10 Jahre Nationalpark Schwarzwald!

Der Nationalpark Schwarzwald feiert seinen 10. Geburtstag. Aber: Ist der Schwarzwald durch ihn schon wilder geworden?

Text: Jana Zahner Fotos: Charly Ebel/Nationalpark Schwarzwald

Wald, Wald, Wald, so weit das Auge reicht. Wer im Nordschwarzwald irgendwo zwischen Bühl und Oppenau einen Aussichtsturm oder einen der vielen Gipfel erklimmt, der hat von dort oben Schwierigkeiten, den Nationalpark Schwarzwald vor lauter Bäumen zu erkennen. Kein Wunder, wird er doch vollständig vom Naturpark Schwarzwald Mitte/Nord umschlossen. Zwei Schutzgebiete, die regelmäßig – und nicht nur von Touristen! – verwechselt werden. Also: Während Hauptaufgabe des Naturparks ist, die Schwarzwälder Kulturlandschaft zu erhalten, soll im Nationalpark Schwarzwald die Natur sich selbst überlassen werden. Zehn Jahre alt wird das bei seiner Gründung in der Region heiß umstrittene Naturschutzprojekt in diesem Jahr. Was hat sich seitdem getan und ist der zweitjüngste Nationalpark Deutschlands schon eine Spur wilder, wie es sein Motto verspricht? Wo die Holzplantage aufhört und die Wildnis anfängt, ist ohne Biologiestudium aber gar nicht so einfach zu beantworten. Wer mehr wissen will, muss eben auf die richtige Passhöhe steigen: zum Nationalparkzentrum Ruhestein in Baiersbronn, wo wir Wolfgang Schlund treffen … 

Ein Jahrzehnt, das ist in der Zeitrechnung der Natur nicht viel, denn ein Urwald braucht Jahrhunderte, um zu wachsen, weiß der Leiter des Nationalparks Schwarzwald: „Trotzdem können wir schon viel Positives entdecken und beobachten, wie der Wald ein bisschen wilder wird“, sagt Schlund. Wer mit Laienblick durch die Wälder rund um den Ruhestein bei Baiersbronn wandert, dem sticht vor allem eines ins Auge: Totholz. Vielerorts auf den licht bewachsenen Bergheiden, oder auch mitten im dichten Baumbestand stehen oder liegen abgestorbene oder umgeknickte Bäume und Wurzelteller, die wie bizarre Skulpturen wirken. Die heißen Sommer der vergangenen Jahre begünstigten eben die Ausbreitung des Borkenkäfers. Ist hier ein Waldsterben im Gange?

Der Borkenkäfer macht, was er will

Was an dieser Stelle noch wichtig zu wissen ist: Die rund 10 000 Hektar Nationalparkfläche sind noch längst nicht komplett sich selbst überlassen. Der Mensch zieht sich schrittweise zurück. Nur in den sogenannten Kernzonen, die aktuell etwas mehr als die Hälfte der Flächen ausmachen, darf die Natur schon machen, was sie will – und der Borkenkäfer ungehindert futtern. „14 Prozent der Kernzonen sind von Borkenkäferflächen dominiert“, sagt Wolfgang Schlund, überraschenderweise ganz gelassen. Damit der Erzfeind der Waldbesitzer nicht auf umliegende Wirtschaftswälder überspringt, gibt es Pufferzonen, in denen die Ausbreitung des Insekts kontrolliert wird. 

Im Nationalpark Schwarzwald, wo mit dem Holz kein Geld verdient werden soll, ist die Anwesenheit des Borkenkäfers keine schlechte Nachricht. Denn Bäume, die hier wegen Schädlingsbefall absterben oder vom Sturm gefällt werden, machen Platz für junge Nachfolger, erklärt der Nationalpark-
leiter. Pflanzen wie der leuchtend lila Fingerhut können besser wachsen, wenn mehr Licht auf den Waldboden fällt. Und: Der Schädling ist Lebensgrundlage. Etwa 300 Tiere ernähren sich vom Borkenkäfer, andere wiederum brauchen die befallenen und morschen Stämme, die normalerweise gefällt und weggeräumt werden würden, als Lebensraum.

Der Wald im Nationalpark stirbt also nicht, er baut um, bekommt die Chance, sich selbst an den Klimawandel anzupassen. Und das dauert. Lothar hat an manchen Stellen ein bisschen vorgespult: 1999 riss der Orkan tiefe Schneisen in den Wald. Auf den Holzstegen und Treppen des Lotharpfads an der Schwarzwaldhochstraße zwischen Schliffkopf und Alexanderschanze können Wanderer erkunden, welche blühenden Landschaften die Natur seit mehr als 20 Jahren aus dem Kahlschlag von damals macht. Eine Sneak Peek auf 100 Jahre Nationalpark gibt der Wilde See, denn der umliegende Wald wurde schon 1911 zum Bannwald, das älteste Naturreservat Baden-Württembergs. Dort wächst etwa die Zitronengelbe Tramete, ein europaweit gefährdeter Pilz. 

