Wollige Weihnachten im Schwarzwald

Bei Familie Armbruster in Berghaupten wachsen Nordmanntannen ganz ohne Chemie auf – dank einer Herde Shropshire-Schafe

Text: Stephanie Kopf · Fotos: Galina Ens

"Ich bin hier geboren“, sagt Ulrike Armbruster und breitet die Arme aus: Seit rund 100 Jahren betreibt ihre Familie einen Bauernhof in Berghaupten im Kinzigtal. Früher wurde hier konventionell gearbeitet, heute ist der Armbruster-Hof ein innovativer Ort, an dem das Wohl von Mensch, Tier und Pflanze an erster Stelle steht. „Unsere Böden sind gesund. Das sieht man daran, dass es hier unglaublich viele Wurmhäufen gibt“, betont die Landwirtin, die auch Kräuterpädagogin ist. Je natürlicher der Boden belassen wird, desto mehr Würmer siedeln sich dort an und desto mehr Wurmhumus wird produziert, der wiederum den Boden nährt. Ein ziemlich gesunder Kreislauf. Und der wird gehegt und gepflegt von Ulrike Armbruster, auf deren Hof seit 60 Jahren schon Nordmanntannen angebaut werden. 

„Mit der Christbaum-Kultur sind wir in der Lage, auch steilere Hangflächen zu bewirtschaften“, erklärt die Landwirtin. Ansonsten würden die steilen Hänge brach liegen und obendrein noch Geld kosten, da sie ja dennoch gepflegt werden müssten. Die Armbrusters entschieden bei der Hofübernahme Anfang der 90er-Jahre: Die Bäume sollen so natürlich wie möglich aufwachsen. Ohne Chemie, ohne Dünger. „Denn je weniger der Mensch in die Natur eingreift, desto besser geht es den Lebewesen“, sagt Ulrike Armbruster.

Wollige Helfer verschmähen Nadeln

Während andere Tannen nur auf engem Raum wachsen dürfen und jeder Wildwuchs weggespritzt wird, gedeihen die Bäume auf dem Armbrusterhof mit mindestens 1,50 Meter Abstand zueinander. Und gespritzt wird hier nichts, stattdessen werden Gräser und Co von besonderen Helfern weggefuttert: einer Herde Shropshire-Schafe. Die Rasse ist darauf gezüchtet, zarte Tannenzweige nicht anzuknabbern.  „Sie mögen es einfach nicht“, sagt Werner Armbruster. Man müsse beim Zusammenstellen der Herde penibel genau darauf achten, dass die Tiere wirklich rasserein seien – schon kleinste Einkreuzungen sorgten dafür, dass die Schafe Appetit auf zarte Tannenspitzen bekommen – „und das wäre der Untergang für einen Tannenbaumbetrieb wie unseren“, fügt der Landwirt hinzu. 

Alle paar Jahre kommt ein neuer, reinrassiger Schafsbock dazu und im Frühling kommen die Lämmchen auf die Welt. Shropshire-Schafe bringen häufig Zwillinge auf die Welt, auch eine Besonderheit dieser Rasse. „Manchmal sind es sogar Drillinge, da sind wir dann als menschliche Helfer gefragt. Bei drei Schafkindern ist meist eines schwach. Das ziehen wir dann per Hand auf“, berichtet Ulrike Armbruster. Ihr Sohn kam damals auf die Idee mit den Shrop-shire-Schafen. Die ersten Tiere zogen vor rund 30 Jahren auf den Hof und nehmen der Familie seitdem viel Unkrautjäten ab.

Die ungespritzten Tannen stoßen bei immer mehr Kunden auf Interesse – nicht nur zu Weihnachten. Auch im Rest des Jahres trudeln Bestellungen beim Armbrusterhof ein: Tannenreisig wird an Bastelfreunde und Kindergärten in der ganzen Bundesrepublik verschickt. Aber auch ein Saunabetrieb in Berlin gehört zu den Stammkunden: Mit der duftenden Ware aus Berghaupten wird der Saunaboden bedeckt, die ätherischen Öle steigen in die heiße Luft und steigern das Wohlbefinden der Gäste. 4,6 Tonnen Tannengrün haben die Armbrusters im vergangenen Jahr verschickt. Ulrike Armbruster macht sich stark dafür, dass der Tannenbaum nicht mehr als dekoratives Wegwerfprodukt gesehen wird. Denn ein unbehandelter Baum kann noch ganz andere Verwendung finden. „Tannennadeln enthalten wertvolle ätherische Öle. Man kann sie als Tee aufbrühen, der in der Erkältungszeit die Atemwege unterstützt“, sagt sie und zieht den Teekessel vom Herd. In eine Glaskanne hat sie eine Handvoll kleingehackter Tannennadeln gegeben, über die sie jetzt das heiße Wasser gießt. Und man staunt nicht schlecht: Der Tee hat eine leichte Rosafärbung, die wohl von den ätherischen Ölen herrührt. Man sollte das Gebräu ein paar Minuten ziehen lassen, bevor man es trinkt; wer mag, kann ein Löffelchen Waldhonig dazugeben. Und wie schmeckt so ein Tannennadeltee? Erstaunlich mild und richtig gut. Im ersten Moment hinterlässt er auf der Zunge ein wenig Herbheit. Dann folgt eine Art Mentholflash, der die Bronchien jubeln lässt.

