Der Nachtkrabb: Halloween auf Alemannisch

Was hat es auf sich mit der Schreckgestalt aus dem Schwarzwald … und was hat das Biest im Europa-Park zu suchen?

Fotos: Jigal Fichtner

So ein richtiges Bild zu ihm gab es eigentlich nicht. Der Nachtkrabb, der so vielen Kindern in den Kopf gesetzt wurde und ihnen vermutlich genauso zahlreich den Schlaf raubte, wie er sie zu Bett schickte, hatte kein fest umrissenes Äußeres. Wie sollte er auch? Schließlich hatte ihn noch nie jemand gesehen. Sein Schrecken war mehr von seelischer Gestalt. Und vielleicht war das auch das Geheimnis seines Grusels. 

Inzwischen wissen wir mehr über die wohl düsterste Gestalt des Schwarzwalds und haben sie jetzt sogar mit eigenen Augen gesehen! An einem nebligen Tag im Europa-Park. Dorthin zieht sich der Nachtkrabb nämlich häufiger zurück. Deutschlands größter Freizeitpark – sonst eher ein heiterer Ort – hat ihm 2015 zu seiner Rückkehr verholfen. Erst durch das Halloween-Event Horror Nights (heute Traumatica) und damit vornehmlich zu einem jungen erwachsenen Publikum. Dann auf anderem Weg gar zurück in die Kinderzimmer: als gebändigte Version und als Gegenspieler von Ed und Edda Euromaus.

Der Kinderschreck

Von meinen Eltern habe ich früher mehr im Scherz gehört: „Komm rechtzeitig heim, sonst holt dich der Nachtkrabb“ (bei uns zwischen Ettenheim und Rust wird er mit laaangem a vorne gesprochen, wie die Nacht eben). In ihrer Generation war den Kindern mit dem Nachtkrabb teils noch ernsthaft Angst gemacht worden, besonders den Mädchen. (Andere sagen: Eingeschüchtert wurde früher ohnehin mit allen verfügbaren Mitteln. Der Rübbels mit dem Sack lässt grüßen …) Ziel war natürlich immer, dass die Kinder vor Anbruch der Dunkelheit heimkamen und rechtzeitig im Bett lagen. Im Süden Deutschlands trieb sie der Nachtkrabb heim, im Norden schickte sie der Sandmann sanfter zu Bett. 

Mein Patenkind, neun Jahre, ist die ersten Jahre ihres Lebens völlig ohne den Nachtkrabb aufgewachsen. Seit sie ihn kennt, hat sie aber Angst vor der Figur im Europa-Park. Wahrscheinlich fasziniert sie der gruselige Nachtkrabb gerade deshalb umso mehr, wenn er auf seinen Stelzen durch die Halloween-Parade stapft und seine Flügel schwingt. Die hat er als rabenartiges Ungeheuer schließlich. Denn Krabb heißt in den oberdeutschen Dialekten nichts anderes als Rabe.

Ich fahre zu unserem Termin im Europa-Park also nicht ganz ohne Vorgeschichte mit dem Nachtkrabb. Jigal geht es ähnlich. Aber wenn er uns bis jetzt nicht geholt hat: Wird schon alles gutgehen! Hoffentlich sieht das Jigals Tochter Nova genauso, die heute als unser Model das Nachtkrabb-Opfer spielen darf …

Der Bösewicht

Vor uns steht er. Leblos und auf seinem Paradewagen. Schnell ist der Nachtkrabb aber zum Leben erweckt. Ob sich Nova wirklich noch so wohlfühlt? Sie hat es jedenfalls überstanden und hört ebenso gebannt wie wir zu, als uns Tobias Mundinger, Verantwortlicher für die Marken und das geistige Eigentum von Mack One, erzählt, was es mit dem Nachtkrabb im Europa-Park auf sich hat. Für ihn als einen der Geschichtenerzähler aus Michael Macks Truppe ist der Nachtkrabb eine zentrale Figur, die das Erzählen erfolgreicher Geschichten erst möglich macht. „Anders als Ed und Edda umarmt den Nachtkrabb im Park zwar kein Kind – trotzdem ist er wichtig. Denn ohne Bösewicht kein Happy End.“

