Artwood: Das neue Gesicht des Schwarzwalds

Jochen Scherzinger macht Mode. Aber mit dem Fotografen Sebastian Wehrle hat er ganz nebenbei die Art verändert, wie wir den Schwarzwald sehen

Text: Ulf Tietge Fotos: Sebastian Wehrle

Es ist gar nicht so einfach, seine Freundin mit dem halben Schwarzwald zu teilen. Aber genau das ist der Preis, den Jochen Scherzinger zahlen muss. Dafür, dass er seinen Traum wahrgemacht hat und man Heimat künftig anziehen kann. Als Jacke oder T-Shirt, als Base-Cap, Winzerhemd oder Riebele-Hos’.

Jochen Scherzinger ist Modedesigner. Aber das wissen immer noch die wenigsten. Sein Bild von Kim dagegen – dieses düster-schöne Porträt des Schwarzwald- Mädchens mit Piercing und schwarz geschminktem Herz-Mund unterm Bollenhut – ist inzwischen mehr als nur eine lokale Berühmtheit.

Kim hängt beim Bürgermeister überm Schreibtisch, im Trachtenmuseum an der Wand und sogar die konservativsten Tageszeitungen haben das Bild inzwischen im Blatt gehabt. Es gibt Anfragen für Kalender und für Modeschauen – dabei war das Bild eigentlich nur dafür gedacht, über Facebook ein paar Menschen auf Jochens Modelabel aufmerksam zu machen: Artwood Black Forest.

Wir sind in Gütenbach. Genauer: im Hübschental. Auch wenn das zu schön klingt, um wahr zu sein: Die Adresse gibt es wirklich. Und genau hier hat Jochen Scherzinger sein Atelier. Im Sommer ist das herrlich. Die 13 Hektar Wald rund um das Anwesen: alles Scherzinger-Land. Optimal, um Landschaftsbilder zu machen. Oder sich inspirieren zu lassen. Aber auch wenn man schon als Kind Vaters Kleiderkiste durchwühlt hat – hier oben in Gütenbach macht man nach der Schule etwas Solides.

Werkzeugmacher hat Jochen gelernt, bei Reiner in Furtwangen hat er Handstempel montiert und sich dann aufgemacht, in Koblenz Maschinenbau zu studieren. „Nicht mal ein Semester habe ich das ausgehalten“, sagt Jochen. „Dann wusste ich: Von dem Zug muss ich runter!“

Jochen geht nach Mannheim, besucht die Modedesigner-Schule, arbeitet bei Peek & Cloppenburg und träumt von Mode mit dem Schwarzwald als Leitmotiv. Nicht die Touri-Liga mit dem China-Print, sondern richtig was Ernstes. Sakkos zum Beispiel. Streetwear mit Trachtenmotiven. Und damit der Welt zeigen, dass der Schwarzwälder eben nicht ein bisschen blöd ist und hinterm Mond wohnt: „Der Schwarzwälder wird ja gern mal belächelt. Habt ihr schon Strom? Liegt noch Schnee? Habt Ihr auch Internet?“, sagt Jochen und springt dabei auf. Er tigert im Dreieck. Küche, Couch, Schreibtisch. „Es ist nicht so einfach, sich als Schwarzwälder übers Textil zu outen. Wir sind ja hier schon im textilen Niemandsland, aber wir haben doch allen Grund, stolz auf unsere Heimat zu sein, oder? Nicht auf das Klischee mit der grünen Wiese, dem blauen Himmel und dem ach so netten Mädel mit Bollenhut – sondern auf den wahren Schwarzwald mit seinen Regentagen, der nassen Kälte, der Dunkelheit und den Menschen, die sich hier bewähren.“

All das hat er gemeinsam mit seinem Freund Sebastian Wehrle, dem Fotografen aus Freiamt, ins Porträt von Kim einfließen lassen. Auf dem Kopf einen Bollenhut aus Kirnbach, dazu das Mieder aus St. Märgen. Beim Make-Up hat Ramona Strudel geholfen, dann ein bisschen am Rechner retuschieren – fertig.

Anfang des Jahres stellt Jochen das Bild online und plötzlich wird alles anders. Erst schimpfen die Brauchtumsvereine: Verunglimpfung der Tracht! Verrat am Schwarzwald! Doch als sie merken, wie das Netz feiert, bieten plötzlich alle ihre Trachten an. Die Hotzenwälder und die Villinger, die Tennenbronner, Nordracher und Schönwalder. Kim fragt ihre Freundinnen, der Fotograf seine Muse, später buchen Jochen und Sebastian professionelle Models aus der ganzen Region. Acht Bilder sind es bis zum Ende des Sommers, bis Weihnachten sollen es zwölf sein. Danach aber ist Schluss. Nicht mal einen Kalender soll es geben.

