Die mit der Kuh kuschelt

Vorderwälder geben nur Milch oder landen auf dem Teller? Von wegen! Auf dem Marterer-Hof im Südschwarzwald darf man mit Kühen auch knuddeln...

Fotos: Jigal Fichtner

Gnä’ Frau hat’s nicht eilig. Gemessenen Schritts bewegt sich Tami in den Melkstand und verharrt auf Position. Ich stehe einen halben Meter tiefer in der Melkgrube und sehe nur Beine und Zitzen. Bernd Marterer reicht mir ein Feuchttuch: „Jetzt machst du erst mal das Euter sauber, dann kannst du das Melkgeschirr anlegen.“ Bitte? So soll ich die Kuh kennenlernen? Erst mal untenrum? Der Chef vom Marterer-Hof in Fröhnd im Wiesental grinst: „So läuft das hier.“ Erst melken, dann kuscheln! Bernds Lebensgefährtin Heidrun Glaser erklärt: „Unsere Kühe kennen das und so entsteht schon mal ein bisschen Vertrauen.“ Von ihr stammt auch die Idee mit dem Kuhkuscheln – mittlerweile ein echter Renner für Feriengäste.

Du kriegst es zurück...

Die Maschine zutzelt und pumpt vor sich hin, ich streichele derweil Tamis rot-weiße Flanke. Der Vorderwälderin scheint das alles zu gefallen. Sie schnuppert in meine Richtung. Bernd steht neben mir und beobachtet die Szene: „Das läuft ja ganz gut.“ Meint er die Milch oder meine zaghaften Anbahnungsversuche? „Beim Kuhkuscheln ist der Charakter der Menschen ganz entscheidend: Wie man sich verhält, so kriegt man es zurück“, weiß der 50-Jährige. Fast automatisch werde ich ruhiger, meine Bewegungen auch. Kuh Tami schnaubt leise. Wie war das eigentlich, als Heidrun ihm vorschlug, die Urlauber auf dem Hof könnten die Kühe doch auch mal kuscheln? In seinen Augen blitzt es: „Ich bin Schwarzwälder und neuen Ideen gegenüber aufgeschlossen. Also haben wir es probiert.“ Seine Nachbarn fanden das teils innovativ, teils belustigend. Ihm war das egal.

Kuscheln als USP

Der gelernte Maschinenschlosser betreibt den Bio-Hof plus Zuchtbetrieb auf gut 90 Hektar mit rund 100 Rindern im Nebenerwerb. Seine Heidrun ist für die Ferienapartments und die Gäste zuständig. Doch um zu überleben, braucht es ein bisschen mehr als Bauernhofidylle, hübsche Wohnungen und gute Schwarzwaldluft…


Heidrun, die eigentlich aus der Hotelbranche kommt und einen Meistertitel hat, erfuhr durch eine frühere Kollegin vom Kuhkuscheln. Im Norden Deutschlands gab es das schon, im Süden nicht. „Durch unser Angebot haben wir Stammgäste gewinnen können“, lacht sie. „Andere kommen sogar aus Stuttgart angereist.“ Es gibt auch Gäste aus Übersee, die extra einen Abstecher nach Fröhnd-Oberhepschingen machen. „Nicht jeder“, so erzählt Bernd, „eignet sich zum Kuhkuscheln.“ Der Wunsch, sich auf die Tiere einzulassen, sei ganz wichtig. Er merke schon beim Einweisen am Melkstand, wer dafür infrage kommt. Das Alter sei nicht entscheidend. „Manche Kinder sind überdreht, da funktioniert es einfach nicht“, meint er. Und Erwachsene, die an 100 Sachen gleichzeitig dächten und das Kuhkuscheln nur als Ferienspaß  betrachteten, würden das eigentliche Erlebnis verpassen. „Und für meine Vorderwälder ist Hektik auch nix“, grinst er. Dass er immer dabei ist: klar. Schon aus Sicherheitsgründen.