Kuckuck und Specht fühlen sich wohl

Der Nationalpark mausert sich außerdem zum Paradies für Vogelliebhaber: „Heute können wir hier Arten beobachten, die es vorher nicht gab – wie den Kuckuck oder den Schwarzstorch“, berichtet Wolfgang Schlund. Der Dreizehenspecht, eines der Aushängeschilder des Naturschutzprojekts, habe seinen Bestand im Nationalpark innerhalb eines Jahrzehnts verdoppelt. Ebenfalls wohl in seinem Refugium fühlt sich der Sperlingskauz, Europas kleinste heimische Eule. Wer es größer und wilder
mag: Rehe, Rothirsche und Wildschweine gibt es natürlich auch. Luchs und Wolf, die derzeit in Baden-Württemberg heimisch werden und ebenfalls vereinzelt durch den Nordschwarzwald streifen, könnte es ebenso irgendwann fest in den Nationalpark ziehen ...

Manche Tiere haben die Naturschützer selbst mit in das Naturreservat gebracht: In den Managementzonen weiden im Sommer Schafe, Rinder und halbwilde Konikpferde, damit die Grinden nicht zuwuchern und diese besonderen Lebensräume erhalten bleiben. Weidetiere machen den Nationalpark aber nicht zum Streichelzoo. Es ist verboten, die Wege zu verlassen oder Tieren nachzustellen. Wer auf eine wilde Begegnung mit Fuchs, Has’ und Co. in freier Natur hofft, muss einfach Glück haben ...

Gelegenheit, den Wald und seine Bewohner besser kennenzulernen, gibt es trotzdem: bei einer Rangerführung oder im Nationalparkzentrum am Ruhestein. Auch wegen seines verzögerten Starts während der Corona-Pandemie machte der imposante Bau nach der Fertigstellung erst einmal mit den explodierten Kosten von 50 Millionen Euro von sich reden – und mit einem Eintrag ins Schwarzbuch des Bunds der Steuerzahler. Seit drei Jahren hat das Besucherzentrum nun geöffnet. Und dass das Haus mit Schindeln aus heimischem Holz von außen wie von innen einiges hermacht, dürfte seitdem manchen Kritiker besänftigt haben. In der 1000 Quadratmeter großen multimedialen Dauerausstellung haben die Macher zudem das Kunststück geschafft, den Wald von sich selbst erzählen zu lassen – ohne Vermenschlichung und ohne erhobenen Zeigefinger. Wer zuvor schlechte Erfahrungen mit verstaubten Naturkundemuseen gemacht hat, kann sich vor dem Besuch online bei einem 360-Grad-Rundgang selbst ein Bild machen …

Apropos: Wie viele Leute kommen eigentlich? Seit 2019 hat der gesamte Nationalpark laut den Zählungen der Parkverwaltung jedes Jahr zwischen 700 000 und einer Million Besucher gezählt. Und beim Stichwort Tourismus kommt ein weiterer Player ins Spiel: die Nationalparkregion, ein Zusammenschluss aus an den Nationalpark angrenzenden Gemeinden, die sich gemeinsam vermarkten, damit das Schutzgebiet Übernachtungsgäste anlockt. Welchen Touristen die Sehnsucht nach Wildnis, welchen der Appetit auf Kulinarik dazu bringt, die Fahrt in den Nordschwarzwald anzutreten? Aussagekräftige Daten über die Zugkraft des Nationalparks sind bei 27 umliegenden Gemeinden in drei Landkreisen nicht gerade einfach zu erheben. Michael Ruf, der Bürgermeister von Baiersbronn, lobt jedenfalls den Nationalpark als „Besuchermagnet“. Frank Scherer, Landrat des Ortenaukreises, Aufsichtsrat der Schwarzwald-Tourismus GmbH und ebenfalls Nationalpark-Befürworter, sieht derweil noch Luft nach oben: „Ich finde, dass der touristische Effekt noch größer sein könnte.“

Nur: Wie viele Touristen verträgt eigentlich der Nationalpark Schwarzwald, in dem man die Natur schützen und zugleich Menschen von ihr begeistern will? „Wichtig ist ein cleveres Vorgehen – damit die Grenzen nach oben gar nicht spürbar werden“, sagt Wolfgang Schlund. So ziele etwa die Zusammenarbeit mit der Nationalparkregion und ihren vielfältigen touristischen Angeboten und Attraktionen auch darauf ab, Besucher ökologisch verträglich zu verteilen. Künftig soll zudem ein digitales Lenkungstool dabei helfen, beliebte Ausflugsorte wie den Lotharpfad zu entlasten.

