Unterirdische Zeitzeugen: Bunker in den Vogesen

Bunker wie Schoenenbourg sollten Frankreich schützen. Was hat's gebracht? Das wollten wir wissen und sind für euch hin

Text: Pascal Cames · Fotos: Jigal Fichtner

Nach 1918 hieß es in Frankreich: Nie wieder Krieg! Zumindest nicht nochmal so einer wie der Erste Weltkrieg, damals noch der Große Krieg genannt. Man wusste noch nicht, dass noch ein größerer kommen würde. Die Folgen des Ersten Weltkriegs waren für Europa verheerend, aber für Frankreich ein Desaster. Das Land war ausgeblutet, fast 1,4 Millionen Soldaten waren tot, der Nordosten von Geschossen verwüstet. Obwohl Deutschland den Krieg verloren hatte, gab es keine Zerstörungen und es gab immer noch viel mehr Deutsche als Franzosen. Was wäre, wenn die Stunde der Rache käme? Die Revanche würde wohl bitter schmecken. 

In Frankreich spielte man verschiedene Ideen durch, wie das zu verhindern sei. Die Idee des Kriegsministers André Maginot setzte sich durch. Von 1930 bis 1940 baute Frankreich seine Verteidigungslinie von der Nordsee bis zum Mittelmeer aus. Nicht nur Deutschland war der Feind, auch der italienische Diktator Mussolini hatte mit Frankreich eine Rechnung offen. 

Französisch-deutscher Verein

Wer mit offenen Augen durchs Elsass fährt, sieht schon ein paar Meter vom Rhein  entfernt die ersten grauen Klötze. Diese Bunker waren nur Späher und erste Hindernisse. Die Zentrale war eine Artilleriewerk wie die Anlage Schoenenbourg zwölf Kilometer südlich von Weißenburg. Für sie wurden 180 000 Tonnen Stahlbeton verbaut, der Eiffelturm hat auch nicht mehr.

Die Ouvrage Schoenenbourg war zur Verteidigung gedacht, aber auch fähig, aktiv zu kämpfen. Die Geschütze waren aber so eingestellt, dass sie nicht über die Grenze schießen konnten. (Baden-Baden ist nur 40 Kilometer entfernt!) Frankreich würde nicht angreifen, sondern sich mächtig verteidigen – und den Krieg gewinnen. So war der Plan. Bekanntlich aber verlief der Krieg anders. 

Über 100 solcher Anlagen (teilweise unglaublich groß) wurden in der Landschaft installiert, nur wenige sind heute der Öffentlichkeit zugänglich. Ein Verein mit deutschen und französischen Mitgliedern unterhält die Schoenenbourg als Museum, bietet Führungen an, hält instand, macht Dienst bei den Öffnungszeiten. Die 150 Mitglieder (zur Hälfte Deutsche, zur Hälfte Franzosen) sind keine Militaristen oder Spinner, sondern normale Leute, die an die schlimme Zeit erinnern wollen. Und das geht nur, wenn Zeugnisse wie die Schoenenbourg nicht verschwinden. Marc Halter ist der Präsident des Vereins. Seine Motivation? Der Mann, den man locker auf Mitte 50 schätzen würde (tatsächlich ist er zehn Jahre älter), ist ein Kind der Grenze und somit gezeichnet fürs Leben. Der Sohn eines Militärs kam in Offenburg zur Welt und ist ein Nachkomme jener, die an der Festung mitbauten oder als Soldaten drinsaßen. 

Marc Halter eilt die 135 Stufen hinunter, weil der Aufzug gerade kaputt ist. Die elektrischen Leitungen verlaufen in Hüfthöhe. Zudem liegen in den Tunneln Gleise für den Versorgungszug. Um die 2000 Lampen beleuchten die 9 Kilometer Stollen 30 Meter unter der Erde. Dank des immer noch funktionierenden Lüftungssystems ist die Luft klar und sauber. Man hatte eine Höllenangst vor Gas, also wurden die Anlagen auch mit Gasschutzfilteranlagen ausgestattet. Natürlich hatte die Anlage auch eine eigene, autarke Energieversorgung.

Erst Zeit gewinnen, dann den Krieg

Marc Halter erklärt die Absicht der Verteidigungslinie. Man wollte die Deutschen drei Wochen aufhalten, Zeit schinden, um Frankreichs junge Männer einzuziehen und die Bataillone aufzufüllen, während die Briten das gleiche machten und mit ihren Soldaten auf den Kontinent übersetzten. Dann wären Briten und Franzosen vereinigt und die Maginot-Linie hätte ihren Sinn erfüllt. Das hat auch geklappt, aber was sich dann abspielte, war nicht nach dem Drehbuch der Franzosen.

