Backhaus Möttlingen Tradition und Holzofenbrot

Backhaus Möttlingen: Elfriede und Elsi halten die Schwarzwälder Backtradition mit Holzofen, Kursen und viel Herz am Leben.

Text: Alexandra Monsch · Fotos: Jigal Fichtner

Backhäuser gehörten früher zu jedem Schwarzwalddorf wie Kirche und Brunnen. Gebaut aus dicken Steinen, mit schweren Türen und rußgeschwärzten Dächern, standen sie meist am Ortsrand, als Ort für Brot und Begegnungen. Wer kein eigenes Backrecht hatte, brachte seinen Teig hierher, backte, wartete und tauschte Neuigkeiten aus. Heute sind diese Häuschen oft verriegelt, mit Spinnweben im Ofen und feuchten Rissen in der Wand. Manche aber rauchen noch, man muss nur wissen, wann. In Möttlingen bei Bad Liebenzell im Nördlichen Schwarzwald ist heute so ein Abend. Die Tür steht einen Spalt offen, drinnen herrscht geschäftiges Treiben. Draußen am Türrahmen steht Elfriede Heeskens.

Elfriede und Elsi – die Hüterinnen des Backhauses

„Jetzt aber schnell!“, ruft sie und wir stolpern samt Kamera und Rührschüsseln hinein. Im Innern riecht es nach Hefe und ein bisschen wie bei Oma – nur mit mehr Rauch. Die Schürze wird übergeworfen, die Hände gewaschen, und ehe wir ganz realisieren, wo wir hier gelandet sind, sind wir auch schon mitten im Geschehen. Was die Gemeinde in ihrem Event-Angebot „Backkurs“ nennt, ist in Wahrheit ein kleines Zeitloch. Und zwar mit Teig, Feuerholz und Geschichten, die man nicht googeln kann …

Die anderen Teilnehmerinnen sind schon da. Eine bunt gemischte Truppe, irgendwo zwischen Ende zwanzig und siebzig, alle mit neugierigen Blicken. Während Elfriede den Ablauf erklärt, steht neben dem Ofen schon ihre Mitstreiterin Elsi. Diese schürt gerade das Feuer. Trockenes Holz und ein prüfender Blick – sie braucht kein Thermometer, sie weiß auch so, wann der Ofen „so wit isch“.

Von Zuckerkuchen bis Apfelflammkuchen – der Kursabend

Platz im Backhäuschen gefunden. Wir haben zwei Stunden Zeit. Genauer gesagt: eine zum Vorbereiten, eine zum Backen. Die erste Stunde fliegt. Mehl abwiegen, Äpfel schälen, Zwiebeln schnippeln, Teig kneten. Apfelflammkuchen, Zuckerkuchen, Zwiebelkuchen, Bauernbrot – all das soll heute aus dem Ofen kommen. Es wird gelacht, geschnauft, probiert. Die Stimmung liegt irgendwo zwischen Ferienlager und Küchenparty. „Des muss gscheit g'walkt sei!“, ruft Elfriede. Die 90-jährige Elsi hantiert inzwischen ruhig mit einem der Brotteige, als hätte sie es im Schlaf geübt. Ihre Hände sind kräftig, die Bewegungen fließend, und sie schwäbelt so sehr, dass man auch als Einheimischer genauer hinhören muss, wenn man ihr folgen möchte. „So henn mers halt immer gmacht“, murmelt sie, während sie einen Brotteig zuerst mit schnellen Bewegungen formt und dann in den Korb verfrachtet. Alle wechseln sich ab. Apfelschnitze werden kunstvoll gelegt, Zwiebelmasse verteilt, Teige ausgerollt. Zwölf Kuchen sollen es am Ende werden, und all das bei kuscheligen Backhaus-Temperaturen. Der Ofen heizt, der Brotteig gärt weiter, und spätestens jetzt tropft auch der Letzten der Schweiß von der Stirn. Nicht schlimm. Die Wärme hier im Häuschen kommt nämlich nicht nur vom Ofen.