Mit der Kuh auf du und du

Tami und ich sollen uns jetzt noch besser kennenlernen. Brav läuft sie hinter mir her, was allerdings auch an dem Leckerli liegt, das Bernd mir zugesteckt hat. Sie reibt ihren Kopf an meinem Bauch, lässt sich streicheln und umarmen. Aus den tiefsten Tiefen dieses 500-Kilo-Tiers kommt ein langgezogenes, genüssliches Schnauben. Scheu kennt sie nicht: Sie stupst mich an, um ein bisschen vom Kuh-Keks zu bekommen und beschnuppert intensiv mein Gesicht. Plötzlich steht sie ganz ruhig da, als müsse sie kurz nachdenken und guckt mir unvermittelt tief in die Augen. Mehr noch: Sie guckt mir in die Seele. Das Kuscheln ist nicht mehr so wichtig, es geht um eine intensive Verbindung von zwei Wesen, die auf ihre Weise miteinander sprechen. „Magst du zu den Kälbern?“, fragt Bernd leise. Fast, als würde er den Moment nicht stören wollen.

Hilfe, ein Ausserirdischer

Mit den jungen Hüpfern auf der Weide nebenan ist es nicht ganz so einfach. Sie haben zwar das Geschehen sehr aufmerksam verfolgt, aber kuscheln? Nee! Mit fremden Menschen haben sie keine Erfahrungen und wollen offensichtlich auch keine machen. Schade – sie sind wirklich unglaublich niedlich. Ich versuche mich in ihre Lage zu versetzen: Was würde ich tun, wenn ich kaum Lebenserfahrung hätte und sich ein ziemlich großer Außerirdischer auf mich zubewegt, der dabei unverständliches Zeug von sich gibt? Genau: auf Abstand gehen. Also setze mich ins Gras und zupfe an den Halmen herum. Kühe sind nämlich neugierig. Der Frechste in dieser Kindergartengruppe wird immer wieder von den anderen animiert, gefälligst mal gucken zu gehen, was die Tante da so macht. Doch sobald ich die Hand ausstrecke, ist der Mut des Bullenkalbs schlagartig weg. Bernd bringt einen Eimer Milch. „Jetzt wird’s“, grinst er zuversichtlich. Wird es nicht. Sie wollen keine Milch, keine Kekse und erst recht keine Fremden – basta!

Muh trifft Ommm

Ich lehne mich zurück und versuche buddhagleiche Ruhe auszustrahlen. Wenn sie wollen, werden sie schon kommen. Der kleine Bulle ist der erste: Zögerlich schleckt er die Milch von meinen Fingern. Keine zwei Minuten später schnaubt mir ein Kälbchen ins Ohr, während ein anderes an meinen Haaren herumzupft. Ein drittes findet, dass sich meine Nase super zum Nuckeln eignet. Die Zwerge werden immer übermütiger, lecken meine Arme ab, lassen sich füttern und finden Kraulen plötzlich doch ziemlich toll. Wenig später nimmt mich Heidrun zur Seite: „Wie du das gerade gemacht – ich war echt ein bisschen ergriffen.“ Das bin ich jetzt auch. Dabei war ich einfach nur ich selber – aber eben in der ruhigen Version. Oder besser gesagt: in der beruhigten Version…

Typische Schwarzwälder!

Die Vorderwälder sind typisch für den Südschwarzwald. Erstmals erwähnt wurde das Wäldervieh Mitte des 16. Jahrhunderts. Sie gelten als sehr anpassungsfähig und kommen mit starken Hanglagen und rauem Wetter hervorragend zurecht. Vorderwälder sind eine Zweinutzungsrasse: Sie liefern Milch und Fleisch.

#heimat Schwarzwald Ausgabe 22 (5/2020)

Der Schwarzwald ist ein Paradies für Mountainbiker. Für Anfänger und Profis hat es bei uns Strecken, bei denen einem nicht nur vor Anstrengung die Spucke wegbleibt! Und wenn Euch nach einer Tour dann der Hunger plagt: Dann hätten wir leckere Apfelgerichte für Euch. 

#heimat, der Genussbotschafter für den Schwarzwald 

In der Zeitschrift #heimat geht es um Genuss in der Region, um (kulinarische) Traditionen und gute Adressen, um Manufakturen und Menschen. Idee und Konzept für #heimat stammen von Chefredakteur Ulf Tietge und seinem Team. Das Magazin wurde 2016 mit dem Ortenauer Marketingpreis ausgezeichnet und ist inzwischen bundesweit erhältlich.

 

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