Da soll was zusammenwachsen

Im US-amerikanischen Yellowstone, dem ältesten Nationalpark der Welt, droht Massentourismus mancherorts die Natur zu zerstören. Gäste, die Müll hinterlassen oder Bären auf die Pelle rücken, sind dort als „Tourons“, einer Mischung aus Tourist und Idiot, bekannt. Jemand hat ihnen einen eigenen Instagram-Kanal gewidmet. Mit solchen Bildern im Hinterkopf ist man eigentlich froh, dass mancher Bus, der sommers im Stundentakt den Ruhestein ansteuert, voller sein könnte und die Waldtiere scheu geblieben sind …

Wie geht es weiter? Die sogenannte Kernzone wird schrittweise bis 2044 auf drei Viertel der Gesamtfläche ausgeweitet. Insgesamt soll der Nationalpark Schwarzwald, einer der kleinsten der Welt, wachsen. Ziel ist, bis 2026 das südliche und nördliche Teilgebiet zu vereinen. „Ich persönlich bin da grundsätzlich offen“, sagt Landrat Frank Scherer.  „Allerdings ist es meines Erachtens sehr wichtig, dass dieser Schritt transparent diskutiert und vorbereitet wird und dabei auch klar herausgearbeitet wird, ob und wie die Region davon profitieren kann und wo es andererseits welche Einschränkungen geben wird. Das ist bisher noch nicht hinreichend passiert.“

Mit der geplanten Erweiterung brechen Konflikte wieder auf, die bereits vor der Gründung des Schutzgebietes zu Protesten und Streit geführt haben: etwa mit Waldbesitzern, die um ihre Existenz fürchten. Das Land Baden-Württemberg will für die Erweiterung Land von der Waldgenossenschaft Murgschifferschaft kaufen. Die will aber lieber den Tausch gegen ein größeres Waldstück. 

Wenn die Zusammenführung der beiden Nationalparkteile klappt, könnte der Forbacher Ortsteil Hundsbach von dem Schutzgebiet umschlossen werden – und diese Aussicht begeistert nicht alle Einwohner. Kürzlich ist die Nationalparkleitung mit Kritikern aus dem Ort in den bereits mehr als 50 Jahre alten Nationalpark Bayerischer Wald gefahren, um Ideen für ein besseres Zusammenleben zu bekommen. „Für mich ist wichtig: Was wir jetzt für Hundsbach erarbeiten, muss für den ganzen Park passen“, sagt Wolfgang Schlund. In der Diskussion sind etwa Wegsperrungen, wie die Anwohner an Brennholz kommen oder ob sie an ausgewiesenen Plätzen in Zukunft Pilze sammeln dürfen. 

Anwohner fremdeln noch

„Im Vergleich zur Gründungsphase ist die emotionale Lage heute deutlich entspannter, Kritiker und Befürworter haben gelernt miteinander zu leben“, findet Landrat Frank Scherer. Viele Ortenauer seien stolz auf den Nationalpark. Dennoch sei es noch nicht gänzlich gelungen, die Bevölkerung vor Ort umfassend mitzunehmen. Manches Mal spüre er da noch ein Fremdeln „mit den Naturschützern vom Nationalpark“.

Wolfgang Schlund und sein Team wollen in jedem Fall auch weiter Touristen und Anwohner für die Wildnis begeistern. Im Herbst soll im nördlichen Teilstück des Nationalparks, im ehemaligen Rossstall Herrenwies, ein weiteres kleineres Besucherzentrum eröffnen, mit einer Ausstellung zur besonderen Beziehung von Mensch und Natur im Schwarzwald.

Der Wunsch des Nationalparkleiters: Die Schwarzwälder sollen sich mit ihrem Nationalpark identifizieren. Und mit ein bisschen Aufklärungsarbeit können bis zum nächsten Jubiläum auch alle Nationalpark, Nationalparkregion und Naturpark auseinanderhalten …

#heimat Schwarzwald Ausgabe 43 (2/2024)

Wir in der #heimat-Redaktion können den Frühling kaum erwarten! Deswegen findet Ihr in dieser Ausgabe jede Menge Inspiration, wie Ihr Euch die wärmer werdenden Tage im Schwarzwald schön machen könnt – zum Beispiel inmitten von farbenprächtigen Blütenmeeren, in gemütlichen Cafés oder zu Hause mit leckeren Rezepten. Wer es eine Spur wilder mag: Wir nehmen Euch mit in den Nationalpark Schwarzwald, der seinen 10. Geburtstag feiert, treffen den Einrad-Mountainbiker Thomas Trück aus Baiersbronn und lernen den Schramberger Hobby-Neandertaler Markus Klek kennen. Aus aktuellem Anlass haben wir außerdem mit einer jungen Bäuerin aus Furtwangen darüber gesprochen, warum sie trotz aller Schwierigkeiten für ihren Beruf brennt – und was es braucht, damit die Landwirtschaft, die unseren Schwarzwald so sehr prägt, überleben kann.

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