Geschichten, Tradition & Gemeinschaft

Das Backhaus selbst ist klein und von außen sehr unscheinbar. Zwei Räume, ein paar Tische an den Wänden, Körbe gestapelt bis zur Decke. Im zweiten Raum steht ein kleines Waschbecken, daneben ein Wagen, auf dem später alle fertigen Kuchenbleche zu dem Ofen geschoben werden. „Wenn hier noch zwei Leut' mehr rein wollt’ – wird’s eng“, erzählt Elfriede. „Andere Backhäuser sind sogar noch kleiner.“

Im Mittelpunkt: der große Ofen aus Schamottstein. Er schluckt bis zu vierzig Laibe Brot oder etwa fünfzehn Kuchenbleche – vorausgesetzt, man weiß, wie man’s einteilt. Elfriede und Elsi wissen das. „Früher war das selbstverständlich“, erzählt Elfriede. „Da kamen die Dorfbewohner alle 14 Tage von überall aus dem Ort und backten ihre Brote: Bauern, Hausfrauen – die hatten Holz, Zeit, Routine.“ Wenn ihnen das Brot ausging, ging es von vorne los. Heute ist das anders. „Die Frauen arbeiten, der Alltag ist voller geworden, und außerdem kann man Brot auch überall kaufen.“ Elfriede selbst war Erzieherin in einem Waldkindergarten, bevor sie vor sieben Jahren in den Ruhestand ging. Als sie mit ihrer Familie wieder zurück in den Ort zog, fand sie im Elternhaus die alten Backutensilien der bereits verstorbenen Mutter. „Etwas flammte dabei in mir auf.“ Und das Backhaus stand still. Wo früher täglich gebacken wurde, vergingen plötzlich Wochen ohne einen Funken im Ofen. „Ich dachte: Das kann doch nicht sein!“, erzählt sie. „Also habe ich angefangen, mich zu kümmern. Ich wollte, dass das hier wieder ein Ort wird, wo Leute zusammenkommen. Wo Tradition nicht nur angeschaut, sondern gelebt wird.“

Der Start war mühsam. Werbung, Genehmigungen, Versicherungen – und vor allem: Geduld. Dass sie damals im Ortschaftsrat war, half etwas mit. Doch heute kommen Menschen aus der ganzen Region. Manche reisen sogar aus weiter entfernten Orten wie Heidelberg oder Mainz an, mieten sich in eine Ferienwohnung und verbringen ein Wochenende rund ums Backen. Besonders beliebt: Geburtstagskurse oder Firmenevents. Heute ist sie Gastgeberin, Handwerkerin, immer Herzstück des Hauses.

Während Elsi noch einmal den Ofen überprüft, füllt sich der Wagen mit den fertigen Kuchen. Jeder von ihnen ist ein Unikat: Mal sind die Apfelschnitze akkurat drapiert, mal wilder verteilt. Beim Zwiebelkuchen dominiert entweder

Zwiebel oder Sahne – je nachdem, wer gerade angerührt hat. Alles Handarbeit, alles echt. Kleine Fehler sind kein Thema. „Wenn’s net perfekt isch – macht nix“, sagt Elfriede. „Solang’s schmeckt.“ Dann geht’s ans Brot.  Jede darf einen eigenen Laib formen, mit verschiedenen Mustern, Initialen oder einfach nach Bauchgefühl.

Währenddessen erzählt Elsi, wie sie den Teig vorbereitet hat: Schon am Vorabend wurde der Vorteig angesetzt – ein Becher Buttermilch oder Sauermilch vermischt mit gekochten, zerdrückten Kartoffeln und einem halben Würfel Hefe. Wer möchte, kann noch etwas Roggenmehl dazugeben. Der Teig durfte dann über Nacht stehen und wurde am Morgen einmal umgerührt, dann fünf Stunden lang in Ruhe gelassen. Später dann kam der Hauptteig dazu: 2 Kilo Weizen- oder Dinkelmehl, rund 800 Milliliter Wasser und anderthalb Esslöffel Salz, alles kräftig verknetet und erneut für anderthalb Stunden gehengelassen.

