Ein Engel für Durstige

Wer am Glühweinstand arbeitet, muss schnell sein, den Überblick behalten und sollte rechnen können wie Albert Einstein. Unser Autor hat’s für Euch mal ausprobiert

Text: Pascal Cames Fotos: Maxi Höck

Deutschland liebt Glühwein. Mit elf Prozent im Glas lässt man das Jahr ausklingen. Selig. Aber wie geht’s den Leuten am Stand? Das ist mein Grund für ein „Praktikum“ bei Benjamin „Benni“ Buhmanns Glühweinund Striebele-Stand auf dem Freiburger Weihnachtsmarkt.

ZAPFEN IST AUCH EINE KUNST

Braucht’s als Praktikant besondere Fähigkeiten? Oder reichen das kleine Einmaleins und keine zwei linken Hände? Benni (38) zeigt mir, wie’s geht: Geschäftig, aber ruhig zapft er einen Glühwein nach dem anderen. Wie jeder Profi arbeitet er nur scheinbar langsam. Alles sitzt, keine Bewegung ist zu viel. Dazu ist er freundlich und bestimmend. Zapfen ist eine Kunst, stelle ich fest. Zuerst fließt der Wein in einen Messkrug. Das macht man, weil Glühwein wie Bier schäumt. Und idealerweise ist im Messkrug so viel Glühwein, dass es keine Reste gibt, wenn jeder Becher gefüllt ist.
Im Wagen leuchten kleine Lampen, die Mitarbeiterinnen tragen Mütze mit roten Bollen. Ein großes Schild verkündet: Glühwein und Striebele. Für die Striebele sind zwei bullige Kerle verantwortlich. Die müssen nur eine Portion nach der anderen frittieren. Drei oder vier gleichzeitig machen geht nicht. Beim Glühwein aber wird genau das erwartet. Wer sich riesige Töpfe über Gasflammen vorstellt, wird enttäuscht sein. Der heiße Stoff kommt fertig gewürzt auf 75 Grad temperiert aus dem Automaten. Bennis Stand hat zwei Zapfsäulen. Insgesamt hat der Wagen um die zwölf Quadratmeter Fläche, wobei drei Viertel vielleicht mit Theke, Schränken, Ablagen etc. zugebaut sind. Je nach Uhrzeit schaffen sechs bis zehn Leute. Einer zapft, einer kassiert. Das klingt so einfach. Beim Blick aufs Angebot wird aber schnell klar: Es ist nicht einfach. Neben Glühwein in rot, weiß und rosé haben wir noch Punsch und heißen Apfelsaft. Auf Wunsch gibt es einen Schuss Aperol, Limoncello oder Amaretto – mehr Alkohol ist in Freiburg nicht erwünscht, man will es fröhlich, aber nicht feuchtfröhlich. Das Pfand beträgt drei Euro.

WO IST VORNE, WO IST HINTEN?

Halten wir fest: Drei Produkte mit jeweils einem Preis, zwei Produkte, die etwas billiger sind, dann der Schuss Alkohol extra, der auch extra kostet, sowie das Pfand. Was kostet ein Punsch mit Schuss und Pfand? Was kostet ein Glühwein mit Schuss ohne Pfand? Was kosten fünf Glühweine, wenn drei Gläser zurückgebracht werden? Damit es schnell und korrekt geht, sind überall Listen aufgeklebt, auf denen diePreise für einen, zwei oder drei Glühweine stehen, mit und ohne Pfand, mit und ohne Schuss. Idealerweise zapft man immer etwas mehr, als man müsste. Warum? Benni erklärt’s: Zufriedene Kunden kommen wieder. Und noch etwas ist wichtig: Die Gläser werden aus hygienischen Gründen nie am Glasrand angefasst, sondern immer darunter. Der Henkel muss immer zum Gast schauen. So kann er seinen Becher bequem nehmen. Logisch. Wo vorne und hinten ist, ist mir im Prinzip auch klar. Trotzdem stelle ich die Gläser fast schon manisch falsch hin, fällt Kollegin Katharina auf. Ah, sorry. Alles gut. Oh, schon wieder. Kein Problem! Manche sagen: „Zwei Glühwein bitte“. Gegenfrage: Rot? „Zwei Glühwein bitte.“ Dann ist klar, hier steht jemand, der mit klassischem Glühwein groß geworden ist. Die nächsten Kunden sind schon präziser, zwei weiß, ein Rosé oder dreimal rot und ein Glühwein mit Aperol. Aus „zapf halt mol“ wird Akkordarbeit.

WIR HABEN EINEN SUPER JOB

Keiner sagt, „Pascal, schneller!“ Oder: „Pascal, du bist zu langsam!“ Einmal schaffe ich es, genau so viel Glühwein in den Messbecher zu füllen, wie für den Trinkbecher gebraucht wird. Ich schaffe es. Ich schaff es nicht. Wie im richtigen Leben. „Wir haben einen super Job“, sagt Katharina dazu. „Alle sind freundlich, alle haben gute Laune.“ Ich wechsle zur Kasse. Zahlen bitte! Aber so harsch sagt’s keiner. Man sagt den Betrag und nimmt das Geld. Erst, wenn das Wechselgeld raus ist, wird der Schein (meistens ist es ein Schein) in die Kasse gesteckt. (Schrecklich, wenn die Scheine zu sehr gefaltet wurden und ganz verknittert sind. Das kostet alles Zeit!)