Jochen will sich auf die Mode konzentrieren. Und er will nicht noch mehr T-Shirts mit Variationen von Kim und ihren Freundinnen auf den Markt bringen. „Mit Shirts ändern wir gar nichts. Da liegen wir neben der Touri-Ware für 15 Euro und jeder fragt sich, warum er für ein Artwood-Shirt 39 bezahlen soll. Nein: Wir müssen vorankommen!“

Jacken soll es künftig geben. Mit Ärmeln aus Leder Winzer-Hemden mit Leder-Applikationen. Und Rie- bele-Hosen wie früher: ganz aus Cord und in einer so schweren Qualität, dass sie ewig halten. Wenn es gelingt, dass sich die Badener, die Schwaben und die Schwarzwälder zu Oktoberfesten nicht mehr mit Lederhose und Dirndl als Bayern verkleiden – das wär’ schon ein großer Schritt.

Wer sich den Jochen jetzt als Schwarzwälder Version von Guido Maria Kretschmer vorstellt: falsch! „Der Guido ist ein Frauenversteher“, sagt Kim. „Jochen macht Mode, die er auch selbst tragen will und weil er das Gefühl hat, der Region etwas zurückgeben zu müssen. Er will dem Schwarzwald helfen und die Menschen stolz auf ihre Heimat machen.“ Dazu hat er tausend Ideen im Kopf und viel zu wenig Zeit, um sie alle umzusetzen. Es braucht neue Versandkartons, ein Nachfolgeprojekt für die Porträtserie – aber bitte nicht die halbnackte Bäuerin im Stall – und es braucht jemanden, der für Jochen die Zahlen sortiert. Halleluja!

Für seine Modeprojekte verhandelt Jochen mit Partnern aus der Region. Stoffe aus der Türkei sind ja auch nicht schlecht – aber wenn man mit dem Slogan ,Aus Liebe zur Heimat‘ antritt? Eben. Man könnte die Shirts aus Biobaumwolle machen lassen, das wäre was. Eine Weberei von der schwäbischen Alb könnte dafür der richtige Partner sein. Für die Winzerhemden gibt es auch schon Optionen. Aber die Cordhosen ... Naja, eins nach dem anderen.

Zudem ist natürlich Gütenbach kein ganz einfaches Pflaster. Dass er hier als Exot gilt und manche angesichts der vielen Tattoos immer noch komisch gucken: geschenkt. Und auch wenn man für einen Online-Shop nicht gerade Laufkundschaft braucht: Einfach nicht so gut, wenn der Postbote im Winter über Wochen nicht kommen kann. Wegziehen ist trotzdem keine Option. Lieber quält sich Jochen mit seinem Auto den Berg hoch: „Mein Opa hat immer gesagt: Egal, aus welchem Fenster man herausschaut – alles unser. Das ist doch ein schönes Gefühl!“

Der Fotograf

Sebastian Wehrle und Jochen Scherzinger kennen sich aus gemeinsamen Zivildienstzeiten in Simonswald. Während sich Jochen mit Handstempeln herumschlägt, arbeitet Sebastian als Kachelofenbaumeister, bis er seine Leidenschaft zum Beruf macht und nach einer Reise um die Welt als Fotograf durchstartet. Über Facebook finden Sebastian und Jochen wieder zusammen – und landen mit der Porträtserie „Fabulous Black Forest“ einen Riesenerfolg.

#heimat Ortenau Ausgabe 2 (2/2015)

Schwarzwald Reloaded: Trachten sind hip und der Chef speckt bei der Weinlese ab. Auf vielfachen Wunsch ist No. 2 wieder erhältlich.

#heimat, der Genussbotschafter für den Schwarzwald 

In der Zeitschrift #heimat geht es um Genuss in der Region, um (kulinarische) Traditionen und gute Adressen, um Manufakturen und Menschen. Idee und Konzept für #heimat stammen von Chefredakteur Ulf Tietge und seinem Team. Das Magazin wurde 2016 mit dem Ortenauer Marketingpreis ausgezeichnet und ist inzwischen bundesweit erhältlich.

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