Mehrwertsteuer: „Es geht ums Überleben!"

Gastronom Matthias Schwer vom Gasthaus zum Kreuz in St. Märgen warnt vor den Folgen einer Mehrwertsteuererhöhung

Text: Stephan Fuhrer · Fotos: Dimitri Dell

Sieben oder 19 Prozent für Spätzle, Salat und Schnitzel? Das ist nicht nur eine steuerrechtliche Frage, sondern für viele Gastronomen im Land eine existenzielle. Denn nach Corona- und Energiekrise könnte diese Entscheidung, die die Bundesregierung bis Ende des Jahres treffen will, dafür sorgen, dass die Preise in unseren Gastwirtschaften schon wieder erhöht werden müssen. Wir haben bei einem Schwarzwälder Gastronom, bei Matthias Schwer vom Gasthaus zum Kreuz in Sankt Märgen, mal nachgefragt, was genau passieren würde, sollte sich Berlin für die Wiederanhebung der in Corona-Zeiten gesenkten Steuer entscheiden.

Matthias, die Gastro kämpft um den Erhalt der reduzierten Mehrwertsteuer auf Speisen. Warum ist das für die Branche so wichtig?

Ganz einfach: Weil es um die Zukunft geht. Wenn man’s genau nimmt, geht es sogar für viele von uns ums Überleben. Und auch der Zeitpunkt ist das Problem: erst Corona, dann die Energiekrise und die anhaltende Inflation. Dazu müssen die Corona-Hilfen schon wieder zurückbezahlt werden. Wenn wir jetzt nochmals 12 Prozent draufschlagen müssen – und das müssten wir mindestens –, bleiben viele Gäste endgültig weg. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

Wenn die Politik die Regelung zum reduzierten Mehrwertsteuersatz nicht verlängert – was wären bei dir im Haus die direkten Folgen?

Wie gesagt: Preiserhöhungen. Und zwar sofort. Und es geht ja nicht nur um die 12 Prozent. Im August lag die reale Inflation bei 6 Prozent, im September bei viereinhalb. Wenn wir daraus fünf machen, wären wir schon bei 17 Prozent. Für mich selber kann ich da eigentlich nichts mehr rausnehmen. Für Investitionen in die Zukunft, die es eigentlich bräuchte, wäre also kein Spielraum mehr drin. Und würden wir’s trotzdem machen, wären wir schon bei 20 Prozent.

Das dürfte dann die dritte oder vierte Preiserhöhung in Folge werden – und das in Zeiten, in denen Personal so knapp ist, dass man immer häufiger schließen muss.

Ganz genau. Dabei merken wir jetzt schon die ganzen Preisanpassungen aus den vergangenen Monaten. Die Gäste kommen zwar noch – zum Glück –, aber sie verzichten immer häufiger auf die Vorspeise oder das Dessert. Statt der Flasche Wein bestellen sie lieber ein Glas oder trinken gleich Bier oder Wasser. Die Leute sind definitiv zurückhaltender geworden.

Werden wir mal konkret: Was bleibt Euch vom Schnitzel mit Pommes für 18,50 Euro am Ende als Deckungsbeitrag?

Ein Zehntel. Also nicht mal ganz 2 Euro. Man darf ja nicht vergessen, dass wir auch an anderen Stellen mit höheren Kosten zu kämpfen haben. Die Löhne sind bei uns zuletzt um 20 Prozent gestiegen, die Energiekosten im Haus um 45 Prozent in zwölf Monaten. Wenn die Mehrwertsteuerreduzierung wegfällt, müssen wir über die 20-Euro-Marke hinaus – für ein Schweineschnitzel, wohlgemerkt. Wir reden hier nicht vom Kalb. Das ist schon saftig für die Gäste. Sollte die Sieben-Prozent-Regelung wegfallen, werden sich wahrscheinlich auch einige Wirte nicht trauen, die Preissteigerung weiterzugeben, was wiederum schwierig ist, weil sie sich zum einen selbst betrügen und zum anderen den Wettbewerb mit uns anderen verschärfen. Einen Spielraum sehe ich dabei nicht. Wir werden erhöhen müssen und am Ende kommen weniger Gäste. Genau so würde es sein. Punkt.

Eine Folge davon könnte dann wiederum sein, dass weitere Gasthäuser langfristig schließen werden. Einige hat es ja schon in der Pandemie erwischt. Müssen wir uns Sorgen machen, dass es die gute alte Dorfwirtschaft in der Region bald nicht mehr geben wird?

Ja, darüber muss man sich sowieso schon länger Sorgen machen. Und die Mehrwertsteuergeschichte wird das Wirtshaussterben eher noch beschleunigen. Zumal auch einige der Jungen, die gerade in den Startlöchern stehen, sich unter diesen Umständen die Frage stellen werden, ob sie sich das wirklich antun möchten. Und das ist besonders bitter, schließlich sind diese Gasthäuser ja auch wichtige gemeinschaftliche Orte, wo Geburtstage oder Taufen gefeiert werden, wo es Stammtische gibt, wo die Leute zusammenkommen. Man muss es schon so sagen, wie es ist: Das könnte bald ziemlich duster werden – gerade auf dem Land.