DAS PFAND NICHT VERGESSEN! Zwei Rote. 15 Euro bitte. Zwei Rote, ein Weißer mit Pfand. Macht 22,50 Euro bitte. Zwei Weiße mit Schuss. 13 Euro. Zwei Rote, ein Rosé und ein Punsch, aber ohne Pfand. 17,50 Euro. Aber dann. Drei Gläser werden zurückgebracht und fünf geordert. Okay, ich mache es so wie mir empfohlen: Ich gebe neun Euro zurück und kassiere 22,50 Euro. Es wird akzeptiert, keiner verlangt von mir den Albert Einstein. Uff! Je mehr es gegen sechs Uhr geht, desto mehr Leute. „Herr Finanzminister“, ruft mich ein Schweizer Tourist. Gegen sieben Uhr erhöht sich die Schlagzahl nochmals. Pfand nicht vergessen, sagen Katharina und Benni gleichzeitig. Ja genau, das Pfand! Dafür brauche ich einen siebten Sinn, oder Augen am Hinterkopf. Die Schlange wartet schon. Um den Vorrat an Münzen zu schonen, sage ich zu den Leuten mit drei Gläsern: „Geben Sie mir einen Euro und ich gebe Ihnen einen Zehner.“ Ja, das klingt gut. Alle freuen sich über den Schein, als hätten sie diesen gerade von mir geschenkt bekommen. Katharina lacht. Das sei immer so, sagt sie. Aber es ist ja ihr eigenes Geld. Ja genau, sage ich und weiß, ich bin auch so einer, der sich über das Pfandgeld freut, obwohl es mir gehört. Aber ich muss hier aufhören, vorne wird schon wieder bestellt. An diesem Tag bin ich für einige Freiburger der Held. Ich kann zwar den Glühwein exakt einfüllen, aber beim „mit Schuss“ versage ich. Ich mein’s zu gut. Als der Limoncello- Trinker seinen Glasbecher zurückbringt, lächelt er schon sehr, sehr selig. Und überhaupt: So viel gute Laune wie heute habe ich selten erlebt. Superlecker! Wie immer der Beste! Lecker! Den Leuten schmeckt’s. Und wie schmeckt mir der Glühwein? Ehrlich gesagt, ich bin kein Fan. Aus Gründen habe ich in meinem Leben noch keine zehn getrunken.

Aber ich bin ein Fan von Benni, Katharina, Samira und den Striebele-Boys. Alle haben sie Durst und Hunger, und Bennis Mannschaft liefert einfach und ist mit Spaß an der Freude dabei. Alle sind sie vom Hashtag #lovemyjob.

WEIHNACHTSMÄRKTE IM SCHWARZWALD UND ELSASS

BÄRIG! BAD RIPPOLDSAU-SCHAPBACH

Während die Bären in ihrer Winterruhe sind, erwacht am 13. und 14. Dezember der alternative Wolf- und Bärenpark zur Bärenweihnacht. Fackelwanderungen, Theatererlebnisse, Tombola für den guten Zweck und liebevoll dekorierte Stände sorgen für ein stimmungsvolles Wintererlebnis.

GLANZVOLLES BADEN-BADEN

Vor dem Kurhaus erstrahlt Baden-Baden vom 27. November bis zum 6. Januar im Glanz des Christkindelsmarkts. Zwischen Kunsthandwerk und Lichterglanz locken auch exklusive Gourmet-Iglus. Und Sommelière Natalie Lumpp kürt erneut die besten Glühweine des Jahres.

ADEL VERPFLICHTET: DONAUESCHINGEN

Im festlich geschmückten Marstall des Fürstenberg'schen Schlosses entfaltet sich vom 27. bis 30. November eine stimmungsvolle Weihnachtswelt. Delikatessen und Musik treffen auf Märchenerzähler, Zauberer und den Nikolaus – ein ganz besonderes Erlebnis für die ganze Familie.

IN HORNBERG LEUCHTET DAS VIADUKT

Der Hornberger Weihnachtsmarkt findet am 5. und 6. Dezember erstmals unter dem festlich beleuchteten, 100 Jahre alten Viadukt statt. Ein Geheimtipp für alle, denen der Weihnachtsmarkt in der Ravennaschlucht (ebenfalls unter einem Viadukt) zu voll ist oder die keine Karten mehr bekommen haben.

HANDGEMACHTES IN KAYSERSBERG Zwischen der Burgruine und dem Lichterglanz der Fachwerkstadt verzaubert an den vier Adventswochenenden der Weihnachtsmarkt in Kaysersberg im Elsass. Die handverlesenen Händler kommen aus ganz Frankreich – „made in China“ soll man hier nicht finden.

#heimat Schwarzwald Ausgabe 51 (4/2025)

Die Winterausgabe ist da – und bringt alles mit, was diese Jahreszeit im Schwarzwald so besonders macht: Glühwein an kalten Fingern, leise knirschenden Schnee und Geschichten, die wärmer machen als jede Sauna.

In dieser Ausgabe begleiten wir unseren Reporter mitten hinein in den Freiburger Weihnachtsmarkt, wo er zwischen Striebele, Schlangen und Schmunzlern Glühwein zapft, bis die Brille beschlägt. Außerdem tauchen wir ein in die neue „Marie-Mania“: Die kleine Schwarzwald-Marie reist weiter um die Welt, sorgt für Kultmomente – und für jede Menge Herzklopfen bei Sammlern.

Dazu gibt’s wie immer Genuss, Handwerk, Rezepte und jede Menge Schwarzwald zum Wegträumen. Ein Heft zum Einmummeln, Durchblättern und Dableiben.

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Aktuelles

Wir haben die Schwarzwald Marie von Playmobil!

Die zweite Auflage der Schwarzwald Marie von Playmobil ist da – Ihr könnt euch bei uns die begehrte Figur noch vor Weihnachten sichern. Und dabei auch...
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