Die Deutschen griffen nicht an. Und die Franzosen und Engländer auch nicht. Die Wehrmacht erledigte erstmal Polen, besetzte Dänemark, dann Norwegen und führte U-Boot-Krieg gegen England. Was passierte im Westen? Wenig, zuerst starteten die Franzosen einen Miniangriff aufs Saarland, später stießen die Deutschen ein paar Kilometer auf französisches Gebiet vor. Danach passierte: nichts. Als Sitzkrieg ging diese kuriose Phase des Westfeldzugs in die Geschichte ein. Die Franzosen nennen sie drole du guerre, also der seltsame Krieg. 

Eiserne Disziplin, gutes Essen

Die 650 Soldaten in der Festung bekamen im Kriegsfall als Sold einen Franc pro Tag ausbezahlt. Das war damals der Preis für zwei Gläser Bier in einer Brasserie. Aber die Schoenenbourg war trocken. „Es herrschte eiserne Disziplin“, erklärt Marc Halter.  Die Soldaten durften nicht rennen, nicht in der Anlage spazieren gehen, nicht pfeifen oder singen. Wer’s doch machte, musste 48 Stunden in den Knast, und dort war es noch enger als in den Mannschaftsräumen oder in den Gängen, wo aus Platzmangel die Hängematten quer gehängt wurden. 

Alles war bis ins Detail durchdacht und ausgeklügelt. Saßen vier Maschinengewehrschützen nebeneinander in einem Turm, dann waren es zwei Rechtshänder und zwei Linkshänder. Damit es nicht zu einer Kohlenmonoxidvergiftung kommt, wurde elektrisch gekocht und nicht mit einem Holzherd wie damals üblich. Der Speiseplan war außergewöhnlich gut und abwechslungsreich. Strafen sorgten für Disziplin, aber das Essen hob die Moral. 

Auch das Innere der Schoenenbourg war ausgeklügelt hoch zehn. Die Gänge der Festung verlaufen in Kurven. Falls eine Feuerwalze durch die Festung rollte, dann würde sie dank der Kurven von den Mannschaftsgängen abgelenkt werden. Auch in der Festung (und nicht nur am Eingang) hatte es Maschinengewehre. Sinn und Zweck der in den Gängen installierten MG war es, dass die Kugeln von einer Betonwand zur nächsten abspritzten. So würden sie früher oder später schon die Eindringlinge treffen, selbst wenn der Schütze nichts taugte. 

Marc Halter könnte hier stundenlang über Details, Bauweise und die elektronische Versorgung dozieren. Was ihn antreibt, ist aber nicht Nationalstolz, sondern der Blick auf den chauvinistischen Wahnsinn, der zum Krieg führte. Statt wie geplant 21 Tage ab Kriegsbeginn im September, saßen die Soldaten bis zur Kapitulation Frankreichs im Juni 1940 über acht Monate in der Schoenenbourg fest. Sie wussten nicht, wann Tag ist und wann Nacht. Nur die Schmalspurbahn gab den Takt an. Die Tage waren streng geregelt mit Wache halten, essen, ausruhen oder Körperpflege. Unter die Dusche stellen und auf den Pfiff warten: einseifen. Nächster Pfiff: abbrausen. Fertig. Das ging keine zwei Minuten. 

Unbesiegt in die Gefangenschaft 

Am 10. Mai wurde aus dem Sitzkrieg ein beweglicher. Die Wehrmacht rollte mit ihren Panzern  Frankreich von hinten, also von Belgien auf. Das ging als Blitzkrieg in die Geschichte ein. Als Frankreich die weiße Flagge hisste und die Briten wieder auf ihrer Insel waren, hockten immer noch tausende Soldaten unter der Erde. Sie waren unbesiegt, voll bewaffnet, aber was hätte es gebracht, wenn sie weitergekämpft hätten? Nach der Kapitulation wurden sie nicht wie versprochen aus der Armee entlassen, sondern kamen in Kriegsgefangenenlager. Aus 21 Tagen Festung wurden fünf Jahre Lager. Die deutsche Propaganda posaunte, dass die Deutschen die Schoenenbourg erobert hätten, und führten Japaner und Sowjets (zu jener Zeit noch freundschaftlich verbunden) durch die Festung. 

Marc Halter schaut nachdenklich auf die grauen Betonflächen, die auch nur das erzählen, was einer wie er über sie zu berichten weiss.

Die Festung liegt bei Wissembourg und ist via Hunspach zu erreichen. Eintritt: 10. bzw. 5 Euro, www.lignemaginot.com

Festungen

Das Elsass ist voller Festungen. So gibt es Überreste der Kelten (Heidenmauer, Odilienberg) und Römer, Höhen- und Wasserburgen, später die Vauban-Festungen wie in Breisach. Die Festungen wurden immer stärker ausgebaut, bis man im 19. Jh. erkannte, dass sie unter der Erde effektiver sind. Ein Paradebeispiel dafür ist die Festung Wilhelm II bei Mützig aus der deutschen Kaiserzeit. Die Schoenenbourg ist die logische Fortsetzung davon. 

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