Kannst du jemandem erklären, warum auf den Big Mac mitsamt Verpackungsmüll aus dem McDrive nur 7 Prozent abzuführen sind, aufs Schulessen für Kinder dagegen wieder 19 Prozent, auf Tiernahrung 7 und auf den Salat bei euch künftig wieder 19?

Nein, das kann keiner. Wahrscheinlich nicht mal die Politik selbst. Aber das ist ein guter Punkt, weil er zeigt, dass etwa große Ketten, die logistisch gut aufgestellt sind, da klar im Vorteil sind gegenüber kleinen Familienbetrieben wie uns. Und wenn man ehrlich ist, war diese Regelung schon immer an den Haaren herbeigezogen. In diesen Zeiten noch mal mehr. Warum muss der Gast eigentlich mehr zahlen, wenn er sein Essen auf einem richtigen Teller bekommt und damit in einer Plastikschale weniger? Weil der Mehrwert ist, dass sein Essen an den Platz gebracht wird? Und warum wird es für Fast-Food-Betriebe einfacher als für die, die handwerklich besser zubereitete und entsprechend auch gesündere Speisen anbieten? Das ist doch alles Quatsch!

Das sieht man auch in unseren Nachbarländern so.

Ja, in 23 von 27 EU-Mitgliedsstaaten, um genau zu sein. In den touristischen Ländern sowieso, mit Ausnahme Dänemarks. Dort gilt überall ein niedriger Satz in der Gastronomie.

Wie sähe eine gerechte Regelung aus?

Ich zahle im Lebensmitteleinkauf 7 Prozent Mehrwertsteuer – und die gebe ich an die Kundschaft genau so weiter. Das fände ich gerecht.

Wie ist die Stimmung eigentlich derzeit unter den Schwarzwälder Gastronomen? Tauscht ihr euch in diesen schwierigeren Zeiten mehr aus als früher?

Das machen wir in unserer Generation ohnehin, aber derzeit noch mal mehr. Also ja. Der Fachkräftemangel und die Mehrwertsteuerregelung sind für uns die ganz großen Themen, und bei der Steuersache kenne ich keinen einzigen, der es anders sieht als ich. Ist auch ganz klar, denn noch mal: Es geht hier nicht nur um ein paar Euro mehr oder weniger in unseren Taschen. Es geht hier um unsere Existenzen!

Die Krise schweißt also auch zusammen?

Auf jeden Fall. Und wir sind uns durch unseren Austausch auch bewusst geworden, dass wir für unsere Arbeit, die wir täglich leisten, auch mal zusammen einstehen müssen. In Deutschland heißt es immer, man sei stolz auf unsere Autobauer und auf unsere Industrie. Man darf aber auch mal mindestens genauso stolz auf unsere Gastronomen und ihre Mitarbeiter sein. Was wir seit jeher mit unseren Familien – und es sind in der Regel ja meist kleine Familienbetriebe – und wenig Mitteln so auf die Beine stellen, wird nicht immer gewürdigt.

Das war in der Corona-Zeit auch schon ein Thema.

Richtig. Wenn man von der Politik immer nur gesagt bekommt, man sei eben nicht systemrelevant, ist das nicht sonderlich wertschätzend. Schließlich ist jeder Betrieb, der in einem Land seinen Beitrag leistet, auf die ein oder andere Weise systemrelevant. Das zu verneinen hat schon wehgetan. Und was manche Politiker jetzt zum Thema Mehrwertsteuer von sich geben, ist nicht viel besser. Es ist aber auch so, dass uns viele in diesen Tagen unterstützen. Und das wissen wir auch sehr zu schätzen.

Ihr habt jetzt euer zweites Kind bekommen. Die wichtigste Voraussetzung für eine Zukunft der Familie im Kreuz ist also gegeben. Aber glaubst du daran, dass deine Kinder hier mal irgendwann weitermachen?

Wir hoffen es! Und bis dahin geht ja auch noch einige Zeit ins Land. Doch auch hier zählt: Wenn unsere Kinder später mal eine Chance haben sollen, dann müssen auch die Betriebe gut sein! Dann braucht es Investitionen, es darf keine riesigen Sanierungsstaus geben! Sonst überlegen sich’s die Nachfolger zehnmal, ob sie die runtergekommenen Betriebe ihrer Eltern übernehmen. Unser Haus zum Beispiel ist mehr als 100 Jahre alt, ein schönes altes Schwarzwaldhaus. Da gibt es immer was zu tun, da müssen wir dranbleiben. Wir wollen ja auch nicht nur meckern, sondern anpacken. Aber man muss uns halt auch anpacken lassen …

Matthias Schwer und sein Kreuz

Matthias Schwer, 34, hat in diesem Jahr das St. Märgener Gasthaus zum Kreuz von seinen Eltern übernommen, nachdem er zuletzt einige Jahre zusammen mit Papa Bernhard am Herd stand. Seine Küche ist modern, weltoffen und trotzdem traditionsbewusst. Das Bodenständige hat er von zu Haus (sogar der Schinken wird im Kreuz noch selbst geräuchert), die Innovationen von seinen Stationen in Kirchzarten, Freiburg, Samnaun und Bergisch Gladbach.

Matthias ist Teil der Next Generation aus dem Hochschwarzwald. Vielleicht kennt Ihr ihn ja auch schon aus unserem Buch „Heimatküche“, das im vergangenen Jahr zusammen mit den jungen Wilden entstanden ist?

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