Der Rad-Schönschrauber

Die Radläden der Nachkriegszeit waren düstere Orte. Eckhart Werber wollte das ändern – und baute Räder schön wie Kunst

Text: Jannik Jürgens Fotos: Rémy Vroonen

Eckhart Werber steht in seinem Fahrrad-Atelier. Vor der Werkbank ist ein blank polierter Faggin-Rahmen eingespannt. Er streicht mit der Hand über den Stahl. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht.

Es ist ein Rahmen für ein Damenrad. Werber hat das Sitzrohr kürzen lassen. Der Rad soll seiner Frau Corine passen, er möchte es ihr schenken. Schnell fahren soll das Zweirad nicht, vielmehr soll es  Menschen durch Schönheit in seinen Bann ziehen. Ins Sitzrohr ist ein Herz graviert.

Eckhart Werber hat sein Leben dem Fahrrad gewidmet. Der 82-Jährige führte 45 Jahre lang einen Radladen in Bad Krozingen, 15 Kilometer südwestlich von Freiburg. Wobei Werber nie Radladen sagen würde, er würde es Fahrrad-Fachgeschäft nennen. Werbers Leidenschaft ist es, Räder zu kaufen, um an ihnen zu schrauben und sie nach seinen Vorstellungen umzubauen. Seine Räder haben Preise gewonnen. Schaut man sie sich näher an, sieht man, dass die Kompositionen aus Hunderten Details bestehen. Fast sind sie mehr Kunstwerk als Fortbewegungsmittel. Wobei Werber gleich widersprechen würde: „Ich bin kein Künstler. Ich bin Handwerker.“  

Man kann Stunden mit diesem Mann verbringen und trotzdem fällt es schwer, ihn zu beschreiben. Vielleicht hilft es, in die Vergangenheit zu schauen, um Eckhart Werber zu verstehen. Er wird 1940 in Freiburg geboren. Der Vater ist im Krieg, die Mutter hat mit seinen Geschwistern viel zu tun. Und so wächst Werber ein paar Straßen weiter auf, bei der Großmutter in Bad Krozingen. Eigentlich möchte der junge Mann Grafiker werden. Doch der Vater, von Beruf Schlosser, ist dagegen. Also beginnt Werber im Jahr 1954 eine Ausbildung zum Zweiradmechaniker. „Damals hat jeder auf etwas Motorisiertes gespart“, sagt Werber. Es ist die Zeit des Wirtschaftswunders, der VW Käfer wird zum Symbol für Aufschwung und Fortschritt. Aber wer sich kein Mofa leisten kann, muss Rad fahren. Den Fahrradgeschäften auf dem Land haftete damals das Radflicker-Image an, sagt Werber. Er erinnert sich an düstere Läden, in denen Laufräder von der Decke hingen.

1967 übernimmt Werber das Geschäft seiner Tante. Doch schnell merkt er, dass er von Fahrrädern allein nicht leben kann. Er bewirbt sich um eine Vélosolex-Lizenz und bekommt den Zuschlag. Das Geschäft mit den französischen Vélosolex-Mofas wird ein Erfolg. Später verkauft Werber auch Vespas. Bei den Rennrädern orientiert sich Werber an italienischen Marken: Gianni Motta und Vicini stehen im Schaufenster seines Geschäfts. 

Radeln mit Stil!

Als Werber sein Geschäft 2012 übergibt, hat er endlich Zeit, sich den eigenen Fahrrad-Kompositionen zu widmen. Im Sommer stellt er sie in seinen Garten und freut sich, dass das Chrom in der Sonne blitzt. Baut weitere unzählige Räder um, arbeitet an neuen Rad-Kompositionen. 

Da wäre zum Beispiel das Bella-Ciao, ein Damenrad der gleichnamigen Manufaktur aus Berlin, das Werber für seine Nichte umgebaut hat. Sie ist Designerin in Mailand und „könnte es bald mal abholen“. Den Lenker hat er mit gefederten Nussholzgriffen ausgestattet, polierte Schutzbleche mit Lederspritzschutz angebracht und Holzpedale angeschraubt. „Darauf kann man auch mit Pumps fahren“, sagt Werber.  

Aber, wofür der ganze Aufwand? Die Antwort ist einfach: Radfahrerin und Fahrrad sollen elegant durch die Straßen gleiten, die Blicke auf sich ziehen, einen einzigartigen Eindruck hinterlassen. Bella figura eben – was in Deutschland oft als schnöde Angeberei abgetan wird, ist für Werber Geschmack, Stil und Respekt für Handwerk, Fahrrad und Mensch.   

Mit dem Bella-Ciao-Damenrad hat Werber 2019 am Concours Vélo in Basel teilgenommen, einem Schönheitswettbewerb für Fahrräder. Werber machte am Wettbewerbstag ebenfalls bella figura – trug Schiebermütze, Knickerbocker und Hosenträger, um den Hals ein blaues Tuch. 

Die wertschätzenden Blicke der Jury zog an diesem Tag aber nicht das Bella-Ciao-Modell auf sich, sondern eines von Werbers anderen umgebauten Rädern. Mit seinem Daccordi 50 anni gewann Werber schließlich den ersten Preis in der Kategorie Montage. Gibt es eine schönere Auszeichnung für einen Zweiradmechaniker?  

Werbers preisgekürtes Daccordi hängt noch heute in dem Fahrrad-Fachgeschäft, das weiterhin seinen Namen trägt, aber längst vom Nachfolger geführt wird. Das ursprüngliche Daccordi wurde zum 50. Geburtstag der Traditionsmarke aus der Toskana produziert – für den Concours Vélo hatte Werber es umgebaut. Schon der Rahmen ist ein Kunstwerk: Muffen, Chrom, Gravuren, alles meisterhaft komponiert. Die Felgen des Daccordi sind aus Holz, ihre dunkle Maserung passt zu Lenkerband und Satteltasche aus Leder. Werber hat noch einige Jahre mit Holzfelgen gearbeitet, ehe sie in den 1960er-Jahren vom Markt gedrängt wurden.

Werbers Begeisterung für Räder bleibt nach all den Jahren ungebrochen. Heute hat er ein neues Modell aus seiner Garage geholt. Ein dunkelblaues Tommasini mit gekröpftem Lenker und Kettenschutz aus dunklem Holz. Zwei schnelle, kleine Schritte, dann springt Werber auf den Sattel, schießt aus der Einfahrt und saust eine Straße hinab. Der 82-Jährige fährt Rad wie einer, der gerade erwachsen geworden ist. Werber lächelt – bella figura!

Eckhart Werbers Radgeschäft in Bad Krozingen  besteht weiterhin – neuer Inhaber ist Martin Laubner. Wer mal vorbeischauen will, findet alle Infos hier: www.radsport-werber.de

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