Geschichten, Tradition & Gemeinschaft
Das Backhaus selbst ist klein und von außen sehr unscheinbar. Zwei Räume, ein paar Tische an den Wänden, Körbe gestapelt bis zur Decke. Im zweiten Raum steht ein kleines Waschbecken, daneben ein Wagen, auf dem später alle fertigen Kuchenbleche zu dem Ofen geschoben werden. „Wenn hier noch zwei Leut' mehr rein wollt’ – wird’s eng“, erzählt Elfriede. „Andere Backhäuser sind sogar noch kleiner.“
Im Mittelpunkt: der große Ofen aus Schamottstein. Er schluckt bis zu vierzig Laibe Brot oder etwa fünfzehn Kuchenbleche – vorausgesetzt, man weiß, wie man’s einteilt. Elfriede und Elsi wissen das. „Früher war das selbstverständlich“, erzählt Elfriede. „Da kamen die Dorfbewohner alle 14 Tage von überall aus dem Ort und backten ihre Brote: Bauern, Hausfrauen – die hatten Holz, Zeit, Routine.“ Wenn ihnen das Brot ausging, ging es von vorne los. Heute ist das anders. „Die Frauen arbeiten, der Alltag ist voller geworden, und außerdem kann man Brot auch überall kaufen.“ Elfriede selbst war Erzieherin in einem Waldkindergarten, bevor sie vor sieben Jahren in den Ruhestand ging. Als sie mit ihrer Familie wieder zurück in den Ort zog, fand sie im Elternhaus die alten Backutensilien der bereits verstorbenen Mutter. „Etwas flammte dabei in mir auf.“ Und das Backhaus stand still. Wo früher täglich gebacken wurde, vergingen plötzlich Wochen ohne einen Funken im Ofen. „Ich dachte: Das kann doch nicht sein!“, erzählt sie. „Also habe ich angefangen, mich zu kümmern. Ich wollte, dass das hier wieder ein Ort wird, wo Leute zusammenkommen. Wo Tradition nicht nur angeschaut, sondern gelebt wird.“
Der Start war mühsam. Werbung, Genehmigungen, Versicherungen – und vor allem: Geduld. Dass sie damals im Ortschaftsrat war, half etwas mit. Doch heute kommen Menschen aus der ganzen Region. Manche reisen sogar aus weiter entfernten Orten wie Heidelberg oder Mainz an, mieten sich in eine Ferienwohnung und verbringen ein Wochenende rund ums Backen. Besonders beliebt: Geburtstagskurse oder Firmenevents. Heute ist sie Gastgeberin, Handwerkerin, immer Herzstück des Hauses.
Während Elsi noch einmal den Ofen überprüft, füllt sich der Wagen mit den fertigen Kuchen. Jeder von ihnen ist ein Unikat: Mal sind die Apfelschnitze akkurat drapiert, mal wilder verteilt. Beim Zwiebelkuchen dominiert entweder
Zwiebel oder Sahne – je nachdem, wer gerade angerührt hat. Alles Handarbeit, alles echt. Kleine Fehler sind kein Thema. „Wenn’s net perfekt isch – macht nix“, sagt Elfriede. „Solang’s schmeckt.“ Dann geht’s ans Brot. Jede darf einen eigenen Laib formen, mit verschiedenen Mustern, Initialen oder einfach nach Bauchgefühl.
Währenddessen erzählt Elsi, wie sie den Teig vorbereitet hat: Schon am Vorabend wurde der Vorteig angesetzt – ein Becher Buttermilch oder Sauermilch vermischt mit gekochten, zerdrückten Kartoffeln und einem halben Würfel Hefe. Wer möchte, kann noch etwas Roggenmehl dazugeben. Der Teig durfte dann über Nacht stehen und wurde am Morgen einmal umgerührt, dann fünf Stunden lang in Ruhe gelassen. Später dann kam der Hauptteig dazu: 2 Kilo Weizen- oder Dinkelmehl, rund 800 Milliliter Wasser und anderthalb Esslöffel Salz, alles kräftig verknetet und erneut für anderthalb Stunden gehengelassen.
Der große Ofenschieber wird reihum gereicht und vorsichtig schiebt jede ihren Teigklops ins heiße Herz des Hauses. 30 Brote sollen es werden. Der Duft, der sich jetzt ausbreitet, ist schwer zu beschreiben: warm, würzig? Himmlisch? Er erinnert irgendwie an Kindheit.
Am Ende wird alles gut
Unsere beiden Kursleiterinnen schneiden die ersten fertigen Kuchen an. Es wird probiert und gequatscht. Alle sind hungrig von der Arbeit – aber auch glücklich und stolz. Elfriede erzählt von früher, von ihrer Mutter, deren altes Backzubehör sie bis heute benutzt. Es war mehr als nur nostalgisches Erbstück: Es brachte sie mit auf die Idee. „Ich war schon immer ein bisschen alternativ“, sagt sie und lacht. „Holz im Wald sammeln, den Acker bepflanzen, ein Ofen mit Holzfeuer – das war einfach mein Ding.“ Und auch beim Backen blieb sie ihrer Linie treu: nachhaltig, einfach, handgemacht. Auch die 90-jährige Elsi hat hat ihre eigene Geschichte. Als junges Mädchen musste sie Mama daheim beim Backen helfen. „Man hat’s halt gemacht“, sagt sie. Irgendwann drehte sich ihr ganzes Leben nur noch ums Backen. Als sie für die Kurverwaltung in Bad Liebenzell gebacken hat, kamen ganze Busladungen von Kurgästen, die ihr beim Zubereiten zusahen. Heute teilt sie ihr Wissen im kleineren Kreis. Ganz aufgeben möchte sie es aber nicht, zumindest noch nicht.
Die Geschichten dauern so lange an, dass der Gedanke an das Brot im Ofen immer weiter in die Ferne rückt. „Mist!“ ruft Elfriede schließlich, und die Rentnerinnen hasten zum großen Ofen. Ein paar der Laibe sind etwas zu dunkel geworden. „A weng schwärzer halt“, meint Elfriede lakonisch, „des gibt halt Kruscht’!“ Niemand nimmt’s ihr krumm. Die Teilnehmerinnen sind zu beschäftigt mit Kuchenverkostungen.