Hästräger im Fensterrahmen
Schwer trägt der Kappedeschle aus Radolfzell. Er hat einen sperrigen Fensterrahmen auf seinen Schultern, denn er durfte – so erzählt es Hans-Jörg Kaufmann – während der Besetzung der Stadt durch preußisches Militär sein Häs nur durchs Fenster zeigen. Der Kappedeschle, nicht dumm, hing sich den Rahmen um den Hals und spazierte damit kostümiert durch die Stadt.
Der Narrenschopf bedient alle Sinne. Auf Knopfdruck ertönen Heischesprüche, Narrenmärsche und die Klänge der Klepperle. Streckschere, Narrenwurst und Rätsche können ausprobiert werden. Eine Schnitzstation zeigt, wie aufwändig die Herstellung einer Maske ist – und am Beispiel der Arbeiten des Villinger Schemenschnitzers Manfred Merz und seines Kollegen Willi Bucher, wie kunstvoll die Arbeit mit Stechbeitel und Lindenholz sein kann.
Das Museum ist auch ein Geschichtsbuch der Narretei. Seit der Neukonzeption 2012 ist die Narrenschar nicht mehr nach Fastnachtslandschaften geordnet, sondern zu Themen gegliedert, die Entstehung und Zusammenhänge des Brauchtums deutlich machen.
Fakt ist: Die Ursprünge der schwäbisch-alemannischen Fastnacht liegen nicht in grauer Vorzeit, als die Germanen mit Schellen, Rasseln und Karbatschen Winterdämonen vertrieben. Diese Deutung kam erst in der Wilhelminischen Zeit auf und wurden von den Nationalsozialisten protegiert, die die Fastnacht vereinnahmten, um von christlichen Traditionen abzulenken.
Die Fastnacht vs. Prinz Carneval
Die Fastnacht entspricht, wie der Karneval, dem christlichen Kalender. Fastnacht ist die Nacht vor dem vierzigtägigen Fasten, mit dem sich die Katholiken auf das Osterfest vorbereiten. Da im Spätmittelalter das Verbot fleischlicher Genüsse streng beachtet werden musste, wurde vorher über die Stränge geschlagen. Fastnacht und Karneval zeigten viele Jahre keine Unterschiede.
Dem aufgeklärten Bildungsbürgertum des 19. Jahrhunderts allerdings war die Fastnacht auf den Straßen viel zu derb; es feierte lieber mit Prinz Carneval und Hofstaat gepflegt im Saal oder hielt historisierende Umzüge ab. Eine Art Konterrevolution gegen den überhandnehmenden rheinischen Karneval fand Anfang des 20. Jahrhunderts statt: Traditionen wurden wiederentdeckt oder erfunden. Der Begriff schwäbisch-alemannische Fastnacht wurde erst Anfang
der 1920er-Jahre geprägt. Manche Tradition ist also jünger, als Brauchtumspfleger zugeben.
Die ersten Narren schwärzten ihr Gesicht mit Ruß oder bestäubten es mit Mehl. Kirchliche Prozessionsmasken, Teufel, Engel und Tiere waren die ersten Gestalten. Auch beim Häs wurde improvisiert: Wer kein Geld hatte, nähte Stofffetzen auf den Sonntagsanzug – die Urform der Blätzles-, Fleckles- oder Spättlesgewänder.
Die Vergleiche mit überregionalen Fastnachtsbräuchen im Narrenschopf zeigen, dass Fastnacht nichts mit Provinzialität und Abschottung zu tun hat, dass sie sich stets von außen inspirieren ließ. Handwerksgesellen, einst die Hauptträger der fastnächtlichen Bräuche, brachten von ihren Reisen stets neue Ideen mit: Der Bajass, der Domino oder der Harlekin stammen aus der italienischen Commedia dell’ Arte, die Polonaise aus Frankreich. Die Vielfalt der regionalen Volkskunst ist auch ein Grund, warum die schwäbisch-alemannische Fastnacht seit 2014 in der nationalen Liste des immateriellen Weltkulturerbes eingetragen ist. Im Museum Narrenschopf dürfen die Häser natürlich nicht nur in der Vitrine stehen, sondern auch springen: Besucher erleben das wilde Treiben ganzjährig dank Virtual Reality und schlüpfen in die Haut eines echten Narren ...