Gutes vom Baum in Bad und Küche

Ulrike Armbruster fertigt aus Tannenadeln auch Würzsalze für die Küche und Badesalze für die Körperpflege an. „Bei uns bleibt nach Weihnachten nichts vom Baum übrig“, sagt sie. Der Stamm wird verfeuert, die Nadeln werden zu Lebensmitteln verarbeitet.  Auch der Verband Natürlicher Weihnachtsbaum beobachtet einen Anstieg des Trends, den Christbaum nicht nur als Wegwerfprodukt zu betrachten. Auf Social-Media-Kanälen gibt es DIY-Anleitungen für allerlei Nützliches aus Christbäumen: für Rührquirle, Schmuckständer oder Schwedenfeuer.

Ulrike Armbruster weiß, dass viele Verbraucher überlegen, keinen Christbaum mehr zu kaufen, den Anbau kritisch sehen. „Aber der Denkansatz ist der falsche“, sagt die Landwirtin. Eine chemiefrei betriebene Tannenbaumplantage bietet unzähligen Kleinstlebewesen über Jahre wertvollen Lebensraum. „Wir haben so viele Spinnen, Käfer, Eidechsen, Schnecken und auch Vögel, die in den Zweigen nisten. Wenn wir Plantagen wie unsere abschaffen müssten, würde auch der Lebensraum für diese Tiere wegfallen.“ Die Hänge würden dann gemäht oder beweidet werden – und da ist wenig Platz für Vogel und Co.

Warum kein Christbaum im Topf?

Kritisch sei auch die „Baum-im-Topf“-Variante zu betrachten. „Die kleinen Bäume, die im Topf verkauft werden mit dem Hinweis, man könne sie ja nach Weihnachten auspflanzen, haben oft keine Überlebenschance“, weiß die Fachfrau. Denn Tannen sind Pfahlwurzler. Sie bilden schon sehr früh vertikale, lange Wurzeln. Fürs Weihnachtsgeschäft werden die kleinen Bäume aus der Erde gestemmt und die lebenswichtigen Pfahlwurzeln werden gekappt, damit der Baum in den Plastik-Topf passt. Auch ein künstlicher Weihnachtsbaum stellt in ihren Augen keine klügere Alternative dar. „Allein die Rohstoffe, die die Produktion des Plastikbaums verschlingt – ein Wahnsinn. Und dann die Entsorgung irgendwann“, sagt sie. 

Und je länger man Ulrike Armbruster aufmerksam zuhört, umso klarer wird:  Der traditionelle Christbaum aus dem Schwarzwald, beweidet von wolligen Schafen, ist durch eine Kunsttanne aus China nicht zu ersetzen.

Zum Hof

Zu Armbrusters Hof in Berghaupten gehören eine Natur- und Kräuterschule, eine Kräutermanufaktur, eine Spezialitätenbrennerei und ein Hofladen, der dienstags bis freitags jeweils von 9 bis 12 Uhr und von 15 bis 18 Uhr sowie nach Vereinbarung geöffnet hat. Schweine-, Lamm- und Rindfleisch, Edelbrände und Tannenbäume werden nach den Richtlinien der Marke Echt Schwarzwald produziert. Wer Interesse an einem Christbaum aus der Kultur der Armbrusters hat, kann ab November einen Baum reservieren und ihn vor Weihnachten selbst fällen (Obertal 5, 77791 Berghaupten).

#heimat Schwarzwald Ausgabe 41 (6/2023)

Draußen herrscht Schmuddelwetter, drinnen herbstliche Gemütlichkeit. Was da nicht fehlen darf? Der richtige Lesestoff! Das sechste #heimat-Magazin des Jahres kommt also wie gerufen! In der letzten Ausgabe für 2023 liefern wir Euch jede Menge Wohlfühl-Themen, darunter die schönsten Weihnachtsmärkte, leckere Glühwein- und Plätzchenrezepte, Schwarzwald-Curling, Weihnachtsbäume mit flauschiger Überraschung und vieles mehr. Außerdem haben wir wieder mit interessanten Schwarzwälder Charakteren gesprochen, darunter auch ein waschechter Promi: Fritz Keller! Reinlesen lohnt sich!

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