideten damit die Talseite.“ Das macht die Staumauer zum ansehnlichen Bauwerk. Ihre Geheimnisse aber verbirgt sie im Inneren. Jetzt sind wir genau in ihrer Mitte angekommen. „Könnten wir uns hier nach links durch die Mauer graben“, sagt der EnBW-Mitarbeiter, „wären wir nach 20 Metern im Freien. Rechts stünden wir nach 15 Metern vor einer Wasserwand.“ Diese sorgt für einen gigantischen Druck. Daher wird akribisch kontrolliert, ob die Mauer leckt. Keine Staumauer der Welt ist vollkommen dicht, weiß Werner Schoch, und auch im Kontrollgang plätschert Wasser. Das ist gewollt, wir müssen also nicht ängstlich nach Rissen Ausschau halten. 

Werner weist auf einen Apparat: ein Schwimmlot, das 14 Meter tief in die Erde reicht und die Standsicherheit der Mauer misst. Gibt es irgendwo auf der Welt ein Erdbeben, weiß man hier kurz darauf Bescheid. „Das Tōhoku-Erdbeben von 2011 vor Fukushima löste durch das Schwimmlot bei uns im Leitstand Alarm aus“, erinnert sich Werner. Jetzt haben wir die Pendelkammer erreicht, in der die Verformung der Mauer gemessen wird. In der Tat rückt sie bis zu 10 Millimeter nach links und rechts, 28 Millimeter dürften es sein. „Und die Mauer bewegt sich doch“, kommentiert er diesen normalen Vorgang. Trotzdem wird alle vier Jahre per Laserstrahl und GPS geprüft, „ob die Mauer noch dort steht, wo sie stehen soll.“ Jüngste Untersuchungen ergaben, dass die Schwarzenbach-Staumauer einem gewaltigen Hochwasser standhalten würde, dass statistisch gesehen nur alle 10 000 Jahre vorkommt.

Retter in der Not

Wir sind zurück im Leitstand und bewundern die großen Turbinen. Wieder kommt der Physikunterricht zur Sprache, wir hätten wohl besser aufpassen sollen. Denn das Ganze macht nur Sinn, weil Hochspannungsstrom in Leitungen über weite Strecken transportiert werden kann. Das ist auch die Herausforderung: In Deutschlands Norden wird  viel Strom produziert, im Süden und Westen dagegen mehr verbraucht. Daher geistert immer wieder das Wort Blackout durch die Medien. Was es damit auf sich hat? Werner Schoch weiß es: „Unser Stromnetz hat einen Sollwert von 50 Hertz, der muss exakt eingehalten werden.“ Wenn die Netzfrequenz im nordwestlichen Europa auf 49,74 Hertz sinkt, während sie im südöstlichen Teil auf 50,8 Hertz steigt, was im Januar 2022 geschah, schrammt der gesamte Kontinent am Blackout vorbei. Das wird durch Schutzmaßnahmen vermieden, zu denen das Kraftwerk Forbach zählt. Es wirkt ausgleichend auf die Stromnetze und kann zusätzlich wie ein Akku genutzt werden. „Fallen große Kraftwerke aufgrund des Blackouts aus“, erläutert Werner uns, „können sie nicht aus eigener Kraft neu angefahren werden. Forbach schon. Dann liefern wir den Strom, damit überall wieder der Betrieb aufgenommen werden kann.“ 

Nach diesem Tag sehen wir vieles mit anderen Augen: den Schwarzenbachsee, den wir bisher nur als Tretboot-Revier kannten. Auch die Selbstverständlichkeit, dass immer Licht brennt, sobald wir einen Schalter betätigen. Werner hat uns mit vielen weiteren spannenden Geschichten versorgt: vom Tieffliegerangriff auf die Staumauer im Zweiten Weltkrieg bis zur nahen Zukunft, in der ein Kavernenkraftwerk in den Berg gebaut werden soll, um die Schwarzenbach-Talsperre noch besser als Energiespeicher nutzen zu können. Wieder leuchten die Augen des Leitstandführers vor Begeisterung, und wir können nur bestätigten: Für Werner Schoch ist seine Arbeit tatsächlich ein Sechser im Lotto. 

Neugierig?

Die Mauer ist frei begehbar. Infos zu Führungen im Pumpspeicherkraftwerk Forbach, der Schwarzenbach-Talsperre und im Rheinkraftwerk Iffezheim findet Ihr hier

#heimat Schwarzwald Ausgabe 46 (5/2024)

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