Der große Ofenschieber wird reihum gereicht und vorsichtig schiebt jede ihren Teigklops ins heiße Herz des Hauses. 30 Brote sollen es werden. Der Duft, der sich jetzt ausbreitet, ist schwer zu beschreiben: warm, würzig? Himmlisch? Er erinnert irgendwie an Kindheit.

Am Ende wird alles gut

Unsere beiden Kursleiterinnen schneiden die ersten fertigen Kuchen an. Es wird probiert und gequatscht. Alle sind hungrig von der Arbeit – aber auch glücklich und stolz. Elfriede erzählt von früher, von ihrer Mutter, deren altes Backzubehör sie bis heute benutzt. Es war mehr als nur nostalgisches Erbstück: Es brachte sie mit auf die Idee. „Ich war schon immer ein bisschen alternativ“, sagt sie und lacht. „Holz im Wald sammeln, den Acker bepflanzen, ein Ofen mit Holzfeuer – das war einfach mein Ding.“ Und auch beim Backen blieb sie ihrer Linie treu: nachhaltig, einfach, handgemacht. Auch die 90-jährige Elsi hat hat ihre eigene Geschichte. Als junges Mädchen musste sie Mama daheim beim Backen helfen. „Man hat’s halt gemacht“, sagt sie. Irgendwann drehte sich ihr ganzes Leben nur noch ums Backen. Als sie für die Kurverwaltung in Bad Liebenzell gebacken hat, kamen ganze Busladungen von Kurgästen, die ihr beim Zubereiten zusahen. Heute teilt sie ihr Wissen im kleineren Kreis. Ganz aufgeben möchte sie es aber nicht, zumindest noch nicht.

Die Geschichten dauern so lange an, dass der Gedanke an das Brot im Ofen immer weiter in die Ferne rückt. „Mist!“ ruft Elfriede schließlich, und die Rentnerinnen hasten zum großen Ofen. Ein paar der Laibe sind etwas zu dunkel geworden. „A weng schwärzer halt“, meint Elfriede lakonisch, „des gibt halt Kruscht’!“ Niemand nimmt’s ihr krumm. Die Teilnehmerinnen sind zu beschäftigt mit Kuchenverkostungen.

Wieder zum Leben erweckt!

Dass in Möttlingen wieder der Ofen raucht, ist kein Zufall. Es ist das Werk zweier Frauen, die nicht nur wissen, wie man einen Brotteig zum Gehen bringt, sondern auch, wie man ein Dorf belebt. So ist das Backhaus in Möttlingen heute mehr als nur ein Ort zum Backen. Es ist Treffpunkt der Dorfmitglieder, die beim „Offenen Backen“ mitmachen, ein Versammlungsort für Backkurse, Zeitmaschine und Heimatlabor zugleich. Wer also einmal die Möglichkeit hat, nach Möttlingen zu kommen und an einem Kurs teilzunehmen, versteht sofort: Das hier ist kein Retro-Event – sondern das echte Leben im Schwarzwald. Und weil Gutes geteilt werden will, folgen nun die Rezepte der Kuchen und Brote, die an diesem Abend gebacken wurden – handgemacht, von uns erprobt und mit Liebe serviert.

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Außerdem waren wir bei der Verleihung des Kuckuck-Awards dabei. Danke an alle, die für ihre Genusshelden abgestimmt haben! Wir freuen uns darauf, Gastgebern, Köchen und anderen Genusshandwerkern noch viele Ausgaben weiter eine Bühne zu bieten. Seid dabei!

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