Früher war im Europa-Park das Themendesign die Story und das war’s. Die Architektur war das verbindende und trennende Element, das die Botschaft vermittelte: „Das alles ist Europa – hier Deutschland, da Frankreich, dort Italien …“

Ähnlich war auch der Klassiker Piraten von Batavia in sich aufgebaut: ein reiches Panorama von Einzelgeschichten mit einem einheitlichen Bezugspunkt, aber nicht die eine große Erzählung. Seit dem Wiederaufbau ist das anders: Heute nimmt Pirat Bartholomeus van Robbemond seine Besucher in den Passagierbooten mit auf seine Reise und teilt seine Geschichte mit ihnen. Aus Geschichten wie diesen entstehen bei Mack Magic zusätzlich Videos und Bücher. Bei Rulantica lief das umgekehrt: Zuerst gab es das Buch – eine geeignete Vorlage – und dann kam der Wasserpark als detailgetreuer Nachbau der darin beschriebenen Welt. Wenn Storytelling, dann konsequent – wie immer im Park. 

Pirat Bartholomeus soll übrigens auch den Adventure Club of Europe gegründet haben, dessen Mitglied Ruprecht, Freiherr von Rust, wiederum einst Jagd auf den Nachtkrabb gemacht haben soll …

Die Grimms im Schwarzwald

„Die Geschichten aus der Region, die alten Erzählstoffe und Figuren, von denen uns hier im Südwesten schon unsere Großeltern erzählt haben, sind alles Dinge, die sich über Jahrhunderte bewährt haben“, sagt Tobias Mundinger. „Schon die Brüder Grimm sind für ihre Märchen auch in den Schwarzwald gekommen und Walt Disney wiederum hat sich bei ihnen bedient.“ Oder wie es Mundingers Chef Michael Mack immer sagt: „Wir sind ein Land von Geschichtenerzählern.“

Der Totenvogel

Vögel und Furcht, das funktioniert. 1963 bewies das Alfred Hitchcock mit „Die Vögel“. Auch der Nachtkrabb baut darauf auf. Die Urangst vor geflügelten Raubtieren hat die Jahrhunderte überdauert. Bei der Recherche wies uns auch der Offenburger Krimiautor und Sagenexperte Willi Keller darauf hin. Der Rabe gelte als Totenvogel, bringe Unheil und erscheine in Erzählungen krähend bei Verstorbenen oder Sterbenden, sagt er und zitiert ein Beispiel aus seinem Buch „Sagen aus dem Ortenaukreis“. Keller stellt sich den Nachtkrabb daher auch als großen Rabenvogel vor. „Allein seine Erwähnung verbreitet Schrecken“, sagt auch er.

Das gestaltlose Grauen

Eine rabenhafte Gestalt hat Mack Magic dem Nachtkrabb in seinen animierten Kinderfilmen („Das Zeitkarussel“ und „Nachts im Park“) gegeben, die in den 4D-Kinos der Freizeitparks dieser Welt laufen und dabei nebenbei den Nachtkrabb vom Schwarzwald in die weite Welt fliegen lassen. 

Genauso aber machen sich die Autoren die Wandelbarkeit des Nachtkrabb zunutze: Der Bösewicht verkleidet sich und nimmt im Laufe der Handlung die Gestalt verschiedener historischer und literarischer Figuren an. Das scheinen sie von den alten Nachtkrabb-Warnsagen mitgenommen zu haben: Am gruseligsten ist der Nachtkrabb dann, wenn man nie genau weiß, wie er aussieht und wo er sich das nächste Mal zeigt.

Ihn gibt's wirklich: den Waldrapp

Mutmaßliche Vorlage für den Nachtkrabb ist die Vogelart Waldrapp, die zur Familie der Ibisse gehört. Auch als Klausrapp, Steinrapp oder Waldhopf ist er historisch schon bezeichnet worden. Auch spannend: Die Narrenfigur Nachtkrabb der Murreder Henderwäldler in Murrhardt im Rems-Murr-Kreis ist dem Waldrapp wie aus dem Gesicht geschnitten.

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